Notizen aus Polen

Das neue Protestjahr hat begonnen

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Kundgebung des KOD
Kundgebung des KOD

WARSCHAU. (hpd) Schon am 2. Januar hat die in Parlament anwesende, oppositionelle Partei “Nowoczesna” in Poznan eine Protestkundgebung organisiert. Die fast 2.000 Teilnehmer hatten dabei große rote Karten, die sie der PiS-Regierung zeigten, in den Händen.

Die einige Tage dauernde Verzögerung bei der Unterzeichnung des s.g. “Kleinen Mediengesetz” wurde voller Hoffnung als Indiz für die Unschlüssigkeit des Präsidenten interpretiert. Hatte er doch bisher alle von der PiS-Mehrheit im Eiltempo verabschiedeten verfassungswidrige Gesetze noch am gleichen Tag unterzeichnet. Die Ursache war dann doch leider sehr prosaisch: Der Präsident machte Skiurlaub; sofort nach seiner Rückkehr in den Regierungspalast unterzeichnete er.

Bereits am nächsten Tag wurde ein neuer Chef des öffentlichen Fernsehens nominiert. Der staatliche Rundfunk bekam ebenso eine neue Chefin und sofort verstummte die stündlich abwechselnd gespielte “Ode an die Freude” und der polnische Nationalhymne: Diese waren einige Tage aus Protest gegen das Mediengesetz im Radio gespielt worden.

Der Namen des Gesetzes täuscht, denn es geht nicht um eine neue Mission oder Organisation der öffentlichen Medien. Mit einigen kurzen Artikeln wurde damit der “Landesrat des Fernsehens und Rundfunks” abgeschafft. Dieser Landesrat hat bisher die Aufsichtsräte der beiden Anstalten einberufen sowie die Amtszeit der Vorstände des Fernsehens und Rundfunk beschlossen. Die neuen Vorstände werden nun vom Finanziminister bestellt.

Das “Komitee für Verteidigung der Demokratie” (KOD) hat am 9. Januar die Protestkundgebungen in vielen polnischen Städten organisiert. Allein in Warschau erschienen ca. 20.000 Leute vor dem Gebäude der Nachrichtenredaktionen TVP. Die Redner forderten die Gewerkschaften zu Verteidigung der mit Entlassung bedrohten zahlreichen Mitarbeiter von TVP und Rundfunk auf. Die größte Gewerkschaft Solidarność hat bei den Wahlen die PiS-Partei stark unterstützt und wird höchstwahrscheinlich nichts unternehmen. Auch der “Verband der Polnischen Journalisten” schweigt.

Journalisten, Professoren, Experte, Kommentatoren und andere, die bisher die Radio- und Fernsehstudios besucht haben, wurden aufgefordert, das aus Protest nicht mehr zu tun. Eine der Parolen, die Protestierenden skandierten, lautete: “Ihr habt Studios, wir haben die TV-Fernbedienung”.

Einige Stunden vor der Protestdemonstration wurde auf dem Warschauer Schlossplatz vor der König-Zygmund-Säule ein Flash Mob organisiert. Einige Hunderte Teilnehmer haben die “Ode an die Freude” gesungen und mit europäischen und KOD-Fahnen gewinkt.

An jeden 10-ten Tag des Monats versammeln sich Menschen vor dem Präsidentenpalast zum Gedächtnis an den Absturz des Flugzeugs in Smolensk (am 10. Februar 2010), bei dem der polnische Präsident, Lech Kaczyński, seine Frau und 94 weitere Politiker, hohe Militärs u.a. ums Leben gekommen sind. Am 10. Januar 2016 versammelten sich wesentlich mehr Menschen als sonst üblich. Jarosław Kaczyński hat von einer Leiter aus geredet und die Enthüllung “der vollen Wahrheit über die Smoleńsk-Katastrophe” versprochen. Die Wahrheit bedeutet laut Kaczyński, dass es sich um ein Attentat am polnischen Präsidenten handelt, an dem Putin und Tusk schuldig sind. So hat er seine Rede auch genutzt, um deutsche Politiker scharf anzugreifen, die die – seiner Meinung nach “angebliche” – Demokratieverletzungen in Polen unbefugt kritisieren.

Das Wecken von antideutschen Stimmungen gehört zu der Strategie der derzeitigen Regierung. Es wird jetzt zudem noch das Argument verwendet, die Deutschen sollen lieber ihre eigene Frauen schützen, als sich in polnische Angelegenheiten einzumischen.

Als Erzfeind der Regierung wird das “Komitee für Verteidigung der Demokratie” (KOD) angesehen. Außer der rechtsorientierten Presse versuchen auch zahlreiche Internetplattformen mit aller Kraft den KOD, seine Führer und Sympathisanten zu diskreditieren. Sie wiederholen gerne die von Jarosław Kaczyński genutzen Beleidigungen der KOB als “Diebe, Kommunisten, Verräter, Leute schlechterer Sorte” etc. Es wird auch in den Lebensläufe der Menschen gewühlt, um irgendwas Belastendes zu finden; der kostbarste Fund ist die angebliche jüdische Abstammung. Diese von Hass besessene “Detektive” sind der Meinung, dass es keine größere und schmerzhaftere Beleidigung gibt, als jemanden “Jude” zu nennen.

Die Teilnehmer der KOD-Demonstrationen sind sich jedoch einig, dass sie schon “sehr lange nicht so viele freundliche, lächelnde, freudige, offene Leute wie auf den Protestkundgebungen” getroffen haben. Je häufiger die PiS-Anhänger eine abwertende Sprache nutzen, desto kräftiger wird das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gemeinschaft, die sich pflichtbewusst der Verteidigung der Grund- und Menschenrechte verschreibt. Es bildet sich nicht nur eine Zivilgesellschaft, sondern auch die von den Politikern aller Couleur jahrelang verursachten Gräben in der Gesellschaft werden zunehmend zugeschüttet.

Am 10. Januar 2016 hat auch zum 24-mal das “Große Orchester der Festlicher Hilfe” (WOŚP) gespielt. So heißt die große Spendenaktion, bei der Gelder für medizinische Geräte zur Rettung von Kleinkindern und Senioren gesammelt werden. Das Orchester wird als Konkurrenz der katholischen Caritas angesehen und von der Rechte seit Jahren diskreditiert. Diesmal hat sich sogar der Generalstab der Armee (unter dem neuen Verteidigungsminister Antoni Macierewicz) eingeschaltet und den Soldaten verboten, mit dem Orchester zusammenzuarbeiten. Die Reaktion der Polen war schnell: dann spenden wir mehr als bisher und der gesammelte Betrag scheint tatsächlich sämtliche bisherige Rekorde zu brechen.