Es geht schneller als erwartet: Immer mehr Menschen in Deutschland lösen sich von den Kirchen, im Kopf und auf dem Papier. Setzt sich diese Entwicklung fort, werden Christinnen und Christen schon nächstes Jahr in der Minderheit sein. Zu diesem Ergebnis kommt die sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die nun auf der Synode in Ulm vorgelegt wurde.
Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung gibt es etwa alle zehn Jahre, die letzte war 2012. Bei der aktuellen Auflage sprechen Fachleute von einer der größten religionssoziologischen Studien in Deutschland überhaupt. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa befragte dafür 5.282 Personen zwischen Oktober und Dezember 2022, darunter neben Protestanten erstmals auch Katholiken.
Von "schonungslosen Analysen" schreibt die Kirche, und Edgar Wunder, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD, bescheinigt den Initiatoren "Mut, diese Selbsterforschung zu betreiben". In der Tat erfordert es einiges an Beherztheit seitens der Kirchenvertreter, den düsteren Prognosen ins Auge zu blicken.
Denn die Daten belegen schwarz auf weiß, wie rasant die Bedeutung von Kirche und Religion in der Gesellschaft schwindet. Noch bilden die Christlich-Konfessionellen laut EKD-Studie mit 52 Prozent eine knappe Mehrheit (25 Prozent katholisch, 23 Prozent evangelisch, 2 Prozent freikirchlich, 2 Prozent christlich-orthodox), doch bereits 2024 dürfte ihr Anteil unter 50 Prozent rutschen. Auch die evangelische Kirche, auf der das Hauptaugenmerk der Studie liegt, verliert zusehends an Zuspruch. War eine andere Studie vor vier Jahren noch davon ausgegangen, dass sie bis 2060 die Hälfte der Mitglieder verlieren werde, ist nach dem aktuellen Trend diese Marke bereits in den 2040ern erreicht.
Die Untersuchung erhärtet zudem die bekannten Prognosen, dass die Quote der Konfessionsfreien weiter steigen wird. Sie werden bis Ende der 2020er Jahre über die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland ausmachen, so Christopher Jacobi, ebenfalls wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD. Schon heute vertritt die Mehrheit in Deutschland laut Jacobi eine säkulare Weltanschauung, darunter auch Menschen, die noch formal der Kirche angehören. Interessanterweise betrachtet sich ein Drittel der Kirchenmitglieder als nicht religiös.
Dagegen sehen sich nur 6 Prozent der Protestanten als "gläubige Mitglieder und eng verbunden mit der Kirche". Die überwiegende Mehrheit steht der Kirche distanziert gegenüber, so bezeichnen sich 33 Prozent als "verbunden, aber kritisch", und 32 Prozent fühlen sich als Christen, obwohl die Kirche ihnen nicht viel bedeutet. 2 Prozent betrachten sich als religiös, aber nicht als Christen, 8 Prozent leben ihre religiösen Bedürfnisse individuell, 5 Prozent wissen nach eigenen Angaben nicht, was sie glauben sollen, und 13 Prozent gaben an, keine Religion zu brauchen.
Zusammengeschmolzen ist auch die Gruppe der Gläubigen, für die ein Kirchenaustritt nicht in Frage kommt. Waren es bei den Protestanten in der letzten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung 2012 noch 74 Prozent, sind es jetzt nur noch 35 Prozent (bei den Katholiken 27 Prozent).
11 Kommentare
Kommentare
Tobias Seyb am Permanenter Link
"In der Tat erfordert es einiges an Beherztheit seitens der Kirchenvertreter, den düsteren Prognosen ins Auge zu blicken."
In der Tat müssen Kirchenvertreter damit klarkommen, dass die Bedeutung ihrer Organisationen de facto nur auf der Ebene von Vereinen liegen dürfte.
Dass nach Jahrhunderten der Teilhabe an politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Macht jetzt damit langsam Schluß ist, müsste jeden anständigen Menschen freuen.
Man muss sich klarmachen: Kirchen haben nur eine Berechtigung durch die Existenz eines allmächtigen, übernatürlichen Gottes und seiner Ansprüche an die Menschen.
Da dieser nicht existiert, beruht ihr Dasein an sich auf falschen Tatsachen.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Na das lässt doch hoffen, dass sich die Vernunft allmählich durchsetzt und die Religionen
ihre Macht verlieren, was Wiederrum Gelder frei macht für notwendige weltliche Bedürfnisse.
Nick Rudnick am Permanenter Link
Leider ist es ein Trugschluss zu glauben, dass die Erosion der Kirchenmitgliedschaften auch nur annähernd im selben Maße die Gruppe der Konfessionsfreien stärken würde.
wolfgang am Permanenter Link
Das Foto zeigt doch den wahren Zustand der Kirche, früher gab es noch lange Bänke, jetzt nur noch ein paar unbesetzte Stühle und der Pfarrer führt Selbstgespräche. Schön ist die Welt!
Dr. Ingeborg Wirries am Permanenter Link
Angenommen - was gar nicht so abwegig ist - die sogenannten christlichen Kirchen in Deutschland haben in absehbarer Zeit null (!) Mitglieder:
+ Laufen dann die Staatsleistungen trotzdem weiter?
+ Bleibt der Religionsunterricht dann weiterhin "ordentliches Unterrichtsfach"?
+Lassen sich dann unsere PolitikerInnen weiterhin von den Kirchenfunktionären für ihre Privilegien als nützliche Idioten mißbrauchen?
Eine Organisation. die keine Mitglieder mehr hat, löst sich üblicherweise auf...
wolfgang am Permanenter Link
Die Zeit wird kommen bzw. ist doch schon "eingeläuet". Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Unsere Vorfahren waren sich schon früh bewusst, was sie sagten.
dann ist doch die Arche Kirche schon am Untergehen. Wenn ich die "Hirten" anschreibe und nachfrage, kommt nie eine Antwort. Also dieser Spruch, liebet euere Feinde, ist nur ein Spruch und von der Wirklichkeit des katholischen Denkens weit entfernt.
Paul München am Permanenter Link
Frohbotschaft der Bibel? Fehlanzeige!
wolfgang am Permanenter Link
Ein Mann latscht über das Wasser, ein Mann backt 1000 Brote, ein Mann heilt einen Aussätzigen, ein Mann lässt sich ans Kreuz nageln und steht dann wieder auf, fährt zum Himmel auf und nimmt zwei Verbrecher mit.
(...)
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Staatsleistungen sind nichts anderes als Steuergelder welche auch von Atheisten eingezogen werden, das ist einer der Punkte welcher mich auf Grund dieser Unrechts zur Rage bringt.
David Z am Permanenter Link
Wenn unsere zwei weichgespühlten Religionen an Macht verlieren, während eine andere, viel aggressivere Religion an Macht sowie Einfluss gewinnt, erscheint mir der Tausch nicht sehr erstrebenswert.
Dr. Ingeborg Wirries am Permanenter Link
Angesichts der gegen Null tendierenden Mitgliederzahlen bei den sogenannten christlichen Kirchen noch diese Frage: