Iran: Dramatische Strafverschärfung für Verstöße gegen die Kopftuchtragepflicht

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Vor knapp einem Jahr entfachte der tragische Tod der kurdischstämmigen Iranerin Zhina Mahsa Amini in der Obhut der iranischen Sittenpolizei eine landesweite Protestbewegung, die als die größte Herausforderung für das theokratische Regime seit der Revolution 1979 gilt.1 Die Protestmärsche auf den Straßen flauten ab, aber in den urbanen Zentren des Landes setzen Frauen nach wie vor einen "stillen Protest" fort, indem sie sich der erzwungenen Kleiderordnung widersetzen. Kürzlich hat eine Kommission des iranischen Parlaments einen Gesetzesentwurf gebilligt, der drakonische Haftstrafen für diese mutigen Frauen vorsieht.

Der Entwurf für das Gesetz mit dem bezeichnenden Titel "Hijab und Keuschheit" schürt Befürchtungen und Unruhe unter denjenigen, die für die Freiheit und Menschenrechte der Frauen im Iran kämpfen: Der Gesetzentwurf richtet sich an die Geheimdienste und erteilt ihnen die Befugnis, Frauen, die sich weigern, den obligatorischen Hijab zu tragen, zu ergreifen und den Justizbehörden zur Verurteilung zu übergeben. Den Frauen drohen eine fünf- bis zehnjährige Haftstrafe und Geldstrafen, die für Iraner mit durchschnittlichem Einkommen unerschwinglich sind.

Der Gesetzesentwurf geht jedoch noch weiter: Er beinhaltet Arbeitsverbote, den Ausschluss aus Bildungseinrichtungen, Reiseverbote und die Beschlagnahmung von Reisepässen. Unternehmen, die sich nicht um die Einhaltung der Hijab-Vorschriften bei ihren Mitarbeiterinnen kümmern, müssen ebenfalls mit empfindlichen Strafen rechnen.2

Um sich die Diskussionen und die Abstimmung im Parlamentsplenum zu ersparen, wendet die Regierung einen juristischen Trick an: Gestützt auf eine verfassungsrechtliche Sonderregel soll das Gesetz zunächst nach der Genehmigung durch den "Wächterrat" – ein erzkonservatives, zwölfköpfiges Gremium von "gerechten" islamischen Rechtsgelehrten und muslimischen Juristen – probehalber in Kraft treten. Eine Formsache, denn "[i]n der Praxis ist der Wächterrat als eine den Status Quo verteidigende Instanz aufgetreten, die sich als Gegenspieler des Parlaments versteht" und das "Ziel der Islamisierung der gesamten staatlichen Rechtsordnung" verfolgt, schreibt Prof. Dr. Foroud Shirvani, Verfassungsexperte an der Universität Bonn, in einem Aufsatz.3 Das Parlament darf später nur noch über die endgültige Dauer entscheiden.

Der Wandel der Rolle des Hijabs

Der Hijab hat eine langjährige Tradition als Symbol für den Widerstand im Iran. Zunächst galt der Hijab als "rückständig" und wurde von der gebildeten Ober- und Mittelschicht nur selten getragen. In den 1970er Jahren wandelte er sich zu einem Symbol der Opposition gegen den Schah. Frauen, die zuvor unverschleiert gegangen waren, trugen ihn jetzt freiwillig. Dann, nach der großen iranischen Revolution und dem Sturz des Schah im Jahre 1979, wurde die Verschleierung für Frauen nach kurzer Zeit obligatorisch. Seitdem ist das Ablegen des Hijab ein Symbol für Frauen, die gegen die religiöse Bevormundung ankämpfen.

Der Wandel der Rolle des Hijabs beruht auf einem völlig neuen Verständnis der Geltung islamischer Glaubensregeln. Die islamische Republik beruft sich auf die uneingeschränkte Souveränität Gottes. Diese äußert sich im Recht Gottes zur Gesetzgebung und in der Pflicht der Menschen zur Unterordnung. Die Hauptquellen islamischen Rechts sind der Koran, der das Wort Gottes enthalten, und die Sunna, die die Handlungen und Ansichten des Religionsstifters Mohammed überliefern soll. Die gesamte Politik des Landes und das ganze Leben der Menschen sollen sich gottgefällig nach den darin verankerten islamischen Prinzipien richten.

