KÖLN. (hpd/ibka) Vom 22. bis zum 24. Mai fand im Kölner Comedia-Theater die "Internationale Atheist Convention 2015" statt. Die Veranstaltung wurde vom Internationalen Bund der Konfessionlosen und Atheisten (IBKA) in Kooperation mit der Atheist Alliance International (AAI) und der Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) organisiert.
Auch wenn der zweite Tag der Internationalen Atheistischen Convention "Give Peace A Chance" mit dem ersten Vortrag bereits um 9:15 Uhr begann, konnten sich die Veranstalter über einen gut gefüllten Theatersaal freuen. Neben Rolf Bergmeier, Carsten Frerk und Michael Schmidt-Salomon standen Claude Singer aus Frankreich, Morgan Elizabeth Romano aus der Türkei sowie Maryam Namazie aus dem Iran auf dem Programm.
Claude Singer
Ob das Leitthema der Tagung "Give Peace A Chance" auch das Recht auf Befehlsverweigerung beinhalte, beleuchtete Claude Singer von der französischen Freidenkervereinigung "Fédération Nationale de la Libre Pensée", indem er das Schicksal der exekutierten Soldaten auf französischer Seite im ersten Weltkrieg aufzeigte.
Claude Singer, Foto: © Evelin Frerk / IBKA
Demnach seien im Verlauf des Krieges unzählige Deserteure "im Morgengrauen" zur Abschreckung erschossen worden. Diese Soldaten, die sich weigerten, sich am Horror des Krieges zu beteiligen und auf die Felder des Todes zurückzukehren, seien nie nachträglich begnadigt worden. Für eine kollektive Rehabilitation setzten sich die französischen Freidenker bereits seit den 80er Jahren ein. Ihre Forderung trügen sie mittlerweile jährlich am Volkstrauertag nach außen, um den vielen Opfern und ihren Hinterbliebenen zu gedenken. Dabei stießen sich bis heute oftmals auf großen Widerstand der offiziellen Stellen.
Warum ihre Kampagne der kollektiven Begnadigung eine logische Folge der freidenkerischen Aktivität sei, fasste Singer zum Schluss seines Vortrags zusammen. Denn Freidenker stünden für die absolute Gewissensfreiheit. Dies schließe das Recht eines jeden Menschen ein, "Nein" zu sagen und sich gegen das Tragen einer Waffe zu entscheiden, sich nicht am Mord seiner Brüder zu beteiligen. Krieg bringe niemals einen Nutzen für die Menschheit, sondern nur für die wenigen Kriegstreibenden und ihre Machtgier und finanziellen Interessen. Daher hätten diese Machthaber Angst vor der Begnadigung, denn dies könnte einen Präzedenzfall schaffen für andere, dieser Möglichkeit zur Befehlsverweigerung zu folgen.
Morgan Elizabeth Romano
Die gebürtige US-Amerikanerin Morgan Elizabeth Romano (The Association of Atheism, Turkey) sprach über die Rückschritte der einst säkularen Türkei in welcher sie heute lebt.
Das Land Mustafa Kemal Atatürks sei einst vollkommen säkular organisiert gewesen. Doch welchen Stellenwert hat dieser einst so wertgeschätzte Säkularismus heute in der Türkei Erdogans? Sei man in der heutigen Türkei offen atheistisch, sei man vielen staatlichen Repressionen und gesellschaftlicher Ausgrenzung ausgesetzt. Dass ein Mann, der regelmäßige Hassreden gegen Atheisten zum Besten gäbe zum Präsidenten gewählt würde, sei ein Spiegelbild der Gesellschaft.
Morgan Elizabeth Romano, Foto: © Evelin Frerk / IBKA
Es müsse unser Anspruch sein, säkulares Gedankengut wieder in ein solches Licht zu rücken, in dem es einst stand. Atheismus dürfe nicht länger als teuflisch gelten, so Romano.
Doch leider erlebe die Religion in der Türkei einen regelrechten Boom. Der Islam sei heute Staatsreligion, obwohl die Verfassung eigentlich immer noch relativ säkular gegliedert sei. Einst wurde das Ministerium für Religionsfragen von der Regierung errichtet, um sich um Verwaltungsfragen zu kümmern, doch heute wird dieses Ministerium zur Verbreitung des sunnitischen Islams genutzt.
