BERLIN. (hpd) Im Jahr 2012 ist erstmals in das Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit in Deutschland geraten, dass Vorhautbeschneidungen bei männlichen Kindern lebenslange erhebliche Probleme physischer und psychischer Art hervorrufen können. In der Beschneidungsdebatte nach dem Kölner Landgerichtsurteil im Mai 2012 kamen auch solche Aspekte ausführlich zur Sprache. Diese waren zuvor allenfalls in kleinen Zirkeln ein Thema.
Die Befürworter der Beschneidung an Minderjährigen aus religiösen Gründen waren bemüht, jeglichen und zwar auch nur den geringsten Nachteil für die Betroffenen zu leugnen oder zumindest zu bagatellisieren und stattdessen vermeintliche Vorteile zu behaupten. Was die Befürworter von religiösen Ritualen und Traditionen erreichen konnten, ist das gegen das Kindeswohl gerichtete Gesetz vom 12.12.2012, das die betroffenen Minderjährigen zu bloßen Objekten der religiösen und traditionellen Vorstellungen ihrer Eltern herabwürdigt, und das der Form nach ein allgemeines Gesetz, der Sache nach jedoch ein religiös begründetes Sondergesetz für männliche Kinder aus jüdischen und muslimischen Familien darstellt, und das sie als Sieg gefeiert haben. Was sie jedoch nicht erreichen konnten: das Thema ist nicht vom Tisch, und es finden sich immer wieder Männer, die von den negativen Folgen einer Beschneidung berichten.
Es ist ein großer Verdienst, dass sich im Jahr 2012 etliche betroffene Männer gewagt haben, mit ihren Problemen aufgrund der Beschneidung in die Öffentlichkeit zu gehen und über ein Tabuthema zu sprechen. Dabei war von großer Bedeutung, dass sich auch Männer geäußert haben, die – wenngleich meist aus nichtreligiösen Gründen – erst in oder nach der Pubertät beschnitten wurden. Sie konnten deshalb auch einen Vergleich hinsichtlich ihrer Sexualität vor und nach der Beschneidung anstellen, und ihre Berichte waren niederschmetternd. Diesen Berichten hatten und haben die Beschneidungsbefürworter nichts irgendwie Relevantes entgegenzusetzen; sie wollen sich hiermit auch gar nicht auseinandersetzen und so wiederholen sie beständig ihr Mantra "Das haben wir immer schon so gemacht" und dass sich bei ihnen noch kein Mann beklagt habe.
Jetzt hat sich erneut ein Betroffener zu Wort gemeldet: Andreas A.*, 29 Jahre, beruflich als Softwareentwickler tätig und seit einigen Jahren mit einem gleichgeschlechtlichen Lebenspartner zusammenlebend.
Andreas A. schildert in einem eindrucksvollen und dramatischen Bericht die Folgen seiner (aus medizinischen Gründen) im Alter von acht Jahren vorgenommenen Beschneidung. Er berichtet von mehrtägigen erheblichen Schmerzen (trotz Vollnarkose und zusätzlicher örtlicher Betäubung bei der im Krankenhaus vorgenommenen Beschneidung), von seinem Gefühl, "verstümmelt und unvollständig" und "kein richtiger Junge" mehr zu sein – eine Vorstellung, die fest in seinem Kopf verankert ist und auch heute noch negative Auswirkungen hat -, später von erheblichen Schamgefühlen beim Umkleiden im Sportunterricht und bei der Beschäftigung mit diesem Thema im Religionsunterricht, was auch zu Dauerstress und Kopfschmerzen führte, mit der Folge, dass er vom Gymnasium auf die Hauptschule wechseln musste.
Er beschreibt eine ständig vorhandene Angst und Scham, dass die Anderen merken könnten, dass er beschnitten war – eine Peinlichkeit, mit der er, im Kindesalter, völlig alleingelassen war – über Jahre – und ohne Hilfe lernen musste, damit zu (über)leben. Andreas A. benennt seine Probleme mit der Sexualität und schreibt über seine Gefühle, nachdem alle Versuche, der Beschneidung eine positive Bedeutung zu geben, gescheitert waren: "Noch immer empfand ich Neid und ein Gefühl der Minderwertigkeit, wenn ich daran dachte, dass andere Jungen einen vollständigen Körper haben durften und ihnen nicht am intimsten Bereich ihres Körpers ein Stück weggeschnitten worden war."
Und (fast) schlimmer noch: wenn er dann doch einmal wagte, mit Freunden oder Mitschülern darüber zu sprechen, dann wurden seine Probleme nicht ernst genommen. "Es sind doch so viele Jungs beschnitten, das ist doch ganz normal" hieß es dann etwa.
Beim Thema Sex macht er in eindrucksvoller Weise deutlich, was den Unterschied der sexuellen Empfindungen bei einem beschnittenen und bei einem nichtbeschnittenen Mann ausmacht. Diesen Unterschied kennt Andreas A. aus eigenem Erleben, da er schwul ist. Er schreibt: "Da mir mit dem sensiblen inneren Vorhautblatt eine erogene Zone weggeschnitten wurde und auch die Eichel wegen des fehlenden Schutzes mit der Zeit abgestumpft war, war ich hauptsächlich am Eichelrand empfindlich, wo sich noch ein paar Millimeter Vorhautrest und die Beschneidungsnarbe befand" und beschreibt seine Gefühlswelt, in der Trauer um den Verlust der eigenen Vorhaut, die ihm widerfahrene Verstümmelung und auch Neid und Gefühle von Minderwertigkeit gegenüber Männern mit intakter Vorhaut stets wiederkehrend sind und nur schwer ausgeblendet werden können. Bis hin zu depressiven Phasen haben ihn diese Gefühle geführt, die bis heute erhebliche Auswirkungen auf sein Leben haben.
