Todesangst und Überleben nach extremer Gewalt

Die Kraft zum Weiterleben

BERLIN. (hpd) Für ihr Buch interviewte die Ärztin und Psychologin Marlene Pfaffenzeller traumatisierte Menschen aus der Türkei, Ruanda und einigen südamerikanischen Staaten. Die Interviews geben ein Bild von diesen Ländern, zeigen gequälte Menschen und politische Umstände auf drei Kontinenten.

Es sind Menschen, die sie mit Hilfe von Menschenrechtsorganisationen oder anderer Kontakte ausfindig machen konnte und die bereit waren, Fragen zu beantworten und ihre Erfahrungen mitzuteilen. Auslöser für diese Interviewreihe war die drei Jahrzehnte andauernde kontinuierliche Arbeit mit traumatisierten Flüchtlingen in ihrer psychiatrisch-neurologischen Praxis in Berlin.
Schließlich zog es sie in diese Länder, aus denen ihre PatientInnen kamen. Die erst heutzutage vielgepriesene interkulturelle Sensibilisierung (Cultural Awareness) hat Frau Pfaffenzeller schon lange für sich als Möglichkeit entdeckt, um ihre PatientInnen besser zu verstehen.

Eine Ausnahme bilden Kolumbien und Argentinien, die beiden Länder Südamerikas, die sie intensiv bereist. Hier lebt ihr Sohn mit seiner Familie und hier ist auch eine berufliche Heimat ihres Mannes, des Lateinamerikaspezialisten Norbert Ahrens.

Frau Pfaffenzeller zieht in diesem Buch Parallelen zwischen der Osttürkei und Argentinien und weist auf die Ähnlichkeiten der Foltermethoden hin. Diese Methoden werden und wurden laut Amnesty International (AI) an der berüchtigten Panama Folterschule “School of the Americas” [1] vermittelt und können an Folterstätten überall auf der Welt identifiziert werden, da international ausgebildet wurde und wird.

Es geht in den Interviews jedoch weniger um die Täter; im Mittelpunkt stehen die Opfer von Folter und/oder anderer grausamer Menschenrechtsverletzungen. Die Menschen, die zu Wort kommen, berichten von ähnlichen traumatischen Erfahrungen, Gefühlen von Ausgeliefertsein und der Angst, getötet zu werden.
Physische und psychische Demütigungen werden beschrieben, Scheinhinrichtungen sowie reale Vergewaltigungen mit darauf folgender Schwangerschaft.

Einige der traumatisierten Menschen begaben sich in therapeutische Behandlung (falls möglich), andere finden Hilfe und Unterstützung in ihrer Familie, bei ihren FreundInnen, durch ihre Arbeit oder auch durch ihren Glauben (den wieder andere endgültig verlieren durch die Ereignisse). Das Reden über die erlittenen Qualen, es befreit und hilft, die Ungeheuerlichkeiten mit Distanz zu sehen.

Diese Gelegenheit haben Alam, Mehmet, Murat, Nazif, Hatice, Ibrahim Güclü, Dr.Florencia S., Vilma, Garciella, Rosario, Gloria, Eloia, Maria, Dora, Herr und Frau Saturnino, Lina, William, Esmeralda, Helen, Estefania, Eileen, Lorena, Eulalia, Jenny, Jennys Schwester, Roxana, Lucrezia, Sylvain mit seinem Vater (für dessen Unterstützung), Liberée, Dusabunuremy Potrais, Trifina, Francine, Innocent, Jeremy, Ann-Marie [2] genutzt. Sie haben damit beigetragen zu einem weiteren Zeugnis über Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Dr. Waltraut Wirtgens äußert im Vorwort den Wunsch, dass dieses einzigartige Dokument PolitikerInnen und andere EntscheidungsträgerInnen zum Nachdenken oder gar Handeln veranlasst. Jenen, die meist nicht gehört werden, wurde hier eine Stimme gegeben. Einige der Menschen, die ihre Heimat verlassen und auch nach Deutschland fliehen müssen, haben eine ähnliche Geschichte zu erzählen. Wer Ohren hat, der möge zuhören.

 


Marlene Pfaffenzeller, Todesangst und Überleben nach extremer Gewalt: Interviews mit traumatisierten Menschen in der Türkei, Südamerika und Ruanda, Kulturmaschinen e.K. (November 2014), ISBN: 3943977552, 14,90 Euro

 

  1. “…das Programm der ”School of the Americas“ (SOA). Diese berüchtigte Ausbildungsstätte der USA für Folter und Mord hat seit 1984 ihren Hauptsitz in Fort Benning im US-Bundesstaat Georgia und nennt sich seit 2001 ”Institut für Sicherheitskooperation in der westlichen Hemisphäre“. Seit ihrer Gründung 1946 in Panama wurden dort nach Angaben der Menschenrechtsorganisation ”SOA Watch“ über 60.000 lateinamerikanische Offiziere, davon 3.691 aus Honduras, unter der Leitung von CIA-Agenten und US-Offizieren in Fächern wie ”Krieg gegen Aufständische“, ”Psychologische Kriegsführung“ und ”Befragungstechniken" ausgebildet. (Quelle: ag-friedensforschung.de)  ↩

  2. einige der Namen wurden geändert.  ↩