Ein gutes Beispiel für den Vormarsch der Religion sei die Tatsache, dass in jenem Jahr, in welchem England den Kreationismus in staatlichen Schulen verbot, die Türkei ihn offiziell zur Wissenschaft erhoben habe. In der Öffentlichkeit sei das Kopftuch immer präsenter. Sei das Tragen in öffentlichen Einrichtungen früher verboten gewesen, so seien durch den Wegfall des Verbots nun gegenteilige Tendenzen sichtbar. Einige Arbeitgeber stellten nur noch verschleierte Frauen ein, was eine Diskriminierung der nicht verschleierten bedeute. Während des Fastenmonats Ramadan gebe es mittlerweile stadtweite Alkoholverbote und auch Fluggesellschaften würden Alkohol komplett aus ihrem Angebot nehmen.
Soziale Medien und der Journalismus im Allgemeinen seien starken Restriktionen ausgesetzt. Eine objektive Berichterstattung sei so fast nicht mehr möglich. Auch in Filmen und Radiosendungen würde immer mehr im religiösen Sinne zensiert werden. 2014 habe Erdogans AKP durchgesetzt, dass es nun für die Regierung möglich sei, Daten des Internets abzugreifen und folgend auch sperren zu dürfen. Dies alles sei Teil des großen Plans der AKP Erdogans, das einstige muslimische Osmanische Reich wieder zu reinstallieren. Die Verfassung werde immer weiter ausgehöhlt und sich so immer mehr Macht zugeschanzt. Für die arme Bevölkerung der Türkei, und das sind immer noch große Teile der Gesellschaft, sei die Religion und das religiöse Leben das Wichtigste. Dieses religiöse Potential erkenne die AKP und nutze es.
Rolf Bergmeier
Was Europa dem Islam zu verdanken habe, erörterte der Althistoriker Rolf Bergmeier in einem Beitrag, der auf seinem Buch "Christlich-abendländische Kultur. Eine Legende" basierte. Dass die Parolen von "christlich-abendländischer Kultur" und den "christlichen Werten" die tatsächlichen historischen Begebenheiten verklärten, stellte er durch einen detaillierten Vergleich vom christlichen Mittelalter und der arabisch-islamischen Welt der Epochen von 700 bis 1400 nach unserer Zeitrechnung dar.
Rolf Bergmeier, Foto: © Evelin Frerk / IBKA
Hierfür betrachtete er beide Kulturkreise jeweils aus den Perspektiven der Allgemeinbildung, der Medizin, der Mathematik sowie der Stadtkultur. Dem christlichen Mittelalter stellte er dabei ein vernichtendes Urteil aus: Während die arabisch-islamische Welt aus dem Koran eine breite Bildung der Bevölkerung als Grundforderung ableitete, ein verzweigtes Schulsystem für Jungen und Mädchen pflegte und auf diese Weise eine Alphabetisierungsrate fernab der europäischen Werte erreichte, wurde die christliche Klosterkultur auf eine enge Schmalspurbildung zum alleinigen Zwecke der Unterrichtung des klerikalen Nachwuchses begrenzt; die Aufgabe des Lesens und Interpretierens stand dem Priester zu. Nach der Einnahme Syriens und Persiens durch die Araber übernahm die islamische Kultur die griechische Medizin und entwickelte sie weiter. Das antike Wissen manifestierte sich in zahlreichen Krankenhäusern in jeder größeren Stadt und mündete in einem interkulturellen Prozess zur hochentwickelten griechisch-arabisch-persisch-indischen Medizin und Arzneimittelkunde. Auf der Seite Europas stand dem nur eine bescheidene Klostermedizin gegenüber, die vielmehr Krankheiten als gottgegeben und die Medizin als Eingriff des Menschen in Gottes Heilsplan ansah. Die mittelalterliche Klostermathematik beschränkte sich bis zum 13. Jahrhundert auf die Grundrechenarten etwa zur Berechnung beweglicher kirchlicher Festtage, während das von den Arabern verwendete indische Zahlensystem bereits Jahrhunderte zuvor zur Entwicklung weit fortschrittlicher mathematischer Modelle führte. Auch die islamisch-arabische Stadtkultur mit ihren gepflasterten und beleuchteten Straßen, ihren Thermen und Bädern, öffentlichen Bibliotheken und unterirdische Abwasserkanälen war der christlich-europäischen, geprägt durch verkommene Städte, die für klerikale Bauten der hohen Geistlichen und reserviert waren und durch die Entsorgung von Fäkalien auf den Straßen, ganz entschieden überlegen.