Die bundesweite Beschneidungsdebatte des Jahres 2012 führte bei Andreas A. dazu, dass seine aus der Beschneidung resultierenden Probleme wieder – mit voller Wucht und nicht verdrängbar - zum Vorschein kamen und er in einem langen sich über Monate hinziehenden schmerzhaften Prozess sich mit ihnen auseinandersetzte, ja auseinandersetzen musste, bis er sie einigermaßen verarbeiten konnte. Durch die über ein halbes Jahr lange intensive Auseinandersetzung mit seinem Trauma ist es ihm dann gelungen, offener mit seinen Problemen umgehen zu können.
Dies alles führt Andreas A. in seinem Bericht aus. Und er versinkt nicht in Pessimismus. Sein Bericht endet mit diesen Sätzen: "Zur Zeit bin ich daran beteiligt, einen Verein zu gründen, der sich für die genitale Selbstbestimmung von Kindern und besonders auch von Jungen einsetzt. Ich möchte dort mit den Erfahrungen meiner Beschneidung dazu beitragen, dass das Leid vieler beschnittener Männer in der Gesellschaft erkannt wird und unnötige Beschneidungen der Vergangenheit angehören."
Der Bericht von Andreas A. ist ein weiterer Beleg dafür, zu welchen Folgen Beschneidungen von Minderjährigen führen (können). Dieser Beleg wird allen jenen, die solche Folgen leugnen oder bagatellisieren, vorgehalten werden können. Mit Tatsachen gehen die Ideologien – diese Entwicklung geht weiter, und Betroffene wie Andreas A. haben einen wesentlichen Anteil daran. Danke.
Walter Otte
*Der vollständige Name des Betroffenen ist der Redaktion bekannt
Der Bericht ist auf den Folgeseiten in voller Länge dokumentiert.
Ich war kein richtiger Junge mehr
Erfahrungsbericht eines Betroffenen, Oktober 2013
Die Beschneidung
Ich wurde Anfang der neunziger Jahre im Alter von etwa 8 Jahren beschnitten. Der Grund dafür war, dass sich meine Vorhaut nicht problemlos zurückziehen ließ und es beim Urinieren schmerzte. Also fuhren meine Eltern zusammen mit mir und auch meiner Schwester zum Urologen. Dort wurde ich auf eine Liege gelegt und der Arzt untersuchte mich, während meine Familie daneben stand und zusah. Diese Situation empfand ich als peinlich und erniedrigend, aber anscheinend machte man sich keine Gedanken um meine Gefühle. Bereits nach kurzer Zeit stand das Ergebnis der Untersuchung fest: Ich müsse beschnitten werden.
Meine Eltern hatten zwar bereits von der Vorhautbeschneidung gehört, wussten aber nicht, was dabei genau gemacht wird. Aber der Arzt konnte meine Eltern beruhigen, indem er sagte, es sei nur ein kleiner Schnitt und dann wäre ich die Probleme für immer los. Mehr erfuhren meine Eltern nicht. Weder wurden sie darüber aufgeklärt, welche Alternativen es zur Beschneidung gibt, noch wurde ihnen erklärt, was überhaupt alles weggeschnitten wird und welche Auswirkungen dies haben würde.
Da es keine große Sache zu sein schien, vereinbarten meine Eltern einen Termin und wir fuhren ein paar Tage später ins Krankenhaus. Dort wurde ich "nach den Regeln der ärztlichen Kunst", also unter Vollnarkose und zusätzlicher örtlicher Betäubung radikal beschnitten, das heißt die gesamte Vorhaut wurde entfernt. Die Operation verlief wie geplant und es gab keinerlei Komplikationen. Als ich im Krankenhaus aus der Narkose aufwachte, machte ich mir noch keine Gedanken, denn es war mir ja gesagt worden, dass es nur ein kleiner Schnitt sei. Noch am selben Tag konnten wir wieder nach Hause fahren. Doch bereits auf dem Weg ließ die Betäubung nach und es kamen die Schmerzen. Es fing an fürchterlich zu brennen und bei jeder Bewegung durchzuckte mich ein stechender Schmerz. Zuhause konnte ich dann einen Blick auf das Ergebnis der Beschneidung werfen, denn ich hatte keinen Verband, sondern nur eine Art Lendenschurz aus Verbandsmaterial um. Der erste Blick war ein Schock für mich, es sah einfach schrecklich aus. Die Eichel war knallrot gefärbt und darunter befand sich die geschwollene und blau angelaufene Wunde mit dunkelroten Wundrändern, die von dunkelblauen Fäden zusammengehalten wurden. Was hatte dieser "kleine Schnitt" dort angerichtet? Darauf war ich nicht vorbereitet, weil mir niemand gesagt hatte, was alles weggeschnitten werden sollte. Auch meine Eltern waren überrascht darüber, dass so viel abgeschnitten worden war.
