Islam-Veranstaltung Berlin

Multi-Kulti am Ende?

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BERLIN. (hpd) Der Bundesweite Arbeitskreis Säkulare Grüne hat sich mit einem Islam-Papier in die innergrüne Debatte über eine Islam-Politik eingemischt. Auf bereits zwei Vollversammlungen der Säkularen (in Münster und Erfurt) wurde intensiv über eine "Islam-Politik" diskutiert und Ende Februar eine Positionsbestimmung beschlossen.

Das Positionspapier trägt den Titel: "Islam- und Religionspolitik von Sicherheits- und Integrationspolitik emanzipieren!". Darin wendet sich der Arbeitskreis gegen die in der politischen Debatte üblichen Vereinfachungen sowohl aus der Multi-Kulti-Ecke als auch aus dem islamophoben Lager und fordert eine differenzierte, an der Realität orientierte Bewertung "des Islam". Auf einer Veranstaltung am 24. April in Berlin wollen die Säkularen Grünen die Thematik öffentlich diskutieren.

Prominente ReferentInnen der Veranstaltung, die vom Vorstandssprecher des Arbeitskreises, Walter Otte, moderiert wird, sind Frau Dr. Lale Akgün (ehem. SPD-Bundestagsabgeordnete, Referentin auf der 2. Kritischen Islamkonferenz, liberale Muslimin), Frau Emel Zeynelabidin (Autorin, ehemals Aktivistin im Umfeld von Milli Görüs, die vor einigen Jahren in einem spektakulären Schritt das Kopftuch abgelegt hat, aber weiterhin Muslimin geblieben ist), Dr. Ralph Ghadban (Berliner Islamwissenschaftler, der vor den Gefahren des konservativen und des politischen Islams sowie einer Multi-Kulti-Politik warnt, aber sagt, dass der Islam reformierbar sei) und ein Vertreter der Alevitischen Gemeinde Berlin.

Die gegenwärtige offizielle Islam-Politik, die wesentlich Sicherheits- und Integrationspolitik sei, so die Landesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne Berlin, werde der vielfältigen Lebenswirklichkeit von MuslimInnen in Deutschland nicht gerecht und beeinträchtige aufgrund der ausschließlichen politischen Unterstützung der konservativ-orthodoxen Islamverbände die Religionsfreiheit von MuslimInnen. Kritisiert wird, dass diese Verbände mithilfe des (säkularen) Staates das Deutungsmonopol über Islam erhielten, dass ein konservativer Staatsislam installiert werde. Diese Politik müsse dringend geändert werden, verlangen Gudrun Pannier und Jürgen Roth, die beiden Landessprecher der Berliner Säkularen Grünen.

Die Position der Säkularen Grünen auf Bundes- und Berliner Ebene unterscheidet sich deutlich von der seit Jahren vertretenen Position von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN. Diese offizielle Position fordert, dass "der Islam" Religionsgemeinschaften gründen können soll und dass "Christentum, Judentum und Islam in Deutschland gleichberechtigt" sein müssten, wie es in einem Beschluss der grünen Bundestagsfraktion zur "Gleichstellung des Islam" heißt.

Ob dabei islamische Gemeinschaften aus dem Ausland finanziert und ferngesteuert werden, gegen die Menschenrechte von Mädchen und Frauen, und von gleichgeschlechtlich orientierten Menschen agieren, ist bei dieser formal-bürokratischen Position unerheblich. Alles muss, so diese kulturalistische Position, an dieser "eingewanderten Kultur" akzeptiert werden, so wie das Pendant dieser Position alles (am Islam) pauschal ablehnt. Hier verlangen die Säkularen Grünen eine deutlichere Differenzierung.

In ihrem "Islam-Papier" erteilen sie jeglicher Relativierung von Menschenrechten aus religiösen oder gruppenbezogenen Gründen eine eindeutige Abfuhr. Betont wird, dass die individuellen Menschenrechte immer höherrangig seien als vermeintliche historische und religiöse Ansprüche von Gruppen und Religionen. Eine Politik, die religiöse Traditionen um ihrer selbst willen konserviere, wird strikt abgelehnt; immer müsse auch berücksichtigt werden, dass der Staat die Freiheit garantieren muss, sich von einer Herkunftstradition zu distanzieren und diese zu kritisieren: "Grundsätzlich verfehlt ist es, religiös-kulturelle Identitäten zu stärken, die die individuelle Emanzipation und das verträgliche Zusammenleben der Menschen eher behindern als fördern."