Erst durch die Eroberung der arabischen Territorien in Spanien durch die europäischen Mächte gelangten die antiken Errungenschaften im arabischen Gewand allmählich zurück nach Europa und lösten dadurch die christliche Dogmenkultur ab, die Wissenschaft und Kreativität über die Jahrhunderte gelähmt hatte. Durch die arabisch-islamische Welt konnte so beginnend mit der Renaissance in Europa wieder Raum geschaffen werden für Entfaltung der lange unterdrückten schöpferischen Kräfte, die den zentralen Leitsatz der Aufklärung zur Folge hatten: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
Joachim Kahl
Die Besucher der Tagung hörten hier einen Vortrag der etwas anderen Art. Hier ging es weniger um atheistische oder säkular-humanistische Aktionen und Probleme, sondern um die Betrachtungen zweier Meisterwerke der Kunst. Tizians "Toilette der Venus" und Frida Kahlos "Die gebrochene Säule" wurden von Joachim Kahl dem Publikum präsentiert.
Kahl startete seine Analyse jeweils mit der Betrachtung des Bildes an sich. Bildidee und Bildaufbau standen zunächst im Fokus, woran er anschließend eine detaillierte und auch für einen Kunst-Neuling verständliche Bildinterpretation folgen ließ.
Joachim Kahl, Foto: © Evelin Frerk / IBKA
Tizians "Venus" zeige die Vergänglichkeit des Lebens, indem es die Schönheit der Venus im Moment festhalte und gleichzeitig darauf verweise, dass auch diese Schönheit der Gottheit Venus vergänglich sei. Tizian habe die Venus nicht neu erfunden, aber in seiner eigenen, tizianesken Weise interpretiert. Das Thema von Frida Kahlos Werk "Die gebrochene Säule", sei Verletzbarkeit und gleichzeitige Selbstbehauptung. Hier zeige Kahlo in der ihr eigenen Weise, wie verletzlich der Mensch zum einem sei, und dass er gleichzeitig in dieser Verletzlichkeit auch Würde bewahren könne. So würde die Dichotomie der Existenz aufgezeigt, zwei Pole in einem Bild festgehalten.
Dieses Werk verweise auch auf die säkulare Weltsicht Kahlos, indem jede Hilfesuche "nach oben" ausgeklammert sei.
Zehra Pala
Da es die Zeit erlaubte, wurde spontan ein Kurzvortrag von Zehra Pala (Türkei) eingeschoben. Sie berichtete von der Situation der Atheisten in der Türkei, die ebenfalls im Vortrag von Romano behandelt wurde.
Zehra Pala, Foto: © Evelin Frerk / IBKA
Pala gründete mit einigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern einen atheistischen Verein und sieht sich aufgrund dessen zahlreichen Bedrohungen und Anfeindungen ausgesetzt. Ziel des Vereins sei es, sich für die Rechte religionsfreier Menschen einzusetzen. Todesdrohungen per Telefon oder öffentlichere Drohungen durch z.B. einen Scharia-Verein sind an der Tagesordnung. Des Weiteren kritisierte Pala den staatlichen Religionsunterricht, zu welchem es keine Alternative gebe und welcher auch kein neutraler Unterricht sei, sondern vielmehr eine religiöse Indoktrination der Kinder.
Ein Traum Palas und ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreitern ist die Gründung eines atheistischen Zentrums. Ein gemeinsamer Ort zum Zusammenkommen, gemütlichen Austausch und Lernen. Trotz aller beängstigender Todesdrohungen und der schwierigen Situation würden sie sich weiterhin treffen und für ihre Rechte kämpfen.
Grußwort der Piratenfraktion im Landtag NRW, Michelle Marsching
Im Grußwort der Piratenfraktion des Landtags Nordrhein-Westfalen zeigte sich der religionspolitische Sprecher Michele Marsching erfreut über die Tagung und die Gelegenheit zur Diskussion über Chancen des Friedens ohne Religion. So schön Religion für den einzelnen sein könne, so gefährlich sei ihr Potential in der Masse. Daraus leite sich auch die Position der Piratenpartei ab, der Staat müsse sich in weltanschaulichen Fragen neutral verhalten; nur mit einer Trennung von Staat und Religion könne Frieden in der Gesellschaft erreicht werden. Zu diesem Zweck wünsche er sich eine Kooperation mit den Religionsgemeinschaften auf Augenhöhe, die Säkularen müssten in Kontakt bleiben mit den Religionsvertretern.