In den Tagen nach der Operation hatte ich starke Schmerzen. Zum einen schmerzte die noch frische Wunde und dazu kam der Schmerz, der dadurch verursacht wurde, dass die nun ungeschützte Eichel ständig am Verbandstuch rieb. Besonders schlimm war es beim Urinieren, da es fürchterlich brannte und ich es deshalb nur tröpfchenweise laufen lassen konnte. Meine Mutter rührte mir dann regelmäßig eine lauwarme Flüssigkeit an, in die ich meinen Penis tauchen musste. Ich wusste nicht für was das gut sein sollte, denn die Schmerzen linderte sie nicht. Der Geruch dieser Flüssigkeit hat sich so in mein Gedächtnis eingebrannt, dass ich mich auch heute noch gut daran erinnern kann. Während der Heilungsphase konnte ich keine Hosen anziehen und selbst das Zudecken im Bett war ohne Schmerzen nicht möglich. Allerdings war das nicht mein größtes Problem. Viel schlimmer waren für mich die psychischen Auswirkungen. Ich fühlte mich verstümmelt und unvollständig. Ich war der Meinung, kein richtiger Junge mehr zu sein, weil mir etwas vom Penis weggeschnitten wurde und ich keinen vollständigen Körper mehr hatte. Konnte man das, was übrig war überhaupt noch „Penis“ nennen? Zu einem Penis gehört doch auch die Vorhaut. Mehrfach fragte ich meine Mutter, ob es wieder nachwachsen würde, was mir weggeschnitten wurde, aber ich bekam nie eine konkrete Antwort.
In der Schule
Es dauerte mehrere Tage, bis ich wieder zur Schule gehen konnte. Meine Mitschüler fragten mich, warum ich so lange nicht in der Schule war und ob ich krank war, doch ich gab ihnen keine Antwort. Es war mir nicht einfach nur zu peinlich, sondern ich hatte solche Hemmungen, dass ich nicht einmal ein einziges Wort darüber herausbrachte. Das übernahm dann meine Lehrerin, die von meiner Beschneidung wusste. Gleich in der ersten Stunde sprach sie das Thema an. Sie erzählte den Schülern, was bei einer Beschneidung gemacht wird und sagte, dass es überhaupt nicht schlimm sei. Ich fühlte mich entblößt und verraten, doch auch hier schien sich niemand für meine Gefühle zu interessieren.
Natürlich war die Absicht meiner Lehrerin gut gemeint, aber sie sorgte dafür, dass ich zwar im Mittelpunkt des Gesprächs stand, mich dabei jedoch nur als Außenseiter fühlte. Ein Außenseiter, der ich bis zum Ende der Grundschule und auch darüber hinaus blieb, denn ich fing an, mich von meinen Klassenkameraden abzuschotten. Schließlich wusste jetzt die ganze Klasse, dass man mich verstümmelt hatte und ich kein richtiger Junge mehr war. Mein ohnehin schon schwach ausgeprägtes Selbstvertrauen wurde dadurch stark beschädigt. Von nun an fühlte ich mich in der Schule unwohl und hatte häufig Bauchschmerzen. Besonders schlimm war es an Tagen, an denen wir Sportunterricht hatten. Zwar waren wir in der Umkleidekabine nie vollständig nackt und ließen immer unsere Unterhosen an, aber selbst diese Situation machte mir Angst. Es hätte schließlich sein können, dass mir jemand die Hose runterzog und man mich verspottete.
Nach der Grundschule kam ich aufs Gymnasium – es war eine reine Jungenschule. Da ich immer noch das Gefühl hatte, kein richtiger Junge zu sein, fühlte ich mich dort von Anfang an fehl am Platz. Dieser Umstand in Verbindung mit meinem geringen Selbstvertrauen sorgte dafür, dass ich kaum Freundschaften knüpfte und mich von meinen Mitschülern isolierte.
Im zweiten Jahr an dieser Schule bekamen wir Schwimmunterricht. Im Schwimmbad gab es für alle Schüler nur einen großen Umkleideraum. Die anderen Jungen hatten anscheinend keine Probleme damit, sich vor den Augen der Anderen auszuziehen, und liefen dort freizügig herum. Mit einem Gefühl von Neid musste ich mir ansehen, dass sie über einen vollständigen Körper verfügten und noch hatten, was mir genommen wurde. Es gab mir das unerträgliche Gefühl, minderwertig zu sein und ich schämte mich für meinen unvollständigen Körper. Also durfte niemand meinen verstümmelten Penis sehen und herausfinden, dass ich kein richtiger Junge war. Zudem war es mir unheimlich peinlich, dass meine Eichel vollkommen entblößt war und man die wohl intimste Stelle meines Körpers sehen konnte. In beinahe panischer Angst suchte ich mir die unauffälligste Ecke und wartete mit dem Umziehen, bis die meisten Klassenkameraden fertig waren und ich mich unbeobachtet fühlte.
