Frans de Waals neues Buch

Moral vor Religion

BONN. (hpd) Der Primatenforscher Fans de Waal macht in seinem Buch "Der Mensch, der Bonobo und die Zehn Gebote. Moral ist älter als Religion" deutlich, dass es Kooperation und Moral eben auch schon bei den Affen und anderen Tieren gegeben hat und demnach nicht aus der Religion heraus entstanden ist. Auch wenn diese Buch erneut mehr ein wenig wie "Geplauder" mit Fallgeschichten einher kommt, kann der Autor seine indessen nicht neue These anschaulich belegen – wobei die gleichzeitige gelegentliche Polemik gegen die Neo-Atheisten etwas bemüht wirkt und unverständlich ist.

Ohne Gott gibt es keine Moral – diese Auffassung haben mitunter selbst Aufklärer und Religionskritiker vertreten. Doch woher kommt die Moral? Folgt deren Existenz tatsächlich aus der Religion? Diese Frage ist aus historischen wie philosophischen Gründen häufig genug verneint worden. Es lässt sich dafür aber auch eine evolutionäre Beweisführung präsentieren. Denn Moral hat es schon vor der Religion gegeben. Insofern kann sie nicht die Basis oder der Grund für das richtige Verhalten sein. Dies macht erneut eine Buchpublikation von dem bekannten Biologen und Primatenforscher Frans de Waal deutlich. In seiner Forschung hat er sich insbesondere mit den Bonobos und Schimpansen beschäftigt, lassen sich daraus doch Erkenntnisse über die Frühgeschichte der Menschen als deren "naheste Verwandte" ableiten. Dies unternimmt der Professor für Psychobiologie an der Emory University und Direktor des Yerkes National Primate Research Center in Atlanta auch in dem Buch "Der Mensch, der Bonobo und die zehn Gebote. Moral ist älter als Religion".

Bereits zu Beginn bemerkt de Waal angesichts einer Auffassung, welche die Gültigkeit von Moral an Religion bindet: "Vielleicht geht es ja nur mir so, aber mir sind Menschen suspekt, die nur durch ihr Glaubenssystem davon abgehalten werden, eine abscheuliche Tat zu begehen. Warum gehen wir nicht von der Annahme aus, dass unsere Humanität, einschließlich der Selbstkontrolle, die für eine lebenswerte Gesellschaft unerlässlich ist, in uns angelegt ist?" (S. 11). Und genau diese Denkperspektive bringt den Autor dazu, nach der Möglichkeit einer Moral ohne Gott zu fragen. Betrachtet man nicht nur Konflikte in der Natur, sondern auch Kooperationen unter Tieren, so lässt sich nicht leugnen: Moralität beginnt keineswegs mit dem Menschen. Dafür listet de Waal eine Fülle von Beispielen auf: Affen, die sich für Hilfe erkenntlich zeigen, Büffel, die ein Kalb vor einem Löwen retten, Elefanten, die um tote Artgenossen trauern, Hunde, die sich um waise Welpen kümmern, oder Wale, die eine Taucherin vor dem Ertrinken retten.

Der Autor meint denn auch: "Wir haben unsere Moralität keineswegs aus dem Nichts heraus, durch rationales Denken, entwickelt; vielmehr hat unser Hintergrund als soziale Tiere den Anstoß dazu gegeben" (S. 31). Damit stützt de Waal aus seiner Perspektive neuere Forschungsergebnisse, welche nicht die Konkurrenz, sondern die Kooperation als herausragendes Merkmal auch des menschlichen Sozialverhalten ansehen. Er betont dabei außerdem, dass in einer Gruppe erst die Hierarchie eine Impulskontrolle bewirke. Darin sei der Schlüssel zur Moral zu sehen. Bilanzierend hießt es: "Die Moralität des Menschen hat viel bescheidener angefangen, was wir am Verhalten anderer Tiere ablesen können. Alle Erkenntnisse, die die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten gewonnen hat, sprechen gegen die pessimistische Sicht, wonach Moralität lediglich ein dünner Anstrich ist, der eine garstige menschliche Natur notdürftig übertüncht. Ganz im Gegenteil, unser evolutionärer Hintergrund ist uns eine enorme Hilfe, ohne die wir nie so weit gekommen wären" (S. 321).

Auch dieses Buch ist ein typisches de Waal-Buch. Der Autor, so könnte man salopp formulieren, "erzählt den Lesern einen". Er reiht Beobachtungen und Forschungsberichte aneinander und ergänzt sie um persönliche Kommentare. Dabei besteht aber ein methodisches Problem: Nicht immer ist die Deutung der geschilderten Geschichten mit Tieren in seinem Sinne zwingend. Dies spricht indessen nicht gegen seine Kernaussage, die allerdings auch schon der anarchistische Fürst Peter Kropotkin zu Beginn des 20. Jahrhunderts formuliert hatte: Auch Tiere kooperieren. Die daraus ableitbare Moral ergibt sich auch, aber nicht nur aus dem gegenseitigen Nutzen. De Waal berichtet von Fällen, wo einzelne Tiere ihre Artgenossen in Lebensgefahr retteten. Demnach gehört zur Biologie nicht nur des Menschen auch die Moral. Dies bedeutet dann, dass man dafür keine Gottes- oder Religionsvorstellung benötigt. Insofern bleiben de Waals häufige Polemiken gegen die neuen Atheisten mit Ausnahme der Einwände gegen deren Dogmatismus von der Motivation her unverständlich.

Frans de Waal, Der Mensch, der Bonobo und die zehn Gebote. Moral ist älter als Religion, Stuttgart 2015 (Klett-Cotta), 365 S., 24,95 Euro