Colin Goldner
Colin Goldner stellte das "Great Ape Project" vor, welches grundlegende Rechte für die großen Menschenaffen einfordert. Das Projekt, das von den Philosophen Peter Singer und Paola Cavalieri ins Leben gerufen wurde, setzt sich dafür ein, den nächsten Verwandten des Menschen das Recht auf Leben, das Recht auf Freiheit und das Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit zuzugestehen. Denn obwohl das genetische Material des Menschen einerseits und der Gorillas, Schimpansen, Bonobos und Orang Utans andererseits sich kaum unterscheide, würden letztere immer noch gejagt, gefangen genommen, getötet und in Zoos und Manegen erniedrigt. Und auch wenn in den Jahren 1999 in Neuseeland und 2007 auf den Kanarischen Inseln erste Erfolge durch Implementierungen bestimmter Rechte in Gesetzen erzielt werden konnten, ließen sich seitdem keine spürbaren Fortschritte mehr feststellen. Warum der Widerstand gegen die Forderungen so groß sei, führte Goldner im Folgenden aus.
Colin Goldner, Foto: © Evelin Frerk / IBKA
Das Projekt stelle die sakrosankte Trennlinie zwischen Mensch und Tier grundsätzlich in Frage. Die Vorstellung, dass auch Tiere denken, fühlen und leiden können und alle Spezies, auch der Mensch, einen gemeinsamen Ursprung haben, wie seit Charles Darwins Werk "The Origin of Species" bekannt ist, stünden der biblischen Vorstellung des Menschen als Ebenbild Gottes diametral entgegen. Schon im ersten Buch Moses heißt es, dass der Mensch sich die Tiere untertan machen solle. Das Aufbrechen der künstlichen Trennung zwischen Menschen und den übrigen Menschenaffen würde einen Dammbruch bedeuten und folgerichtig auch die Verwischung der Grenzen zwischen Menschen und allen anderen Spezies nach sich ziehen. Das sei es, was die Vertreter der alten Ordnung so fürchten.
Die Strategie der Kampagne bestehe im Moment darin, Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu schaffen, um Druck auf die politischen Entscheider erzeugen zu können. Die aktuelle Hilfe für in Zoos gehaltene Tiere müsse sich mangels geeigneter Schutzgebiete in Europa zur Zeit darauf beschränken, die Bedingungen für die Tiere so erträglich wie möglich zu machen. Denn von den 38 Zoos in Deutschland, die große Menschenaffen halten, seien die Bedingungen in 80 Prozent der Fälle völlig inakzeptabel. Da das gemäßigte Klima für die Tiere grundsätzlich zu kalt sei, müssten sie die meiste Zeit in Innengehegen verbringen – viele überlebten nur durch Verabreichung von Psychopharmaka.
Carsten Frerk
Religon als Brandbeschleuniger – diesen schwungvollen Titel trug der Vortrag von Carsten Frerk. Gründe, Gewalt anzuwenden, fänden Menschen immer, doch käme die Religion als Legitimation und Antrieb hinzu, ginge es in den meisten Fällen äußerst blutig zu. Mit der Religion im Rücken könne man alles rechtfertigen: Kriege, als auch den Frieden. Frerk brachte hier zwei Bibelzitate, die beides belegen.
Carsten Frerk, Foto: © Evelin Frerk / IBKA
Um alles noch etwas anschaulicher zu gestalten, zitierte Frerk weiter aus dem heiligen Buch der Christen, genauer gesagt, aus der frohen Botschaft des neuen Testaments. Worte wie Zähneknirschen, feuriger Pfuhl und Schwerter sind hier nur einige der vorgetragenen Perlen. Dann ließ er einige Passagen aus dem Koran folgen. Das Fazit aus diesen beiden Büchern: Gott will es [den Krieg]!
Die heutige westliche Sicht des friedlichen Christentums im Kampf gegen den feindlichen Islam sei historisch falsch. Frerk ließ einen historischen Abriss der Glaubenskriege folgen, die stellvertretend für Gott gegen die Anders- und Ungläubigen gefochten worden waren. Aber selbst innerhalb einer Religion ließen die Gotteskrieger keine Gelegenheit aus, ihre Mitmenschen, motiviert und angetrieben durch ihren Glauben, durch das Schwert dem Tode anheim zu führen.
Er machte einen Zeitsprung in das 20. Jahrhundert. Auch hier hieße es: "Gott mit uns!" Kolonialismus und Kriege hätten in dieser Zeit das Schwert Gottes nach Afrika gebracht. Und auch im Dritten Reich seien die Kirchen immer mit von der Partie gewesen. Also auch hier: "Gott mit uns!"