Eine Zeit lang funktionierte diese Taktik, doch an einem Tag sprach mich ein Klassenkamerad auf mein Verhalten an. Er erkannte, dass ich mich schämte, mich nackt zu zeigen, sprach mir Mut zu und wartete darauf, dass ich mich unter rasendem Herzklopfen vor seinen Augen umzog. Als er dann sah, dass ich beschnitten war, hörte er plötzlich auf zu sprechen und starrte mich mit einem mitleidigen Blick an. Ich drehte mich um und zog mich schnell weiter um. Es war mir total peinlich, dass er mich so sah und ich fühlte mich nicht nur körperlich entblößt. Mehr noch, ich hatte in diesem Moment die Kontrolle darüber verloren, zu bestimmen, ob jemand von meiner Beschneidung erfuhr. Ich weiß bis heute nicht, ob er es für sich behielt oder in der Klasse weitererzählte. Diese Unsicherheit sorgte dafür, dass ich meinen Mitschülern misstraute und mich sogar ein wenig von ihnen bedroht fühlte.
Die gesamte Situation an dieser Schule bereitete mir zunehmend großen Stress und ich bekam immer häufiger Kopfschmerzen. Meine Fehlzeiten nahmen zu und meine Schulnoten wurden immer schlechter. Nachdem nach mehreren Arztbesuchen keine Lösung für dieses Problem gefunden wurde, schickte man mich zum Schulpsychologen, der die Ursache für meine Probleme herausfinden sollte. Auch nach mehreren Terminen konnte ich ihm nicht von meinen wirklichen Problemen erzählen. Ich redete mit niemandem darüber und auch meine Eltern ahnten während meiner Schulzeit nichts über meine Probleme mit der Beschneidung. Irgendwann konnte ich aufgrund meiner hohen Fehlzeiten nicht mehr auf dieser Schule bleiben.
Ich kam vom Gymnasium in die Hauptschule, wo sich meine Situation wieder einigermaßen besserte. Niemand wusste von meiner Verstümmelung und dass ich kein richtiger Junge mehr war. Es gab nur wenige Situationen, in denen ich aufpassen musste, dass mich niemand nackt sah oder auf andere Weise von meiner Beschneidung erfuhr.
Im Religionsunterricht gab es die Situation, in der über Religionen gesprochen wurde, in denen die Jungen beschnitten werden. Mir war das Thema sehr peinlich und ich hoffte, dass es niemand bemerken würde und so herausfinden könnte, dass ich selbst beschnitten war. Ich befürchtete, der Lehrer könnte fragen, wer von uns beschnitten sei, aber das blieb zum Glück aus. Was mir allerdings auffiel war, wie harmlos und selbstverständlich das Thema dargestellt wurde. Ich hatte ganz andere Erfahrungen gemacht, aber es war mir viel zu peinlich, darüber zu sprechen.
Ansonsten hatte ich während der Schulzeit Angst vor mehrtägigen Klassenfahrten, weil hier das Risiko bestand, dass mich jemand beim Duschen sah. Ich ging deshalb nur selten unter die Dusche und achtete genau darauf, dass niemand in der Nähe war. Die Angst vor dem Duschen war es auch, die mich davon abhielt, in meiner Freizeit Sport zu machen. Ebenso wäre es für mich unvorstellbar gewesen, auf öffentlichen Toiletten ans Pissoir zu gehen.
Die Entdeckung der Sexualität
Irgendwann während meiner Schulzeit fing ich mit Selbstbefriedigung an, was ohne Vorhaut nicht ganz einfach war. Zunächst versuchte ich, mit der trockenen Hand an der Eichel zu reiben, doch außer unangenehmen bis schmerzhaften Gefühlen passierte nichts weiter. Ich probierte dann verschiedene Techniken und Hilfsmittel wie beispielsweise weiche Stofftücher aus, mit denen es zwar einigermaßen funktionierte, mit denen ich mir aber auch manchmal kleinere Verletzungen, wie Hautabschürfungen an der Eichel, zuzog. Irgendwann kam ich dann auf die Idee, Shampoo als Gleitmittel zu verwenden. Das funktionierte zwar kurzzeitig ganz gut, aber auf Dauer trocknete es die Haut ziemlich stark aus, so dass feine Risse auf Oberfläche der Eichel entstanden und für einige Zeit keine schmerzfreie Selbstbefriedigung mehr möglich war. Es dauerte eine lange Zeit, bis ich passende Techniken und Gleitmittel gefunden hatte, mit denen die Selbstbefriedigung ohne größere Probleme möglich war. Besonders während der Zeit des Experimentierens wünschte ich mir immer wieder meine Vorhaut zurück. Ich wollte einfach nur ein normaler Junge sein.
Mittlerweile hatte ich die Hoffnung endgültig aufgegeben, dass meine Vorhaut wieder nachwachsen würde und so musste ich irgendwie mit meinem Zustand klarkommen. Ich wünschte mir meine Vorhaut zurück und versuchte mir oft vorzustellen, wie es sein würde, eine Vorhaut zu haben. Die Gewissheit, dass sich an meinem Zustand nichts ändern würde, verursachte ein beklemmendes Gefühl und ich fragte mich, wie ich mein ganzes Leben so ertragen sollte. In der Jugendzeitschrift "Bravo" las ich zu dieser Zeit, dass es ganz normal ist, beschnitten zu sein und man damit auch keine Nachteile hat. Diese Aussagen kamen natürlich wie gerufen, denn es würde bedeuten, dass ich ein ganz normales Leben führen könnte und mir keine Gedanken machen müsste.
