Eine Analyse der Erfolge einer rechtsextremistischen Partei

Der "Front National"

BONN. (hpd) Der Politikwissenschaftler Sebastian Chwala legt mit "Der Front National. Geschichte, Programm, Politik und Wähler" eine Darstellung zu der rechtsextremistischen Partei vor, welche ihren Erfolg aus den sozioökonomischen Umbrüchen für die Mittelschichten erklären will. Es handelt sich um eine informative und sachkundige Darstellung mit den wichtigsten Informationen auf engem Raum, wobei allerdings der Einfluss sozialer und wirtschaftlicher Bedingungsfaktoren etwas einseitig überhöht wird.

Drei Wochen nach den islamistischen Anschlägen in Paris erreichte der rechtsextremistische "Front National" bei den Regionalwahlen in Frankreich um die 30 Prozent der Stimmen. Dabei wurde die Partei erneut die stärkste bei einer Wahl. Dies ist Grund genug, um sich näher mit der damit einhergehenden politischen Entwicklung zu beschäftigen.

Einiges interessantes Material dazu liefert das Buch "Der Front National. Geschichte, Programm, Politik und Wähler", das der Politikwissenschaftler Sebastian Chwala vorgelegt hat. Er will den "materiellen Kern" (S. 131) der Partei verstehen. Demgemäss geht es dem Autor um eine stark sozioökonomisch orientierte Deutung der damit einhergehenden Entwicklung.

Bereits in der Einleitung wendet er sich daher gegen moralisierende Deutungen der Partei als "faschistisch" oder gegen eine Psychologisierung des Phänomens. Er richtet den Blick auf die soziale Basis, also die einschlägige Zusammensetzung der Wählerschaft, woraus die entscheidenden Bedingungsfaktoren für deren Erfolg ableitbar seien.

Dazu geht Chwala in die Geschichte der französischen "Ultrarechen" zurück, welche bereits im 19. Jahrhundert ihren sozialen Rückhalt im Kleinbürgertum gehabt hätten. Dem folgend beschreibt er den Aufstieg der nationalistischen Rechten wie etwa der "Action Francaise", thematisiert die Entwicklungen während der Vichy-Zeit und skizziert die Geschichte des "Poujadismus" im Nachkriegsfrankreich. Auch hier betont der Autor immer wieder den politischen Kontext mit der sozialen Basis der politischen Bestrebungen. Erst danach behandelt Chwala den "Front National", der 1972 gegründet wurde und in den folgenden Jahren zunächst keine Wahlerfolge verbuchen konnte.

Der Autor beschreibt dem folgend die unterschiedlichen ideologischen Strömungen der Sammlungspartei und erörtert ihre programmatische Entwicklung. Dazu formuliert er: Sie vereinte "ein wirtschaftsliberales Programm, das sich in erster Linie für das Kleinunternehmertum stark machte und als zentrale Forderungen den Abbau der Steuern für diesen Wirtschaftssektor forderte" (S. 72).

Ausführlicher geht es danach um die sozial- und wirtschaftspolitischen Auffassung des "Front National", wobei Chwala eine Abkehr von einer marktfixierten hin zu einer sozialstaatlichen Orientierung bestreitet: "Der Front National ist nach wie vor eine Partei, die klar prounternehmerische und wirtschaftsliberale Positionen vertritt und in der die fremdenfeindlichen Akzente dazu dienen, Migranten als Sündböcke für die schlechte soziale und ökonomische Situation im Lande verantwortlich zu machen" (S. 82f.) Mit einschlägigen Deutungsmuster könnte die Partei aber eben Wähler mobilisieren. Deren Motivation und Zusammensetzung bildet danach den thematischen Schwerpunkt. Hier geht es dem Autor darum, die Aussage "Front National als neue Arbeiterpartei" zu kritisieren. Denn die Erfolge der Partei seien Ausdruck der "Angst vor dem sozialen Abstieg (…) und Ergebnis einer Krise des positiven Individualismus der Mittelschichten, deren ganze Selbstwahrnehmung darauf beruht, durch persönlichen Erfolg zur Selbstverwirklichung" (S. 130) zu gelangen.

Chwala erweist sich als gute Kenner der Materie und liefert auf engem Raum die relevanten Wissensbestände. Dabei arbeitet er ausführlich die französischsprachige Forschung zum Thema auf. Insofern liegt mit dem Band endlich wieder eine aktuelle Darstellung zum "Front National" in deutscher Sprache vor.

Eine kritische Anmerkung darf indessen bezogen auf die Fixierung auf sozioökonomische Faktoren formuliert werden, denn der Autor selbst meint: "Es wäre (…) zu kurz gegriffen, den Erfolg des FN nur ökonomisch erklären zu wollen" (S. 135). Gleichwohl neigt Chwala dazu. Denn die erwähnten sozioökonomischen Rahmenbedingungen erklären Proteststimmungen bei Wählern, aber eben nicht die politische Artikulation oder Deutung eben dieser Unmutshaltungen. Bei der Frage der Arbeiter als soziale Basis für rechtsextremistisches Wahlverhalten schwankt er mitunter hinsichtlich der Einschätzung. Dabei gibt es ein differenziertes wie einfaches Bild: Arbeiter wählen überdurchschnittlich stark den "Front National", aber eben nicht mehrheitlich oder nur.

Sebastian Chwala, Der Front National. Geschichte, Programm, Politik und Wähler, Köln 2015 (Papy Rossa-Verlag), 143 S., ISBN 978–3–89438–592–7, 12,90 Euro