Frerk resümierte: Solange es noch Regierungen gebe, welche Hand in Hand mit den Religionen marschierten, könne es keinen Frieden geben.
Arzu Toker
Arzu Toker thematisierte die religiös begründe Judenfeindlichkeit im Islam. Obwohl es in der Geschichte keine Übergriffe von Juden auf Muslime oder Kurden gegeben habe, müssten Juden in islamischen Gesellschaften bis heute für politische Miseren herhalten, und alles Böse werde ihnen zugeschrieben. Weit verbreitet unter vielen Muslimen seien insbesondere Theorien über jüdische Verschwörungen.
Arzu Toker, Foto: © Evelin Frerk / IBKA
Warum diese Menschen, die teilweise nie einen Juden kannten, seit jeher derart judenfeindlich seien, erklärte sie anhand des Korans. Durch persönliche Kränkung ausgelöst von der Ohnmacht vor Rabbis, die ihn bloßgestellt hätten, sei der Prophet Mohammed mit einer unvergleichlichen Brutalität gegen jüdische Stämme vorgegangen. Diese Feindlichkeit habe Einzug in die religiösen Schriften gehalten, und so handelten Muslime in der Überzeugung, dem Willen Gottes zu gehorchen, wenn sie Juden angriffen, da die Judenfeindlichkeit durch den Koran implizit Gesetz geworden sei.
Michael Schmidt-Salomon
"Säkularismus ist die Lösung" - diese Satz fand der im Gefängnis inhaftierte Raif Badawi an einer Toilettenwand geschrieben. Inhaftiert war Badawi, weil er aussprach, was er dachte. Mit diesen Worten startete Michael Schmidt-Salomon.
Zu Beginn stellte er die Frage, wieso mit Religion so oft Gewalt einhergehe. Anhand dieser Frage, ließ er eine Klärung der Begrifflichkeit Gewalt folgen und beleuchtete diese in ihrer kulturellen, strukturellen und direkten Ausprägung. Weiter klärte er, in welcher Relation die Religion zu diesen Erscheinungsformen der Gewalt stünde. Vor allem die kulturellen Ausprägungen der Gewalt seien stark mit Religionen in Verbindung zu bringen. Die Teilung der Welt in Gläubige und Ungläubige sei da nur ein Beispiel. Beruhend auf dem moralischen Dualismus teile die Religion die Menschheit immer durch eine Binnenmoral für Mitgläubige und eine Moral für Außenstehende, also Anders- oder Nichtgläubige. Die Gewaltfantasien, welche sich in den heiligen Schriften fänden, würden sich irgendwann auch in der Realität Bahn brechen. Der 11. September sei ein Ausdruck hierfür.
Michael Schmidt-Salomon, Foto: © Evelin Frerk / IBKA
Auch für strukturelle Gewalt böten die heiligen Schriften eine Legitimationsbasis. Im Islam sei dies z.B. die Urteilsfindung anhand der Sharia. Im Christentum sei das kirchliche Arbeitsrecht (Corinna Gekeler referierte hierzu) ein Beispiel für diese strukturell ausgeübte Gewalt. Doch hätten wir hier in Westeuropa das Glück, einen fortschreitenden Säkularismus zu sehen und zu fördern.
Schmidt-Salomon erteilte der Mär vom christlichen Abendland eine Absage. Schließlich seien alle Fortschritte, bis hin zur allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, nicht mit der Hilfe, sondern gegen die Bestrebungen der Religionen erkämpft worden. Auch in vielen muslimisch geprägten Ländern gebe es eine fortschreitende säkulare Tendenz. Trotzdem wollten viele, gerade in diesen Ländern, das Rad der Geschichte gerne um einige Jahrhunderte zurück drehen.
Der Säkularismus biete eine Lösung für globale Konflikte. Gleichzeitig sei er aber auch eine der Ursachen dieser Konflikte. Der Fundamentalismus sei die letzte Hoffnung für jene, deren archaische Weltbilder immer weiter zerbröckelten. Auch sei dieser Fundamentalismus ein Wesenszug um gegen die eigenen Zweifel an der eigenen Religion lautstark vorzugehen. Deshalb seien besonders Konvertiten anfällig für diese extremen Interpretationen des Glaubens.
