Eine neue Mussolini-Biographie

"Der erste Faschist"

BONN. (hpd) Der Historiker Hans Woller legt mit "Mussolini. Der erste Faschist" eine ausführlichere deutschsprachige Lebensbeschreibung des italienischen Diktators vor. In manchmal zu lockerer Schreibe entwirft er ein anschauliches Bild, wobei den häufig ignorierten Schattenseiten auch im Bereich Antisemitismus und Rassismus größere Aufmerksamkeit gewidmet wird.

Benito Mussolini war der "erste Faschist", er prägte das mit "Faschismus" konkret gemeinte Phänomen. Gleichwohl fanden seine Person und sein Wirken in der deutschsprachigen Fachliteratur nur geringe Aufmerksamkeit. Erst jetzt liegt eine ausführlichere Biographie (nach der nur kurzen Lebensbeschreibung von Wolfgang Schieder) vor. Geschrieben hat sie Hans Woller, langjähriger Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München. Sie erschien als "Mussolini. Der erste Faschist. Eine Biografie" in der neuen Reihe des C.H. Beck-Verlags "Diktatoren des 20. Jahrhunderts".

In ihr geht es darum, "das Wesentliche zu erfassen und im Lichte der modernen Forschung neu zu deuten: den Kern der Hauptperson, die wichtigsten Merkmale des von ihr diktatorisch geführten Regimes und den historischen Ort dieses Regimes in der Geschichte unserer Zeit" (S. 10). Dabei soll nicht ausschließlich für ein Fachpublikum geschrieben werden. Auch die "Mussolini"-Biographie kommt in anschaulicher und lockerer Schreibe daher.

Aufgegliedert ist sie im chronologischen Sinne von der Geburt bis zum Tod, wobei der Autor ein bestimmtes historisches Ereignis an einem Tag ins Zentrum der Kapitel stellt: Woller behauptet bereits einleitend, dass der italienische Diktatur "der erste Popstar der Politik und der Geschichte" (S. 8) gewesen sei. Dies machen auch spätere Ausführungen und Fotos deutlich.

Der Biograph betont aber auch, dass das Bild des realen Mussolini im politischen Meinungsstreit zwischen "Empörung und Empathie" (S. 9) auf der Strecke geblieben wäre. Damit deutet sich keineswegs eine Relativierung oder Verharmlosung an. Die Lebensbeschreibung macht vielmehr auf bislang ignorierte Schattenseiten aufmerksam. Bereits in seien politischen Lehrjahren noch als Sozialist "reizte ihn .. die … aufgeworfene Rassenfrage" (S. 29) und es fanden sich schon zu dieser Zeit "antijüdische Ressentiments" (S. 31). Beides hielt man häufig in der Forschung - auch später für das Regime - für eine Anpassung an oder Kopie des nationalsozialistischen Verbündeten.

Woller beschreibt dann anschaulich die Entwicklung des Sozialisten Mussolini hin zum "ersten Faschisten", wobei auf die Bedeutung seiner besonderen Charakterstruktur hingewiesen wird. Dass die Kolonial- und Vernichtungspolitik des italienischen Faschismus keineswegs eher harmlos war, verdeutlichen die Ausführungen zum Abessinien-Krieg, wo Mussolini selbst für Massaker die Verantwortung getragen habe. Woller betont darüber hinaus durch die Biographie hindurch, dass der italienische Diktatur eigentlich durchgängig eine judenfeindliche Auffassung gehabt habe:"Der Antisemitismus avancierte bereits in den zwanziger Jahren zu einem tragenden Pfeiler seiner Ideologie …" (S. 164). Dies machte sich auch in der Politik deutlich: "Radikale Aussiedlungsprojekte für Juden waren ihm ja nicht fremd, er hatte schon Ende der dreißiger Jahre an solche Lösungen gedacht" (S. 235). Demnach gab es auch hier eine größere Ähnlichkeit mit Hitler als bislang angenommen. Solche Erkenntnisse bilden denn auch das Neue in der "Mussolini"-Lebensbeschreibung.

Insofern kann man sie einerseits aufgrund ihrer anschaulichen Darstellung und guten Strukturierung als Einführung zum Thema lesen. Mitunter geht aber mit dem Autor der Literat durch, und es gibt psychologisierend wirkende Sätze wie die folgenden: "Die innere Stimme seines Misstrauens sagte Mussolini, das er sich von Hitler fernhalten musste. Er hörte nicht darauf. Sein hybrides Selbstbild betäubte seine Ängste …" (S. 144). Gleichwohl liefert die Biographie von Wollers andererseits auch neue Einsichten in die Dimensionen der Schreckensbilanz, die aber nicht in falschen Gleichsetzungen mündet. So heißt es: "Mussolini traute den Juden alles zu, er hasste sie, sie mussten weg – egal, wie und wie viele dabei auf der Strecke blieben" (S. 301).

Das Buch endet übrigens mit einem Kapitel zu Predappio, wo der italienische Diktatur seine letzte Ruhe gefunden hat. Woller spricht hier zutreffend von einer "Pilgerstätte" (S. 319) für heutige Anhänger. Dass es so etwas gibt, spricht für ein unkritisches Geschichtsbewusstsein. Man stelle sich vor, in Deutschland würde es …

Hans Woller, Mussolini. Der erste Faschist. Eine Biographie, München 2016 (C. H. Beck-Verlag), 397 S., ISBN 978–3–406–69034–1, 26,95 Euro