BONN. (hpd) Der Politikwissenschaftler und Terrorismusexperte Peter Neumann beschreibt und untersucht in seinem Buch "Die neuen Dschihadisten. IS. Europa und die nächste Welle des Terrorismus" die aktuellen Gewaltakte des IS als neue Welle des Terrorismus. Obwohl das Buch in lockerer Schreibe daher kommt, kommt ihm hinsichtlich der Analyse und Differenzierung aufgrund der Sachkompetenz des Autor durchaus Bedeutung zu.
Anlässlich der islamistischen Anschläge in Paris am 13. November 2015 bedarf es erneut keiner Begründung dafür, warum man sich mit der Bedrohung durch den "Islamischen Staat" (IS) beschäftigen sollte. Eine analytisch interessante und überaus informative Darstellung legte dazu der Politikwissenschaftler Peter Neumann, der als Professor für Sicherheitspolitik am King’s College London lehrt und das International Centre for the Study of Radicalisation leitet, vor.
Bereits in der Einleitung seines Buchs "Die neuen Dschihadisten. IS, Europa und die nächste Welle des Terrorismus" heißt es: "Das Anwachsen der dschihadistischen Bewegung seit 2011 ist dramatisch, und obwohl die Mehrheit der Gruppen und Kämpfer derzeit im Nahen Osten aktiv ist, wird diese Entwicklung nicht ohne Konsequenzen für Europa bleiben. Meine These ist, dass die Anschläge in Paris und Kopenhagen Anfang 2015 keine Einzelfälle waren, sondern erste, sehr dramatische Hinweise darauf, was sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf den Straßen Europas abspielen wird" (S. 11).
Um die aktuelle Entwicklung in einem historischen Kontext zu analysieren, bemüht Neumann zunächst ein von dem Kollegen David Rapoport entwickeltes Wellen-Modell. Es betrachtet die Akzeptanz und Dynamik der gemeinten Formen von politisch motivierter Gewalt mit Hinweis auf die ideologische Orientierung: Am Beginn stand der anarchistisch motivierte Terrorismus, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkam. Dem folgten Akteure im Kontext der Entkolonialisierung, führten doch in den gemeinten Länder einschlägige Gruppen jeweils Anschläge und Attentate durch. Und als dritte Welle gelten Neumann die sozialrevolutionären Gruppen, die wie die "Rote Armee Fraktion" oder "Roten Brigaden" mit Bomben und Schüssen den Schritt in die herrschaftsfreie Gesellschaft erlangen wollten. Erst danach kam der religiösen Form des Terrorismus größere Bedeutung zu, wobei die gemeinten Bestrebungen keineswegs nur einen Bezug zum Islam im Selbstverständnis aufwiesen. Christlich-fundamentalistische Abtreibungsgegner beginnen in den USA auch Gewaltakte.
Der folgende zweite große Teil geht dann auf die nächste Welle in Gestalt von "Al Qaida" und dem "Islamischen Staat" sowie seine jeweiligen Ableger ein. Neumann beschreibt das Aufkommen der Organisationen und die Hintergründe einschlägiger Personen. Es geht ihm aber auch um die Bedeutung des Internet, das Feld der Unterstützer oder den Stellenwert von Frauen. Dabei referiert der Autor immer wieder interessante Forschungsergebnisse, etwa zum sozialen Profil der "Auslandskämpfer": "Was sie eint, ist kein demographisches oder sozioökonomisches Merkmal, sondern die fehlende Identifikation mit den westlichen Gesellschaften, in denen sie (zumeist) geboren und aufgewachsen sind" (S. 113).
Neumann macht auch deutlich, dass bei der Bekämpfung des IS eine Politik der "Eindämmung" wichtig wäre: "Die einzig realistische Lösung besteht aus einer systematischen, langfristigen und umfassenden Strategie der Eindämmung: Ein Staatsprojekt, das – wie der Islamische Staat – auf ständiger Expansion beruht, scheitert am Ende an sich selbst" (S. 195).
Das Buch eines der führenden Terrorismusexperten der Welt kommt in der Darstellung eher locker und stellenweise persönlich daher. Gleichwohl ist es nicht ein einfach "runter geschriebenes" Werk. Denn Neumann kann seine ausgeprägte Fachkompetenz ausspielen und beeindruckt auch immer wieder durch Differenzierung und Typologisierung. Allein bei den Ausführungen zu Bekämpfungsstrategien wird dies deutlich, vermeidet er doch eine einseitige Fixierung auf nur einen "richtigen Weg". So heißt es etwa: "Ein moderner, umfassender Ansatz der Terrorismusbekämpfung braucht beides: starke, kompetente und gut ausgestattete Sicherheitsbehörden und ein systematisches, mit ausreichenden Mitteln gefördertes Konzept zur Terrorismusprävention, Intervention und Deradikalisierung" (S. 199).
Zwar bleibt der Autor beim letztgenannten Aspekt eher allgemein, die detaillierte Entwicklung eines solchen Projektes hätte aber den Rahmen des Werks gesprengt. In der Gesamtschau hat man es mit einem beachtenswerten Buch – auch mit analytischen Stärken zu tun.
Peter R. Neumann, Die neuen Dschihadisten. IS, Europa und die nächste Welle des Terrorismus, Berlin 2015 (Econ-Verlag), 256 S., ISBN–13 9783843711531, 16,99 Euro