Es stelle sich nun die Frage, wie sich Europa aus dem Würgegriff der Religion weitestgehend befreien konnte. Eine erste mögliche Antwort sei der Wohlstand: Je weniger Mangel ein Mensch verspüre, desto weniger müsse er sich religiösen Heilsfantasien hingeben und auf ein besseres Leben nach dem Tod hoffen.
Säkulare Trends hielten überall Einzug. Auch die Theologie sei nicht vor säkularen Trends gefeit. Theologen seien bestrebt, die Inhalte ihrer Lehren umzuformulieren, da diese Lehren aus heutiger Sicht äußerst abstrus erschienen. Diese Reformulierungstaktik der Religionen schlage so die Brücke zwischen Fundamentalismus und Säkularismus.
Doch jener Säkularismus, so Schmidt-Salomon, gehe weiter als bloßer Laizismus. Säkularismus wolle gesellschaftliche Impulse setzen. Nicht jeder müsse zwangsläufig Atheist oder Agnostiker sein, aber wenigstens sollten Gläubige ihre Schriften moderner lesen. Im so genannten Kampf der Kulturen ginge es weniger um einen Kampf zwischen Atheisten und Theisten. Vielmehr sei es ein Kampf zwischen Säkularen und Anti-Säkularen. Säkulare hätten nicht den moralischen Dualismus wie Religionen, mit ihrem "Wir"- und "Die"-Denken, sondern den Glauben an universelle Rechte des Individuums. Wollten wir dem Frieden eine Chance geben, müssten wir zusammen mit liberalen Gläubigen gegen die engen Gruppenidentitäten der althergebrachten religiösen Gesellschaftsmodelle vorgehen. Schmidt-Salomon schloss seinen Vortrag mit der Hoffnung, dass wir alle irgendwann als Spezies der nackten Affen friedlich zusammen leben könnten.
Grußwort "Säkulare Grüne NRW", Berivan Aymaz
Berivan Aymaz sprach sich im Grußwort der säkularen Grünen in NRW dafür aus, die Gelegenheit zur Vernetzung unter den säkularen Organisationen zu nutzen. Ein vereinigtes Vorgehen müsse dazu genutzt werden, eine säkulare Alternative in der Politik zu forcieren, um das Nicht-Anerkennen von Anders- und Nichtgläubigen sowie eine Demoralisierung der Politik zu abzuwenden. Dabei sei es wichtig, das säkulare Projekt nicht als rein atheistisches zu verstehen. Religionskritik und Religionsablehnung würden in Politik und Gesellschaft nämlich leider selten auseinander gehalten. Abschließend wünschte sie sich, dass alle gemeinsam das säkulare Projekt für eine Friedens- und Freiheitsbewegung vorantrieben.
Maryam Namazie
In ihrem Vortrag "Säkularismus fördern in Zeiten von ISIS" stellte die aus dem Iran stammende Bürgerrechtlerin Maryam Namazie vom "Council of Ex-Muslims of Britain" die hohe Relevanz des Säkularismus gerade in Gegenwart des weltweiten Aufstiegs des Islamismus im Speziellen und der religiösen Rechten im Allgemeinen fest. Besonderes Augenmerk richtete sie auf den feministischen Protest, denn die Verordnung des Hidschab für Frauen sei in der Regel die erste Auferlegung der Islamisten, wo immer sie die Macht ergriffen. Deshalb käme der Protestform der weiblichen Nacktheit, wie sie beispielsweise typisch für die Bewegung Femen sei, eine ganz entscheidende Rolle zu. In einem Zeitalter, in dem unverschleierte Frauen von den Islamisten als Wurzel allen Übels angesehen würden, müssten Gotteslästerer geehrt, müsse Blasphemie gefeiert werden.
Maryam Namazie, Foto: © Evelin Frerk / IBKA
Keinesfalls dürfe der Protest als westlich-kolonialistisch gefärbt verstanden werden, da so nur die Befindlichkeiten der Islamisten beachtet würden. Kulturen und Gesellschaften seien nirgendwo homogen und so handele es sich beim Aufbegehren gegen die religiöse Rechte mitnichten um einen Kampf zwischen dem aufgeklärten Westen und dem religiösen Osten, sondern vielmehr zwischen Säkularisten und Theokraten.
Maryam Namazie bildete den Schlusspunkt der Referate des zweiten Veranstaltungstages. Nach dem Abendessen folgte die Verleihung des IBKA-Awards "Sapio" an Greg Graffin; Evolutionsbiologe und Sänger der Punk-Band "Bad Religion".