Ich versuchte mir einzureden, dass nur ein kleines nutzloses Stückchen Haut entfernt wurde und dass ich eigentlich keine Probleme damit haben dürfte. Ich unterdrückte so meine Probleme, doch sehr erfolgreich war ich damit nicht. Bei jeder Gelegenheit kamen die Probleme immer wieder hoch. Es reichte schon aus, wenn zum Beispiel vom Beschneiden von Hecken oder Rechten die Rede war und sofort wurde ich wieder an meine Beschneidung und meinen unvollständigen Körper erinnert. Noch immer empfand ich Neid und ein Gefühl der Minderwertigkeit, wenn ich daran dachte, dass andere Jungen einen vollständigen Körper haben durften und ihnen nicht am intimsten Bereich ihres Körpers ein Stück weggeschnitten worden war.
In dieser Situation war es für mich noch immer kaum möglich, mein Selbstvertrauen aufzubauen. Ein paarmal nahm ich dennoch allen Mut zusammen und sprach mit einem Freund oder Mitschüler über meine Beschneidung und die Probleme, die ich damit hatte. Jedoch wurde das Thema in jedem Fall regelrecht abgewürgt, noch bevor ich überhaupt ausgesprochen hatte. Mein Problem wurde einfach nicht ernst genommen und mit Sätzen wie "Es sind doch so viele Jungs beschnitten, das ist doch ganz normal" oder "Es ist doch viel hygienischer und man kann beim Sex auch viel länger" leichtfertig abgetan.
Die erste Beziehung
Ich war bereits 18 Jahre alt, als ich meine erste Beziehung – das heißt in meinem Fall meinen ersten Freund – hatte. Davor hatte ich mich zwar nach einem liebevollen Freund gesehnt, war aber lange Zeit mit meinem Körper so unzufrieden, dass eine Beziehung für mich nicht in Frage kam. Ich hatte Angst davor, wegen meines unvollständigen Körpers zurückgewiesen zu werden und wollte auch niemandem meinen verstümmelten Penis antun. Außerdem fühlte ich mich in Gegenwart anderer Jungen immer noch minderwertig.
Dann lernte ich also meinen ersten Freund kennen. Die erste Frage, die sich mir stellte, war, wie er reagieren würde, wenn er mich das erste Mal nackt sieht. Ich konnte ja wohl mit meinem unvollständigen Körper seine Erwartungen nicht vollständig erfüllen. Außerdem hatte ich sowieso Hemmungen, mich jemandem nackt zu zeigen. Schließlich kam es dann zu ersten sexuellen Kontakten mit ihm. Wir lagen zusammen im Bett, als er plötzlich mit seiner Hand in meine Hose fuhr. Er begann die Haut an meinem Penis herumzuziehen und versuchte offensichtlich, meine nicht vorhandene Vorhaut zu bewegen. Mein Herz raste und ich fing an zu zittern, denn nun würde er herausfinden, dass ich beschnitten war. Als er dann nach kurzer Zeit tatsächlich bemerkte, dass etwas nicht stimmte, fragte er mich, ob ich beschnitten sei. Jetzt war also der Moment gekommen, an dem ich es ihm verraten musste. Nur mit Mühe brachte ich ein leises „ja“ heraus. Zu meiner großen Überraschung schien ihm das nichts auszumachen, denn er zeigte keinerlei negative Reaktionen. Allerdings wurden seine Berührungen trotzdem nicht wesentlich angenehmer, weil er einfach nicht wusste, wie er mit einem beschnittenen Penis umgehen sollte.
Umgekehrt war es aber nicht anders, denn auch ich wusste nicht, wie ich mit einem unbeschnittenen Penis umzugehen hatte. Anscheinend fügte ich ihm Schmerzen zu, als ich mit meiner Hand direkt über seine Eichel rieb. Er zeigte mir dann, wie ich bei ihm die Vorhaut vor und zurück schieben musste, was für mich ein faszinierendes Gefühl war, das ich bisher nicht kannte. Eine weitere Überraschung war für mich, dass sein Penis kaum roch. Ich hatte gehört, dass es unter der Vorhaut immer feucht ist und sich deshalb schnell ein starker Geruch bildet, doch beides traf nicht zu. Obwohl es bereits viele Stunden her war, seit sich mein Freund zuletzt gewaschen hatte, war zu meiner Verwunderung kaum ein Geruch wahrnehmbar.
Sexuelle Nachteile
Weniger angenehm war es für mich, den Unterschied zwischen einem beschnittenen und einem intakten Penis zu erleben. Bisher hatte ich nur spekulieren können, wie ein intakter Penis im Detail aussieht und ich wusste nicht einmal, wie die Vorhaut funktioniert. Nun hatte ich erstmals den direkten Vergleich und ich musste eine Reihe von negativen Auswirkungen der Beschneidung bei mir feststellen.
Neben dem offensichtlichen Unterschied, dass bei mir die Vorhaut fehlte, die Eichel frei lag und sich darunter nur eine dünne Narbenlinie befand, fiel mir auf den ersten Blick deutliche Farb- und Strukturunterschiede auf. Während er eine zarte, rosafarbene Vorhaut und eine purpurfarbene Eichel mit glatter Oberfläche hatte, war meine Eichel blass und hatte eher eine graubraune Färbung. Zudem war die Oberfläche nicht glatt, sondern von einer trockenen und leicht schrumpeligen Hautschicht bedeckt, eine dünne Hornhaut, die sich im Laufe der Jahre gebildet hatte, weil der Schutz der Eichel durch die Vorhaut fehlte.