Damit positionieren sich die Säkularen Grünen gegen eine grüne Politik, die unter dem Aspekt einer unkritischen "Willkommenskultur" jede noch so konservative Richtung im Islam für eine "Bereicherung" hält, und mit der ausschließlich die konservativ-orthodoxen Islamverbände in eine herausgehobene Rolle gehievt und zu Partnern des Staates gemacht werden.

Die Säkularen Grünen lehnen Pauschalisierungen ab; in Deutschland könne keine Rede von "dem Islam" sein, es seien viele und unterschiedliche islamische Auslegungen und Strömungen vorhanden.

Bemängelt wird, dass in der Öffentlichkeit eine tatsächlich vorhandene weltanschauliche Diversität in den als mehrheitlich islamisch wahrgenommenen Gesellschaften übersehen werde. Im säkularen "Islam-Papier" heißt es, dass Menschen zu "MuslimInnen" gerechnet würden, die überhaupt keine seien oder dem Islam nur einen geringen Stellenwert zuwiesen, dass seitens der Politik nicht hinreichend zwischen "Kulturmuslimen" und traditionellen oder liberalen Gläubigen differenziert werde.

Ohne Differenzierung könne aber keine wirksame menschenrechtlich orientierte Islam-Politik formuliert werden, sagt der Vorstandssprecher Walter Otte, die das gegenwärtige Hauptproblem, die zunehmende Dominanz konservativ-orthodoxen Verbände, kritisch angehe. Gegenwärtig stünden im Vordergrund der öffentlichen Debatte ISIS-Unterstützer und Konvertiten wie Pierre Vogel und ähnlicher Personen. Doch bei einer medialen und politischen Orientierung allein auf missionarischen, militanten oder gar terroristischen Islamismus und Salafismus werde vernachlässigt, dass mit der Unterstützung des "unauffälligen" traditionellen Islam Strukturen einer Parallelgesellschaft gestützt würden, was weder der Integration noch der menschenrechtsorientierten Demokratie in Deutschland zuträglich sei. Das jüngste Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts müsse als Alarmsignal auch dafür gewertet werden, in welchem Umfang schon die Ideologie, wonach eine "wirklich muslimische Frau" nur eine kopftuchtragende sein könne, in Deutschland Fuß gefasst habe. Die jahrelange Propaganda der konservativ-orthodoxen Islam-Kreise zeige die dort gewünschte Wirkung, so der Vorstandssprecher der Säkularen Grünen.

In Zusammenhang mit dem Kopftuchurteil verweist Walter Otte auf eine aktuelle Stellungnahme von Necla Kelek, in der diese den Vorwurf erhebt, die "freie" Gesellschaft habe muslimische Mädchen und Frauen bereits aufgegeben. Diesen Vorwurf müsse man sehr ernst nehmen, zumal er durch Erkenntnisse insbesondere in Schulen im gesamten Bundesgebiet in dramatischer Weise bestätigt werde, etwa wenn zunehmend bereits Erstklässlerinnen mit Kopftuch zur Schule erschienen: "Man kann sich vorstellen, was da für ein Menschen- und insbesondere Frauenbild in den Köpfen junger Menschen produziert wird." 

Würden christliche Sekten, so Walter Otte, derartig vorgehen, dass sie ihnen angehörende Kinder schon durch Einheitskleidung zur Ab- und Ausgrenzung zwängen, wäre die Empörung außerordentlich groß, aber bei MuslimInnen interessiere dies die Öffentlichkeit kaum.

Es lohnt sich, das "Islam-Papier" zu lesen, hat doch damit erstmals eine Gliederung einer der im Bundestag vertretenen Parteien eine säkulare Position zum "Islam" verabschiedet. Aus anderen Parteien fehlt es bislang noch an solchen Positionsbestimmungen.

"Wer gehört zu Deutschland?": die Säkularen Grünen halten eine Formulierung, dass "der Islam" zu Deutschland gehöre, schon deshalb für unsinnig, weil es, wie sie sagen, nicht "den Islam" gibt. Und zu Deutschland gehörten die Menschen: jede(r) einzelne, und nicht "Kulturen" und "Religionen".