Kommentar

Ethikratsvorsitzender setzt auf "getreuen Heiland Jesu Christi"

Der Deutsche Ethikrat hat in seiner jüngsten Empfehlung zur Suizidhilferegelung dem Bundestag nahegelegt, gegen das einschlägige Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichtes vorzugehen. Dieses hatte schwerstkranken Sterbewilligen in einer "extremen Notlage" das Recht zugesprochen, zur Selbsttötung Natrium-Pentobarbital beziehen zu dürfen. Dem Ethikratsvorsitzenden und Theologieprofessor Prof. Peter Dabrock, geht demgegenüber "das Herz auf" im Bekenntnis an "Jesu Christi, der die Liebe des geglaubten Gottes verkörpert".

In der am 1. Juni veröffentlichten Empfehlung schloss sich eine Minderheit von 9 der 25 Ethikratsmitglieder einer Bewertung ihres Kollegen Prof. Reinhard Merkel an und bezeichnen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts als ethisch wohl gewogen. Es stehe im Einklang mit der Moralpflicht, dass ein "generell begründbares Verbot nicht zum Gebot der Unmenschlichkeit werden" dürfe. Eine "staatliche Unterstützung" zur Umsetzung von Suiziden erkennt die Ratsminderheit in dem Urteil nicht. Lediglich werde es dem Staat in Notstandsfällen nicht mehr gestattet, "die Verfügbarkeit eines Medikaments aktiv zu blockieren".

Die Ethikratsmehrheit (16 von 25) hingegen, darunter der Vorsitzende Prof. Peter Dabrock, kritisiert das Urteil scharf. Vor den Folgen des Leipziger Richterspruchs hatten zuvor bereits die Bundesärztekammer, die Kirchen und Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) gewarnt, während humanistische Verbände ihn begrüßt hatte. Dabrock hat in Erlangen den Lehrstuhl für systematische Theologie (Ethik) inne und beschreibt auf seiner Internetseite dort seinen Ansatz wie folgt: "Konkrete Ethik in evangelisch-fundamentaltheologischer Perspektive, Bioethik als theologische Sozialethik".

Dabrocks Spagat zwischen Glaubensbekenntnis und Neutralitätspflicht

Die Ethikratsmehrheit beklagt, durch dieses Urteil werde die "ethisch fundierte Grundentscheidung" des Gesetzgebers "unterlaufen". Denn der Bundestag hatte Ende 2015 die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung ausdrücklich unter Strafe gestellt. Mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes werde nun das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zum "Verpflichtungsadressaten der Selbsttötungsassistenz" gemacht. Das klingt, als wären in Gestalt verantwortungsloser Richter finstere Mächte am Werke, um eine Verteilstelle für Tötungsmittel einzurichten. Das zentrale Argument der Ethikratsmehrheit ist jedoch ein scheinbar säkulares: Das Urteil zwinge eine Behörde – das BfArM – die "ethische Leitidee der staatlichen Neutralität gegenüber Lebenswertvorstellungen aufzugeben".

Doch die Überzeugungskraft der Verpflichtung zur Neutralität gerät ins Wanken, wenn man sich das christliche Glaubensbekenntnis des (damals noch stellvertretenden) Ethikratsvorsitzenden Prof. Dabrock zum Leben und Sterben vor Augen führt. Dies war am 1. Mai 2015 in der Süddeutschen Zeitung unter "Glaubensbekenntnis-Peter-Dabrock" wie folgt veröffentlicht:

"Glaube ist für mich vor allem eines: Getragensein. Dabei war mir die etwas pathetische Formulierung aus dem Heidelberger Katechismus stets ein wichtiger Begleiter: 'Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin.' Bei dem Satz geht mir das Herz auf. … Das verbinde ich mit dem Namen Jesu Christi, der die Liebe des geglaubten Gottes verkörpert. Der Glaube an diese Liebe lässt mich auch im Hier und Jetzt hoffen - hoffen, dass dieser Grund unendlich trägt. ...