Aber nicht nur beim Aussehen, sondern auch bei der Empfindsamkeit gab es deutliche Unterschiede. Im Unterschied zu meinem Freund, der sehr sensibel auf Berührungen reagierte, brauchte es bei mir schon einen festen Druck, damit ich überhaupt etwas spürte. Da mir mit dem sensiblen inneren Vorhautblatt eine erogene Zone weggeschnitten wurde und auch die Eichel wegen des fehlenden Schutzes mit der Zeit abgestumpft war, war ich hauptsächlich am Eichelrand empfindlich, wo sich noch ein paar Millimeter Vorhautrest und die Beschneidungsnarbe befand.
An dieser Stelle musste mich mein Freund mit festem Druck und mit Hilfe von Gleitmittel anfassen, damit ich ausreichend stimuliert wurde. Wenn er mich jedoch nicht an der richtigen Stelle anfasste, verspürte ich kaum etwas und wenn der Griff zu fest wurde oder das Gleitmittel nicht ausreichte, wurde es schnell unangenehm und teilweise auch schmerzhaft. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich meinem Freund die richtige Technik beigebracht hatte. Er erzählte mir während dieser Zeit häufig, wie einfach es doch bei seinem intakten Ex-Freund gewesen sei und was er bei ihm alles hätte machen können, was bei mir nicht möglich war.
Es ist also keineswegs so, dass nur ein kleines Stückchen Haut fehlt und die Beschneidung keinen großen Einfluss auf die Sexualität hat, wie oft behauptet wird. Bei mir hat es das Aussehen verändert, die Empfindsamkeit verringert und durch die fehlende Vorhaut auch die sexuellen Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt. Ich musste feststellen, dass mein Penis nicht wie vorgesehen funktionierte und mehr denn je empfand ich meinen Körper als verstümmelt.
Nach etwa einem halben Jahr trennte sich mein Freund wieder von mir. Er erzählte mir hinterher, dass er einen beschnittenen Penis langweilig findet, was aber nicht der Grund für die Trennung sei. Das bisschen Selbstvertrauen, was ich bis dahin aufgebaut hatte, war mit einem Schlag wieder zerstört. Bei meinen Beziehungen, die ich seitdem hatte, erinnerte ich mich immer wieder daran und hatte jedes Mal erneut Angst vor dem Moment, in dem ich zugeben musste, beschnitten worden zu sein. Glücklicherweise gab es aber nur diese eine negative Reaktion meines ersten Freundes, den anderen war es relativ egal – zumindest sagten sie das so.
In jeder folgenden Beziehung musste ich neu beginnen, meinen Partnern beizubringen, wie sie mit mir umgehen musste, da keiner von ihnen zuvor einen beschnittenen Freund hatte. Es dauerte immer eine längere Zeit, bis es reibungslos funktionierte. Solange musste ich eben selbst Hand anlegen, um zum Orgasmus zu kommen, was nicht nur für mich, sondern auch für meine Partner unbefriedigend war. Dazu kam, dass besonders die Notwendigkeit von Gleitmittel meist als störend, unangenehm oder sogar ekelhaft empfunden wurde. Insgesamt war es so kaum möglich, eine natürliche und unbeschwerte Sexualität zu genießen. Einzige Ausnahme war an dieser Stelle ein Sexualpartner, der ebenfalls beschnitten war. Er kannte sich bereits aus, aber auch in diesem Fall war der Sex für mich unbefriedigend. Mir war bereits klar, dass ich einen beschnittenen Penis unattraktiv finde, weil er auf mich einfach verstümmelt wirkt und ich damit eine Menge negativer Assoziationen verknüpfe. Diese Gefühle irrten beim Sex die ganze Zeit in meinem Kopf herum, so dass einfach nichts mehr funktionierte. Bei einem intakten Sexualpartner empfinde ich zwar auch negative Gefühle wie Trauer um den eigenen Verlust und Neid, aber diese Gefühle lassen sich wesentlich besser ausblenden.
Die Beschneidungsdebatte
Seit einigen Jahren habe ich einen festen Freund, der mit meiner Beschneidung ganz gut klar kommt und so konnte ich das Thema in dieser Zeit recht gut unterdrücken. Ich kam nur selten in depressive Phasen, die ich früher viel häufiger hatte.
Doch mit der Beschneidungsdebatte im Jahr 2012 änderte sich das wieder. Das Gerichtsurteil des Landgerichts Köln, das die Beschneidung als Körperverletzung wertete, kam für mich sehr überraschend, weil es für mich keine Frage war, dass es sich um eine Körperverletzung handelt. Es wird schließlich ein sinnvolles Körperteil entfernt, was zu einer Reihe von negativen Folgen führt, wie ich es am eigenen Körper erleben musste. Was die Debatte für mich so belastend machte, waren die Zeitungsartikel und Kommentare, in denen die Beschneidung auf beinahe unerträgliche Weise verharmlost wurde. Es war erschreckend für mich festzustellen, wie wenig die Leute über die Auswirkungen der Beschneidung wussten. Die Beschneidung wurde teilweise als harmloser Eingriff dargestellt, der mit Impfen oder Haareschneiden vergleichbar sei.
