Nahtoderfahrungen sind keine mystischen Erlebnisse

Für viele Esoteriker sind Nahtoderlebnisse der Beweis, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Wissenschaftliche Untersuchungen interessieren sie nicht.

Sterben und Tod sind eine Blackbox der unheimlichen Art. Die Ungewissheit über den Sterbeprozess und die Angst vor dem drohenden Nichts verunsichern uns zutiefst. Über diesen existentiellen Phänomenen steht der Wunsch und die Sehnsucht, dass das Schicksal uns in den letzten Stunden gnädig ist und uns einen Leidensweg erspart. Oder uns gar mit einem zweiten Leben beschenkt.

Die Unsicherheit in diesen zentralen Lebensfragen ist ganz schön nervig und schwer auszuhalten. Von unseren Ängsten profitieren Glaubensgemeinschaften. Sie präsentieren uns göttliche Wesen, die über uns wachen und uns ein Leben im Jenseits oder sonst einem schönen Ort versprechen.

Keine Beweise für ein Leben nach dem Tod

Doch letzte Gewissheit darüber gibt es nicht. Auch nicht für Gläubige. Denn die Existenz der Superwesen und ein Leben nach dem Tod bleiben Hypothesen. Auch der Glaube an die Wiedergeburt.

Es gibt allerdings Leute, die ihre Zweifel über die unsterbliche Seele und das Leben nach dem Tod ausräumen konnten: Personen mit einer Nahtoderfahrung. Also Menschen, die schon beinahe klinisch tot waren und im letzten Moment dem Teufel vom Karren gesprungen sind, wie es der Volksmund formuliert.

Die Betroffenen machen meist identische Erfahrungen und erzählen begeistert von ihren wundersamen Erlebnissen. Nachdem sie das Bewusstsein verloren hatten, machten sie außerkörperliche Erfahrungen. Die meisten befanden sich in einem Tunnel und sahen am Ende ein helles Licht. Viele erhaschten danach einen Blick in den Himmel. Andere hatten außerkörperliche Wahrnehmungen und schwebten über ihrem leblosen Körper.

Da war keine Angst, keine Trauer, sondern lichtvolle Freude, lauten in etwa ihre Schilderungen. Für viele ist klar: Das sind mystische, transzendentale, übersinnliche, spirituelle oder religiöse Erlebnisse. Und ein Beweis, dass nach dem Tod noch etwas kommt, das nach Erlösung und Himmel riecht.

Solche magischen Erklärungen erinnern an unsere Urahnen, die alle unbekannten Phänomene mangels wissenschaftlichen Erkenntnissen religiös deuteten. Blitze schrieben sie zum Beispiel den Göttern zu, die Sonne als Lebensspenderin wurde als Gott verehrt und Erdbeben interpretierten sie als Strafe der Götter.

Ähnliches passiert bei einer Nahtoderfahrung. Reflexartig suchen Betroffene eine religiöse oder magische Erklärung für das Lichtphänomen. Sie klammern sich an die Interpretation, göttliches oder himmlisches Licht gesehen zu haben.

Es sind vor allem esoterische Kreise, die solche Nahtoderfahrungen kultivieren und als Beweis für ein Leben nach dem Tod propagieren. Sie haben nicht das geringste Interesse, Nahtoderlebnisse unvoreingenommen zu ergründen. Mit ihren spirituellen Erklärungen legen sie sich ein Weltbild zurecht, das ihren Wünschen und Sehnsüchten entspricht.

Neurowissenschaftler kommen zu einem anderen, wesentlich plausibleren Ergebnis. Ein Forschungsteam um Jimo Borjigin, Professorin für Molekulare und Integrative Physiologie von der University of Michigan Medicine School, hat in einer Studie belegt, dass unsere Hirne beim Sterben in diversen Arealen besonders aktiv sind, wie die Zeitschrift National Geographic vor einiger Zeit schrieb.

Gammawellen könnten die Nahtoderfahrungen auslösen

Gammawellen könnten die Nahtoderfahrungen auslösen. Die Verknüpfung gewisser Hirnareale hätte eine erhöhte Aktivität gezeigt. Diese seien für das Abrufen von Erinnerungen, die bewusste Wahrnehmung und die Integration von Informationen zuständig. Dieses hirnphysiologische Phänomen könne auch eine Erklärung sein, weshalb beim Sterbeprozess der Lebensfilm im Zeitraffer ablaufe.

Der Leipziger Neurologe Birk Engmann hält in seinem Buch "Mythos Nahtoderfahrung" fest: "All diese Phänomene können auch bei Patienten mit Epilepsie oder unter Drogeneinfluss vorkommen." Bei Migräneanfällen, Schizophrenie, Meditation oder Stress erlebten manche Personen ebenfalls eine außerkörperliche Erfahrung.

Lichtvisionen durch erhöhte Aktivität im Hinterhauptlappen

Andere Forscher erklären, Lichtvisionen könnten durch die erhöhte Aktivität im Hinterhauptlappen entstehen, der die visuellen Inputs verarbeite. Manche Wissenschaftler sind überzeugt, dass der mangelnde Sauerstoff im Hirn Bilder vom Tunnel und dem Licht am Ende auslösen.

Fazit: Nahtoderfahrungen sind mit größter Wahrscheinlichkeit keine spirituellen Phänomene, sondern Störungen oder Fehlfunktionen des Hirns.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.

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