Mein Glaubensleben binde ich nicht deswegen so gerne an die Bibel, weil sie eine Telefonleitung aus dem Himmel wäre. Vielmehr gibt sie in faszinierender Weise Zeugnis davon, wie Generationen von Menschen - in Zagen und Zittern, mit Jubel und Mut - versucht haben zu leben und zu verstehen, was für sie der Grund und Ziel ihres Lebens ist, reizend, tröstend, lockend, ermutigend, fordernd: Gott. Ich liebe diese Erfahrungsbibliothek, weil sie den Menschen so schonungslos nüchtern beschreibt, und damit den Gott, der diesem Menschen in erbarmungsvoller Treue zugeneigt bleibt, noch umso wunderbarer auszumalen erlaubt. ... (Peter Dabrock)

Was hat einen Heilsverkünder in hohe Ethikratsposition gebracht?

Hier seien auch Leserbriefkommentare zitiert, die damals an die Süddeutsche Zeitung geschickt wurden. Der Leser Dr. Gunter Bleibohm des dort veröffentlichten Glaubensbekenntnisses hatte sich direkt an den Verfasser gewendet:

"Sehr geehrter Herr Prof. Dabrock,
nachdem ich Ihr 'Glaubensbekenntnis' in der Süddeutschen Zeitung intensiv durchgelesen habe, bleiben für mich Fragen und offene Punkte, für die ich keine Hinweise und Erklärungen in Ihrem Text gefunden habe. … Zuerst taucht die Behauptung auf, dass Gott die Liebe verkörpert. Diese Behauptung weist allerdings den Mangel oder präziser, die wissenschaftliche Todsünde auf, dass der Beweis für die Existenz Gottes bis heute fehlt …. Diesen Punkt hat Sam Harris in seinem 'Brief an ein christliches Land' wunderbar formuliert: 'Es ist an der Zeit, dass wir uns zu einem ganz grundlegenden Wesensmerkmal des menschlichen Diskurses bekennen … Während ein unbeugsamer und von keinerlei Evidenz gestützter Glaube in jedem anderen Bereich des Lebens als ein Merkmal von Irrsinn oder Dummheit gälte, genießt der Glaube an Gott in unserer Gesellschaft noch immer höchstes Ansehen. … Bezeichnenderweise erstreckt sich diese Aura des Edelmuts jedoch nur auf die Glaubensweisen, denen sich gegenwärtig viele Menschen verschrieben haben. Jeder Mensch, der dabei ertappt würde, wie er Poseidon verehrt - und sei es, er täte es auf hoher See -, würde für verrückt erklärt.' …"

Und ein anderer Leser, Prof. Klaus Hamper, schrieb an die Redaktion der Süddeutschen Zeitung:

"Wie solch ein … milde lächelnder professoraler Geistesknecht irrationaler Gottesphantasien es bis zum stellvertretenden Vorsitzenden des 'Deutschen Ethikrats' gebracht haben mag, bleibt ein Rätsel. Es lässt aber zumindest einen Schluss sicher zu: Es ist nicht gut um den Geist der Aufklärung in unserem Volk der ehemaligen Dichter und Denker bestellt, wenn solche Figuren in solche Positionen gelangen können und eine … Zeitung wie die 'Süddeutsche' auch noch ernsthaften Raum für die Propagierung solch gleichzeitig unsäglich banaler, schwülstiger und unüberprüfbarer inhaltsleerer Floskel-Ergüsse zur Verfügung stellt. Nur gut, dass es wenigstens hin und wieder noch klare Geister wie Dr. Bleibohm gibt, die das Grundprinzip der 'intellektuellen Redlichkeit' in Erinnerung rufen, einer Charaktereigenschaft, an der es diesen selbstzufriedenen Verkündern nicht hinterfragbarer Heilsversprechen seit jeher mangelt."

Hier steht die Kultur des politischen Diskurses in unserem Lande auf dem Prüfstand. Es stellt sich die drängende Frage nach nebulös bleibender Geschwätzigkeit, der personellen Aufstellung eines Gremiums wie dem Deutschen Ethikrat und nach der intellektuellen Redlichkeit.