Die Beschneidungsdebatte und besonders die verharmlosenden Kommentare sorgten bei mir dafür, dass die Erinnerungen an meine Beschneidung wieder schmerzhaft zum Vorschein kamen. Ich war gezwungen, mich erneut damit auseinander zu setzen. Mir wurde bewusst, wie stark die Beschneidung mein bisheriges Leben beeinflusst hatte. Die Auswirkungen meiner Beschneidung machen sich auch jetzt noch, 20 Jahre später, bemerkbar. Es hinterlässt deutliche Spuren, wenn man mit dem Gefühl aufwächst, kein richtiger Junge zu sein und sich dadurch jahrelang minderwertig fühlt. Noch immer habe ich ein geringes Selbstvertrauen, was mich in meinem Leben in vielerlei Hinsicht einschränkt. Gerade im Berufsleben ist das noch ein großes Problem für mich. Ich bin unzufrieden mit meinem Körper und den körperlichen Nachteilen der Beschneidung. Auch die immer weiter fortschreitende Desensibilisierung macht sich bemerkbar.
Mittlerweile muss ich beim Sex aktiv und konzentriert auf den Orgasmus hinarbeiten und kann es nicht einfach entspannt genießen. Nicht selten sind diese Bemühungen umsonst.
Auch heute noch werde ich täglich an meine Beschneidung erinnert. Das geht so weit, dass bereits jeder Gang zur Toilette und der Anblick meines beschnittenen Penis an meiner Stimmung nagt. Irgendwann ist das Maß voll und ich komme wieder regelmäßig in depressive Phasen. Mein Freund sagt mir in solchen Momenten, dass es so nicht weitergehen kann und ich denke er hat Recht. Zurzeit informiere ich mich über Psychotherapien und hoffe, dass ich damit zumindest einen Teil meiner Probleme in den Griff bekomme.
Seit der Beschneidungsdebatte kann ich jedoch auch offener mit meiner Beschneidung umgehen. Während ich sie 20 Jahre lang verheimlicht habe, kann ich mittlerweile darüber reden. Ich habe angefangen, mit Freunden und Kollegen über die Beschneidung und auch meine persönlichen Probleme damit zu sprechen. Dabei stelle ich oft fest, dass meine Gesprächspartner nur wenig über das Thema wissen und dass Fehlinformationen noch immer weit verbreitet sind. Aber immerhin werden meine Probleme jetzt einigermaßen ernst genommen und nicht wie früher direkt abgeschmettert. Ich konnte auch mit Betroffenen, mich mit ihnen über das Internet austauschen oder einfach nur von ihren Erfahrungen lesen. Mir wurde bewusst, dass noch viele andere Männer solche Probleme haben und sich diese stellenweise erstaunlich ähnlich sind.
Das Gespräch mit den Eltern
Nachdem ich mit vielen Leuten darüber gesprochen hatte, sprach ich auch zum ersten Mal meine Eltern auf meine Beschneidung an. Sie wussten überhaupt nicht, dass ich damit solche Probleme hatte und auch immer noch habe. Sie führten meine Probleme in der Schulzeit nicht darauf zurück und da ich zuvor nie mit ihnen darüber gesprochen hatte, dachten sie, es sei für mich in Ordnung, beschnitten worden zu sein. Ich habe ihnen auch von den körperlichen und psychischen Problemen erzählt, die ich seitdem habe, aber ich habe nicht das Gefühl, dass sie den vollen Umfang meiner Probleme begreifen.
Besonders mein Vater scheint meine Probleme nicht nachvollziehen zu können. Meine Eltern können sich nicht vorstellen, welche Folgen ihre Entscheidung für mein Leben hatte. Sie haben damit in einer Weise über mein heutiges Leben bestimmt, wie es ihnen nicht zusteht. Sie haben über meine heutige körperliche und psychische Verfassung bestimmt. Zudem haben sie tief in meine sexuelle Selbstbestimmung eingegriffen, indem sie dafür gesorgt haben, dass ich keine normale Sexualität erfahren kann. Obwohl ich davon ausgehe, dass meine Eltern nur das Beste für mich wollten und sich nicht anders hätten entscheiden können, weil der Arzt sie nicht richtig aufgeklärt hatte, sehe ich das Verhältnis zu meinen Eltern als belastet an.
Ich ließ mir von meinen Eltern auch ganz genau von den Problemen, die ich damals hatte, berichten. Bisher ging ich davon aus, dass ich eine Vorhautverengung (Phimose) hatte und deshalb beschnitten wurde, wobei selbst eine Phimose nur in den seltensten Fällen eine radikale Beschneidung erfordert. Aber was meine Eltern mir erzählten, hörte sich nicht nach einer Phimose an. Es schien eher so zu sein, dass sich bei mir die Vorhaut, die im Kindesalter noch mit der Eichel verwachsen ist, einfach noch nicht richtig abgelöst hatte und der Ablösevorgang nicht vollkommen reibungslos verlief. Wenn das zutrifft, wäre meine Beschneidung kaum zu rechtfertigen, denn es handelt sich dabei um einen ganz gewöhnlichen Vorgang.
