Der Weihnachtsmann kommt

HIMMELPFORT. Hier ist er schon da. Am 13. November 2006 kehrte der Weihnachtsmann, wie jedes Jahr, pünktlich 11:00 Uhr

an seinen Lieblingswohnsitz zurück. Dieser liegt tief im Osten Deutschlands, dort wo die Säkularisation am weitesten fortgeschritten ist und soziologisch „Volksatheismus“ festgestellt wird.

Himmelpfort im Brandenburger Land ist ein Ortsteil von Fürstenberg an der Havel und nennt sich „Tor zur Mecklenburgischen Seenplatte“. Im dortigen Bundesland ist die <Atheistenquote> am Vierthöchsten. 

Das Erscheinen des Weihnachtsmannes wurde wie immer <fotografisch> festgehalten. Er kommt hierher, weil er das weltliche Umfeld liebt. Nirgends ist ein Gottesmann zu sehen. Niemand bezichtigt ihn, das Heidentum zu befördern. Auch „Interessenvertretungen naturreligiöser Menschen“ sind hier (noch?) selten, die ihn der <Pflege des Germanischen> wegen erforschen. Fern klingen ihm hier auch Märchen wie dieses: „
Die Heiden haben nach der Erfahrung der Christen die Botschaft von der Erlösung offener aufgenommen als das jüdische Volk. Deshalb konnten sich viele aus dem Heidentum bekehrte Christen mit dem Bericht von den drei Sterndeutern <identifizieren>.

Es ist ein Irrtum, der Weihnachtsmann wohne in Berlin, nur weil es hier die größte und älteste Weihnachtsmann-Vermittlung in Deutschland gibt. „Zum 58. Mal bieten die studentischen Arbeitsvermittler der ’Heinzelmännchen’ Personal für den Advent an. Mehr als 400 Weihnachtsmänner werden 4500 Familien in Berlin und Umgebung <besuchen>.“ 
Der Weihnachtsmann wohnt in Himmelpfort, weil er hier noch ehrenamtliches Engagement spürt, z.B. wenn er auf die ihm zu Ehren geschaltete Homepage schaut, weil hier sein offizieller Briefkasten ist und eine "Arbeitsgruppe Weihnachtsmann" wirkt.

Das Schrifttum über ihn zeugt von wenig Frömmigkeit. Loriots Ballade vom <Advent> wird zitiert, ist aber – Achtung: Gewaltprävention! – mit dem Warnhinweis „für Kinder nicht geeignet“ versehen:

„Und in der guten Stube drinnen,
da läuft des Försters Blut von hinnen.
Nun muss die Försterin sich eilen,
den Gatten sauber zu zerteilen.“

Hier in Himmelpfort sammelt sich der Weihnachtsmann noch einmal. Er denkt über sein Leben nach und beklagt, dass der feministische Diskurs über die Weihnachtsfrau abgebrochen ist. Lediglich Irmgard Schwaetzer erinnert sich daran und nennt ihre FDP-Parteiführung (Tagesspiegel, 8. Dezember 2006, S. 10) eine Ansammlung von Weihnachts-Männern. Ansonsten hat sich das schlüpfrige Gewerbe des Themas „Weihnachtsfrau“ bemächtigt. 

Der Weihnachtsmann sitzt in einem der vielen Eisenbahnwaggon-Bungalows, die von früherer Industrie hier zeugen. Er schält sich einen Weihnachtsmann aus dem Silberpapier und freut sich über den Trend zur bitteren <Herrenschokolade>. Dazu macht er sich eine Coca Cola auf. Danach schwelgt er in Erinnerungen, ist er doch eine Erfindung dieser Firma, jedenfalls sein weiß-rotes Aussehen, der Mantel, der Rauschebart, die Kapuze und der „alte Sack“. Erst am Nikolaustag nannte ihn in München Friedrich Kardinal Wetter einen solchen. 

Doch das war Ausdruck von dessen lieber Not, denn das „Christkind kann ein katholischer Kardinal schlecht propagieren, denn das ist in seiner Funktion als Gabenbringer wiederum eine Erfindung Martin Luthers, der gegen die Heiligenverehrung kämpfte und deshalb ein geheimnisvolles Elfenwesen als Nikolaus-Alternative etablierte. Dem ist eine globale Karriere allerdings versagt geblieben, obwohl es zumindest in Deutschland lange nach der Reformation gewissermaßen konvertiert ist und seit Anfang des 20sten Jahrhunderts, wenn überhaupt, überwiegend in <katholischen Haushalten> aktiv ist.“

