Das Ende der deutschen Autoindustrie?

Vor dem Infarkt

Die Autoindustrie ist das Herz der deutschen Wirtschaft. Mehr als 750.000 MitarbeiterInnen, darunter zahlreiche AkademikerInnen, arbeiten direkt in dieser Branche. Millionen sind in Zulieferbetrieben wie Metallverarbeitung, Textilindustrie oder im weiteren Umfeld beschäftigt. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Politik das Geschehen auf dem Automarkt sehr genau verfolgt und darauf bedacht ist, alles zu verhindern, was Arbeitsplätze gefährden könnte.

Die deutsche Autoindustrie gehört neben den USA, China und Japan zur Weltspitze. Im Jahr 2015 produzierte sie mit einem Umsatz von über 400 Milliarden Euro 5,5 Millionen Pkw. Mehr als 75 Prozent gehen in den Export. Sie bestreitet damit einen großen Anteil der erfolgreichen Exporte aus Deutschland. Wohl und Wehe einiger Bundesländer hängen durch die Standorte der Produktionsstätten wie Niedersachsen mit VW, Bayern mit BMW und Baden-Württemberg mit Daimler direkt vom Erfolg der jeweiligen Marke ab.

Doch spätestens seit 2010, als die strengen EU-Grenzwerte für Stickoxide in Kraft traten, und die Autokonzerne ihre Betrugssoftware in die Diesel-Pkw installierten, um die Grenzwerte zu unterlaufen, wurde aus dem Zusammenspiel von Politik und Autoindustrie eine Kumpanei des Ignorierens und Vertuschens. Den Autokonzernen war es gleichgültig, dass jedes Jahr aufgrund der hohen Stickoxid Werte in den Innenstädten rund zehntausend Menschen früher sterben mussten, und dass sie ihre Kunden, die Käufer von Dieselfahrzeugen, mit angeblich sauberen Dieselmotoren hinter das Licht führten. Und die Politik schaute weg oder log mit, allen voran Verkehrsminister Dobrindt und das unter seiner Regie agierende Kraftfahrtbundesamt, denn dass die auf den Straßen ausgestoßenen Stickoxide die von den Autobauern angegebenen Messwerte um ein Mehrfaches übertrafen, wurde von Umweltverbänden seit Jahren öffentlich gemacht und kritisiert.

Am 28. Juli 2017 hat das Stuttgarter Verwaltungsgericht einer Klage der Deutschen Umwelthilfe stattgegeben, wonach Fahrverbote für Diesel-Pkw nach Düsseldorf und München auch in der Stuttgarter Innenstadt rechtens sind. "Das Verkehrsverbot verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil der Gesundheitsschutz höher zu gewichten ist als das Recht auf Eigentum und die allgemeine Handlungsfreiheit", so Richter Wolfgang Kern (Berl. Zeitung 29./30.7.17). Damit war der Betrug offensichtlich und die große Lüge geplatzt.

Auf dem Diesel-Gipfel, der am 3. August mit großem Pomp inszeniert wurde, versuchten Autobosse und PolitikerInnen zu retten, was nicht zu retten ist. Im Ergebnis wurde deutlich, dass sich die Politik weiterhin auf der Nase herumtanzen lässt. Die Automanager sagten die bei weitem kostengünstigere Neuprogrammierung der Motorensoftware bei Fahrzeugen der Schadstoffklassen Euro 5 und 6 zu, die aber nach Meinung der meisten Experten zu wenig zur Begrenzung der Stickoxide beiträgt. Die eigentlich notwendige technische Umrüstung, die allerdings erheblich teurer käme, wird von den Autobossen demonstrativ ausgeschlossen. Im Ergebnis war der Gipfel eine Lachnummer, so sind sich die meisten Kommentatoren einig. Selbst der ADAC kritisierte, dass die Politik vor den Interessen der Autoindustrie eingeknickt sei.

Mit seinem Kommentar, er wolle seine Ingenieure zukunfts- und nicht rückwärtsgewandt arbeiten lassen, brüskierte VW-Chef Matthias Müller nicht nur PolitikerInnen und KundInnen, er machte auch in aller Deutlichkeit klar, dass er auch in Zukunft die Dieseltechnologie und die damit verbundenen Profite für unverzichtbar hält. In einer geradezu grotesken Verdrehung der Tatsachen proklamiert Müller, dass Verbrennungsmotoren weiterhin zukunftsfähig seien, obwohl Elektroautos weltweit auf dem Vormarsch sind. Großbritannien und Frankreich planen ab 2040 ein Zulassungsverbot für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, Indien peilt 2030 und Norwegen 2015 an. In diesen Tagen bringt Tesla seinen Mittelklassewagen Model 3 auf den Markt mit einer Reichweite von nahezu 350 Kilometer und zu einem Preis von rund 31 000 Euro. Bis 2020 will Tesla insgesamt 500 000 Autos produzieren – zum Vergleich, 2015 waren es rund 50 000.

China ist auf dem besten Weg Weltmarktführer in der Produktion und Zulassung von Elektroautos zu werden. Im Unterschied zur deutschen Autoindustrie müssen die chinesischen Autobauer keine alteingesessene Industrie umbauen, sondern können sich völlig auf die Produktion von Elektroautos konzentrieren. Die deutsche Autoindustrie ist Opfer ihres eigenen Erfolges. Die Autobauer wollen ihre Profite nicht gefährden und die Politik ist aus panischer Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen erstarrt wie das Kaninchen vor der Schlange.

Zwar haben auch die deutschen Firmen Stromer im Angebot, und die Politik fördert deren Kauf, doch die Entwicklung erfolgt zu zögerlich. Anstatt mit sieben-Meilen-Stiefeln voranzustürmen, verläuft sie im Schneckentempo. Die deutsche Autoindustrie verliert im Kampf um die Einführung der Elektromobilität ihre Spitzenstellung. In der Kernkompetenz für Elektroautos, der Herstellung von leistungsfähigen Batterien, sind chinesische, koreanische, japanische und die Gigafaktory in Nevada des Tesla-Gründers Elon Musk führend. Von einer deutschen Firma hat man wenig positives gehört.

Als die Deutsche Post DHL für die Auslieferung von Briefen und Pakete ein Elektrofahrzeug entwickelt haben wollte, winkten die großen Autobauer ab; das Projekt wurde als unrentabel eingestuft. Inzwischen hat DHL mit Hilfe der StreetScooter GmbH ein eigenes Elektroauto entwickelt und verkauft jetzt erfolgreich an andere Interessenten. Mittelfristig will die Post ihre gesamte Zustellflotte auf Elektrofahrzeuge aus eigener Produktion umstellen. Sie führt vor, wohin die Reise geht, und wie die deutschen Autokonzerne dazu stehen. Sie stehen am Rande und schauen zu.

Wenn die Politik nicht endlich aufwacht und einen geordneten Übergang organisiert, drohen chaotische Zustände, bei denen alle verlieren. Es liegt auf der Hand, dass ein chaotischer Übergang viel mehr Arbeitsplätze kostet als dies eh schon der Fall sein wird. Zu einem geordneten Übergang gehört eine ambitionierte Zeitvorgabe. Warum sollten Bundesregierung und Bundestag nicht beschließen, dass ab 2030 Pkw mit Verbrennungsmotoren nicht mehr zugelassen werden? Autobauer und Kunden könnten mit diesem Termin planen und die Bundesregierung treibt den Ausbau der Ladestationen voran. Natürlich muss parallel der Ausstieg aus der Verstromung der Kohle von statten gehen.

Wie ein chaotischer Abgang einer überfälligen Technologie aussieht, kann man an dem Hin und Her bei dem Ausstieg aus Atomtechnologie besichtigen: Die einst mächtigen Energieunternehmen sind heute nur noch ein Schatten ihrer selbst.