Die Einhaltung islamischer Bekleidungsvorschriften im öffentlichen Raum wird von Sittenwächtern überwacht, die mit brutaler Härte gegen Abweichlerinnen vorgehen. Über die Jahre hinweg haben verschiedene Webseiten lange Listen von bekanntgewordenen Fällen zusammengestellt, in denen diese Sittenwächter buchstäblich zuschlugen und Frauen verschleppten. Diese schockierenden Vorfälle haben immer wieder zu Protestbewegungen im Iran geführt. Als Reaktion darauf führte die Regierung regelmäßig als erste Maßnahme eine Internetblockade durch, damit sich weder das Ausland noch die Aufständigen informieren oder organisieren konnten.

Eine der bekanntesten Gruppen, die sich für Frauenrechte im Iran aktiv engagiert, ist My Stealthy Freedom. Dabei handelt es sich um eine Online-Bewegung, die von der in den USA lebenden Journalistin Masih Alinejad initiiert wurde. Sie ermöglicht iranischen Frauen, Fotos von sich selbst ohne Hijab auf Facebook zu veröffentlichen. Die Journalistin betont, dass sie nicht den Hijab bekämpft, sondern es gehe ihr um das Recht der Frauen, selbst wählen zu dürfen, ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht. Für ihren Einsatz im Kampf für Freiheit, Grundrechte und Gleichberechtigung iranischer Frauen wurde ihr 2015 der "Women's Rights Award" verliehen.

Das Pendel hat wieder zu Gunsten der iranischen Führung umgeschlagen

Das Pendel hat nach den heftigen Protesten in Folge des Todes von Zhina Mahsa Amini wieder zu Gunsten der iranischen Führung umgeschlagen. Amnesty International berichtet, dass seit April 2023 die Behörden wieder verstärkt gegen Frauen und Mädchen vorgehen, die in der Öffentlichkeit kein Kopftuch tragen. Mehr als eine Million Frauen sollen SMS-Warnungen erhalten haben, in denen ihnen gedroht wurde, dass ihre Fahrzeuge beschlagnahmt würden, wenn sie unverschleiert in einem Auto unterwegs sein sollten. Hunderte von Geschäften wurden behördlich geschlossen, weil sich die Inhaber weigerten, die Hijab-Pflicht durchzusetzen. Unzähligen Frauen wurde der Zugang zu Bankdienstleistungen und öffentlichen Verkehrsmitteln verwehrt. Gerichte haben Frauen dazu verurteilt, an Beratungsgesprächen wegen "asozialen Verhaltens" teilzunehmen, Leichen zu waschen und Reinigungsdienste zu erbringen. Frauen, die sich gegen den Zwang wehren, sind Gegenstand hasserfüllter Äußerungen der staatlichen Medien und Behörden. Sie werden als "Virus", "soziale Krankheit" oder "neue tödliche Form des Coronavirus" bezeichnet, die es zu bekämpfen gelte. Die Entscheidung, kein Kopftuch zu tragen, wird mit "sexueller Verderbtheit" und mit "psychischen Störungen" gleichgesetzt, die einer Behandlung bedürften. Auch die Verwendung moderner, mit Künstlicher Intelligenz unterstützter Gesichtserkennungstechnologie als Massenüberwachung wurde angekündigt, um Frauen und Mädchen zukünftig rascher und effizienter identifizieren zu können.

Der iranische Präsident Ebrahim Raisi, der sich nach Beruhigung der Situation wieder sicher fühlt, hat es sich Anfang August nicht nehmen lassen, in einer Ansprache den Frauen zu drohen. Selbstsicher verkündete er auch: "Die Verbreitung des Ablegens des Hijabs wird definitiv unterbunden werden".4

Knapp die Hälfte der etwa 90 Millionen Menschen, die 2023 im Iran leben, sind Frauen. Ihnen allen wird nun mit drakonischen Strafandrohungen das Recht abgesprochen, über das Tragen eines Hijabs frei entscheiden zu können. 45 Millionen unterdrückte Frauen stellen ein Pulverfass dar, das jederzeit explodieren könnte.

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1"Fresh protests erupt in Iran's universities and Kurdish region", The Guardian, 6 November 2022.

2انتشار متن لایحه «حجاب و عفاف»؛ بازداشت و مجازات و گسترش تفکیک جنسیت, Radio Farda, August 2023.

3"Der Wächterrat Im Institutionellen Kontext Der Iranischen Verfassung.", Shirvani, Foroud in Verfassung Und Recht in Übersee / Law and Politics in Africa, Asia and Latin America, vol. 43, no. 2, 2010, pp. 244–58.

4"Iranischer Präsident Raisi droht Frauen ohne Kopftuch", red, ORF.at/Agenturen, 9. August 2023.