Er hat es wirklich nicht leicht, der Herr Kardinal: 44 Prozent der deutschen Kinder erleben auch 2006 den Weihnachtsmann „live“. Er hat das „Christkind weit abgeschlagen ... Wer nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubt, wird bald in Erklärungsnot geraten, denn über 24 Millionen <Fotos> werden zum Weihnachtsfest Zeugnis von seiner Existenz ablegen.“
 

Die gemeinsame Geschichte mit Coca Cola amüsiert den Weihnachtsmann, gerade wenn er in Himmelpfort Station macht. Verdankt er doch seinen Triumph im Osten mangelnder Aufklärung – nämlich über diesen Tatbestand. Als hier übereifrige Kulturfunktionäre versuchten, aus der großen roten Sowjetunion das „Väterchen Frost“ einzuführen, kam sein roter Mantel der Geschichte sehr gelegen. Vielleicht wäre er sonst 1965 ebenfalls dem Verdikt gegen alles kulturell Westliche zum Opfer gefallen, wie die „Beatniks“ und die „Nieten in Nietenhosen“ und er wäre – Coca-Cola-verseucht wie er nun mal war – abgestempelt worden (Originalton Walter Ulbricht: „Keine Freiheit für Verrückte, sonst haben wir absolute Freiheiten überall“). 

Verrückte Historie: Statt dessen wurde er trotz klassenfeindlicher Verwandtschaft geadelt, kam hinfort in jeden Kindergarten und jede Brigade. So beförderte er den Abschied vom „Heiligen Abend“ und die Säkularität. Fast könnte man sagen, dass die Leute hier „Mit Gott einfach fertig“ sind (so ein Buchtitel), sei sein Werk. In Amerika würde man das, was man hier inzwischen feiert, „Thanksgiving“ nennen, ein Familientreffen.
Er braucht nicht zu missionieren – kein Christkind, keine Krippe, fast nirgends.

Hier in Himmelpfort schöpft der Weihnachtsmann noch einmal Kraft vor seiner arbeitsreichen Reise. Zwar teilt er sich seine Arbeit mit Santa Clause in Amerika (Nord) und in Russland mit Väterchen Frost. Er muss nur noch seinen Rentierschlitten putzen, sein Panzerhemd ölen und Haare schneiden, damit der Helm gut sitzt. Denn er lebt gefährlich. Immer wieder kommt es zu Missverständnissen, weil als Weihnachtsmann verkleidete <Verbrecher> sich am Eigentum anderer Leute vergreifen, so dass man sich als echter Weihnachtsmann der mitunter tätlich vorgetragenen Vermutung erwehren muss, man sei gerade dabei, einer Oma oder einer Bank das Geld zu rauben.
 

Manchmal fällt ein Weihnachtsmann auch tief. Er wird aus dem saisonalen Job geschmissen. „Harrods“ in London beschäftigt sechs Weihnachtsmänner. Einer wurde gerade entlassen. Der Weihnachtsmann habe „eine asiatische Familie angeschnauzt, sie sollte lieber zum Billigsupermarkt Tesco gehen statt Harrods zu besuchen. Dann seien anzügliche <Bemerkungen> über die halbwüchsige Tochter gefallen.“
Was soll erst werden, wenn auch hier amerikanische Zustände einreißen. Weihnachtsmänner „werden am Bart gezogen, angeniest, vor Aufregung angepinkelt und mindestens zehn Kinder brechen jeden Tag panisch in Tränen aus.“ Das ist alles andere als christliche Weihnacht, das ist ein <Höllenjob>.

Da versteht man doch einerseits, dass sich auch die Weihnachtsmänner gewerkschaftlich zu organisieren beginnen oder sich noch ganz andre Sachen einfallen lassen. In Wien streikten kürzlich einige Weihnachtsmänner. Sie forderten einkaufswütige Passanten auf, anlässlich des internationalen <Buy Nothing Day> dem Konsumterror aktiv zu begegnen und einen 24 Stunden Einkaufs-Boykott zu üben.  Jedoch ist andererseits ein solches Verhalten nicht empfehlenswert. Bei einem internationalen Wettbewerb „Weihnachtsmann des Jahres 2006“ waren schwedische, polnische, englische, australische, finnische, deutsche und andere nordische Weihnachtsmänner gegen Japaner machtlos. Es heißt, sie planen eine <Weihnachtsmann-Invasion>.
 

Solchen Ereignissen sieht man in Himmelpfort mit säkularer Gelassenheit entgegen. Hier sah man schon ganz andere Invasionen: Nord-Schweden, Rot-Russen, Süd-Sachsen und Wessis.

 

Fritz Kummer