BERLIN. (hpd) Aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass rund 20 Prozent der Deutschen nicht in der Lage sind, sich einen Erholungsurlaub zu leisten. Doch dahinter verbirgt sich mehr.
Fast unisono verweisen alle Artikel in anderen Medien darauf, dass rund 22 Prozent der Deutschen nicht die finanziellen Mittel haben, um eine Urlaubsreise zu machen. Dabei gilt als Urlaubsreise jeglicher Aufenthalt entfernt von seinem normalen Lebensmittelpunkt.
Grundlage für diese Meldungen ist das Ergebnis einer Umfrage des Statistischen Bundesamtes, bei der Befragte darüber Auskunft geben sollten, wie sie subjektiv ihre Finanzsituation empfinden. Die Zahlen wurden europaweit für das Jahr 2012 erhoben. Es handelt sich hierbei aber nicht um reelle Zahlen! Die Auswertung zeigt nicht, wie viel Geld den Menschen tatsächlich zur Verfügung stand.
Die Medien stürzen sich auf diese Zahlen und es hat den Anschein, als würde sich nun das große Erschrecken ausbreiten, wenn die “Reisenation Deutschland” den Sommer in ihren eigenen vier Wänden verbringen muss. Dabei steckt in den Zahlen, die das Statistische Bundesamt veröffentlichte, noch bedeutend mehr Zündstoff. Der Tagesspiegel hat dies - ziemlich allein auf weiter Flur - in seiner Überschrift klargemacht: “Jeder zwölfte Deutsche kann sich kein Essen leisten”.
Denn dass sich ein Fünftel der Deutschen keinen Urlaub mehr leisten kann ist zwar - nun ja - schade; dass aber rund ein Viertel der Armutsgefährdeten (24,8 Prozent) in Deutschland aus finanziellen Gründen häufiger auf vollwertige Mahlzeiten verzichten muss, ist der eigentliche Skandal.
Nach Definition der EU gilt jemand als armutsgefährdet, wenn er (oder sie) über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt (Schwellenwert für Armutsgefährdung). Das waren im Erhebungszeitraum für eine allein lebende Person in Deutschland 980 Euro im Monat; für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren waren es 2.058 Euro im Monat. Dies betraf im Jahr 2011 16,1 Prozent der Bevölkerung in Deutschland.
Das hört sich nicht viel an: 16,1 Prozent der Bevölkerung; tatsächlich bedeutet das aber, dass 13 Millionen Menschen in Deutschland als armutsgefährdet gelten. Und es bedeutet ferner, dass rund 3,5 Millionen Menschen im reichen Land Deutschland ab und an hungern, weil sie sich nicht ausreichend ernähren können.
Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen weiter, dass ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland (33,4 Prozent) im Jahr 2012 in privaten Haushalten lebte, die nach eigener Einschätzung nicht in der Lage waren, unerwartet anfallende Ausgaben aus eigenen Finanzmitteln zu bestreiten. Dazu zählen zum Beispiel auch der Ersatzkauf eines defekten Großgerätes (Fernseher, Kühlschrank, Waschmaschine o.ä.) - obwohl als Grenze die Summe von 940 Euro genannt wird. Auch das trifft zum größten Teil auf die Armutsgefährdeten zu. Denn unter diesen sind die finanziellen Schwierigkeiten besonders groß: Fast drei Viertel (73,2 Prozent) der Armutsgefährdeten konnten unerwartet auftretende Ausgaben finanziell nicht aus eigener Kraft bewältigen
Zu den Urlaubsreisen noch ein Hinweis, der zeigt, wie trügerisch Durchschnittszahlen sein können: Der Anteil der Bevölkerung, der sich keinen Urlaub leisten kann, beträgt insgesamt 21,9 Prozent. Bei den armutsgefährdeten Menschen beträgt er jedoch 57,6 Prozent und selbst bei den nicht armutsgefährdeten immerhin noch 15,1 Prozent.