Heute weiß ich, dass der überwiegende Teil der medizinisch begründeten Beschneidungen unnötig ist, weil es andere vielversprechende Maßnahmen wie eine Salbentherapie und vorhauterhaltende Eingriffe gibt oder weil sich das Problem in vielen Fällen mit der Zeit von selbst erledigt. Wenn ich all das zusammen betrachte, muss ich davon ausgehen, dass bei mir keine zwingende Notwendigkeit für eine Beschneidung bestand. Dass ich dennoch beschnitten wurde und jetzt mit den Nachteilen leben muss, ist umso deprimierender. Ich hätte mir gewünscht, dass meine Eltern sich besser informiert und mehr Geduld mit meinen damaligen Problemen gehabt hätten.
Neue Wege
Vor etwa einem halben Jahr habe ich mit einer manuellen Vorhautrekonstruktion begonnen. Dabei wird die Schafthaut gedehnt und mit der Zeit bildet sich an den unter Zug stehenden Stellen die Haut nach. Zwar lässt sich damit nicht das empfindsame Gewebe der Vorhaut wiederherstellen, aber zum einen lässt sich damit ein fast normales Erscheinungsbild herstellen und zum anderen schützt die so erzeugte Haut die Eichel, die sich dann wieder ein Stück weit regenerieren kann.
In den Dehnpausen sorge ich mit einem Gummiaufsatz dafür, dass die Eichel rund um die Uhr vor Reibung geschützt ist. Nachts trage ich zusätzlich eine hornhautlösende Feuchtigkeitscreme auf. Diese Behandlung zeigt bereits erste Wirkung. Die Farbe der Eichel ist dabei, sich zu normalisieren und auch die Empfindsamkeit hat sich ein wenig erhöht. Insgesamt wird es mehrere Jahre dauern, bis genug Haut erzeugt wurde, um die Eichel zu bedecken. Es wird zwar nie so sein wie mit einer echten Vorhaut mit all ihrer Funktionen, aber ich kann zumindest die körperlichen Auswirkungen meiner Beschneidung ein wenig abmildern. Bisher ist die Haut schon ein wenig lockerer geworden, so dass sie bei Erektionen weniger spannt. Es ist nicht viel, aber schon solche kleinen Fortschritte helfen mir sehr, mein Selbstvertrauen weiter aufzubauen.
Ein weiterer Versuch, mein Selbstvertrauen aufzubauen besteht darin, Sport zu machen, um mich wieder wohler in meinem Körper zu fühlen. Bisher habe ich in meinem Leben so gut wie keinen Sport gemacht und mich nur wenig um meinen Körper gekümmert, weil es für mich einfach keinen Sinn machte. Schließlich war er verstümmelt worden und würde es für immer bleiben. Mittlerweile bin ich aber der Ansicht, dass ich damit Fortschritte erzielen kann. Eine sportlichere Figur in Verbindung mit einer zumindest optisch rekonstruierten Vorhaut wird sicher sowohl mein Wohlbefinden als auch mein Selbstvertrauen stärken. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, regelmäßig ins Fitnessstudio zu gehen.
Gleich beim ersten Termin habe ich mich zudem gezwungen, mich meinen größten Ängsten zu stellen und dort duschen zu gehen. Für mich war es eine große Herausforderung, mich in einem Raum auszuziehen, in dem sich andere Männer befinden. Meine Beine zitterten dermaßen, dass mir alleine das Ausziehen Schwierigkeiten bereitete. Ich fühlte mich wieder wie im Schwimmunterricht in der Schule, aber ich gewöhnte mich bereits nach kurzer Zeit an diese Situation. Ich ging duschen, trocknete mich ab und zog mich wieder an – es war geschafft und niemand hatte sich darum gekümmert, dass ich beschnitten bin. Es war ein tolles Gefühl, diese Situation, vor der ich immer Angst hatte, als Normalität zu erleben.
Inzwischen ist mehr als ein Jahr seit dem Kölner Gerichtsurteil vergangen und wir haben ein Gesetz, das es Eltern erlaubt, ihre Söhne beschneiden zu lassen, einfach nur weil sie es wollen. In einer Gesellschaft, die nur wenig über die weitreichenden Folgen der Beschneidung aufgeklärt ist, wird dieses Gesetz eine Menge Leid verursachen.
Viele Menschen in Deutschland stehen unnötigen Beschneidungen zwar bereits kritisch gegenüber, aber das Verständnis für das gesamte Ausmaß des Problems scheint dennoch kaum verbreitet zu sein. Noch immer werden die gängigen Fehlinformationen verbreitet, teilweise selbst von kritisch eingestellten Personen. Zurzeit bin ich daran beteiligt, einen Verein zu gründen, der sich für die genitale Selbstbestimmung von Kindern und besonders auch von Jungen einsetzt. Ich möchte dort mit den Erfahrungen meiner Beschneidung dazu beitragen, dass das Leid vieler beschnittener Männer in der Gesellschaft erkannt wird und unnötige Beschneidungen der Vergangenheit angehören.
Für weitere Informationen rund ums Thema Beschneidung möchte ich an dieser Stelle die Wissenssammlung "Das große Zirkumpendium" empfehlen. Es kann unter www.zirkumpendium.de kostenlos als PDF heruntergeladen werden.