"Religionsrat" in Wien eingerichtet

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Einbahnstraße in Wien
Einbahnstraße in Wien

Nach einem Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern der Glaubensgemeinschaften gab der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) bekannt, dass Wien einen "Religionsrat" einführen wird. Zweimal im Jahr werde dieser tagen, um gemeinsam über aktuelle Entwicklungen und anstehende Probleme zu reden. Einen Dialog mit Konfessionsfreien hält der Bürgermeister für nicht erforderlich. Das müssen Konfessionsfreie nicht unbedingt bedauern, denn die Einführung des "Religionsrats" zielt an einer wichtigen Ursache für Antisemitismus in Wien vorbei und ist vermutlich zum Scheitern verurteilt.

Die jüngsten schockierenden Ereignisse in Israel haben nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Politik in Wien in Aufruhr versetzt. Besonders nachdem bei pro-palästinensischen Demonstrationen in Wien antisemitische Parolen skandiert wurden, spürt die Stadt den Druck, zu handeln.

Eine Pressekonferenz dazu begann zunächst mit einem (Eigen)lob des Bürgermeisters. Das Ausmaß der Proteste sei in Wien im Vergleich zu anderen europäischen Städten geringer gewesen. Das kann man auch anders sehen: Tatsächlich trafen sich in Wien hunderte Palästinenser und riefen ausgerechnet vor dem Stephansdom "Allahu-akbar". Da die Pro-Palästina-Demonstration von der Polizei untersagt worden war, hagelte es mehrere hundert Anzeigen, wie der Kurier berichtet. Es gab und gibt in vielen Städten Europas Solidaritätskundgebungen für Palästina, die zwar angesichts der Barbarei und Grausamkeit der Hamas betroffen und ratlos machen, aber friedlich verliefen (vgl. z.B.: London , Düsseldorf, Braunschweig).

Als Grund für die angeblich friedliche Natur dieser Demonstrationen nannte Bürgermeister Michael Ludwig die mäßigende Wirkung der Religionsvertreter. Wiederum lieferte Ludwig für seine Behauptung weder Beleg noch Argument. Tatsächlich ist es auch mehr als fraglich, ob die Religionsvertreter überhaupt in der Lage waren, zur Mäßigung zu mahnen. Eine Hintergrundrecherche des investigativen Nachrichtenmagazins Profil zeigt, dass die Pro-Palästina-Bewegung in Österreich vor allem von links-marxistischen Splittergruppen getragen wird. Das ist in Österreich nicht viel anders als anderswo. In Spanien unterstützen die Links-Parteien sogar offen die Pro-Palästina-Demonstrationen. So nahm die Ministerin für Sozialrechte an einer Pro-Palästina-Kundgebung in Madrid teil, was zu politischen Spannungen zwischen Spanien und Israel geführt hat (vgl. Mallorca Zeitung).

Es ist hier nicht der Platz, den Konflikt Palästina und Israel in all seinen politischen und historischen Facetten aufzuarbeiten. An dieser Stelle soll nur gesagt sein, dass es erlaubt sein muss, Palästina und Israel für ihre jeweiligen Politiken und Handlungen oder Unterlassungen zu kritisieren, ohne in ein antisemitisches oder islamophobes Eck gestellt zu werden. Doch oft kann gerechtfertigte Kritik – in der Regel aus Ohnmachtsgefühl und Hoffnungslosigkeit heraus – in Hass und Hetze umschlagen und zu schlimmen "ismen" führen wie Islamismus und Antisemitismus.

Linker Antisemitismus ist nicht direkt rassistisch, aber auch er befeuert den Stereotyp über Juden als Unterdrücker anderer Völker. Den ideologischen Boden für den linken Antisemitismus bildet die Wut auf Israel als wichtigster kapitalistischer Bündnispartner der verhassten USA, erklärt der Experte für Extremismus- und Terrorismusbekämpfung, Felix Neumann, in einem Beitrag auf der Website der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Wenn es also darum geht, ein friedliches Miteinander von Palästina-Sympathisanten und Israel-Anhängern zu fördern, sollte der Bürgermeister von Wien in seinem linken Umfeld Einfluss nehmen. Mit seiner Ankündigung zur Gründung eines "Religionsrats" als Reaktion auf die Geschehnisse in Israel hat er jedoch das Narrativ verstärkt, dass muslimische Migranten den Judenhass nach Österreich importieren. Der Bürgermeister hat nicht nur den hausgemachten linken Antisemitismus als eine der Hauptursachen für den Hass auf Israel ignoriert, sondern er ist auch in die Falle der Extremisten getappt, indem er den falschen Glauben an die Bedrohung durch Migranten aus dem arabischen Raum verstärkt hat.

Religionsrat wird nicht zur Befriedung der Situation beitragen

Natürlich ist nicht zu leugnen, dass auch der rechte Antisemitismus in Österreich nicht verschwunden ist. Noch immer verharmlosen dumpe Gestalten den Holocaust oder bestreiten diesen sogar. Es ist ihnen keine Verschwörungstheorie über die Rolle der Juden in der Welt zu abwegig, um sie nicht zu verbreiten. Dennoch spielen Juden im Vergleich zu arabischen Migranten schon seit längerem eine untergeordnete Rolle als Feindbild für rechte Gruppen. Daher konnten rechte Parteien sich schnell mit Israel solidarisieren, da ihr Hauptanliegen darin besteht, Muslime pauschal als Antisemiten zu diffamieren und Stimmung gegen muslimische Migranten zu machen.

Es ist auch unbestreitbar, dass es Migranten gibt, die mit einer starken Abneigung gegenüber Israel nach Österreich kommen. Einige von ihnen überschreiten die Grenze zwischen legitimer Kritik an israelischer Politik und purem Antisemitismus, und sie sprechen kompromisslos und hasserfüllt Israel das Recht ab, zu existieren.

Aufgefangen werden Migrant*innen oft in Organisationen, die, wie Profil aufzeigt, von Österreicher*innen oder von Araber*innen, die sich seit Jahrzehnten in Österreich befinden, geleitet werden. Eine dieser Gruppe heißt "Palästinenser Solidarität Österreich" und ist von einem österreichischen Theologen gegründet worden. Er sieht sich, so Profil, im Kampf gegen die "US-Imperialistische Weltordnung" und das "westliche Joch".

Da man verkennt, dass der Nahost-Konflikt in Wien weniger von den Religionen, sondern von Ideologen geschürt wird, ist absehbar, dass der Religionsrat zur Befriedung der Situation nicht beitragen und daher scheitern wird. Aber vielleicht vermag der Religionsrat andere Probleme auf kommunaler Ebene zu lösen? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie der Bürgermeister seinen Religionsrat organisiert. Die neue Institution soll beim Stadtchef persönlich angesiedelt werden und zwei Mal im Jahr tagen. Der Religionsrat wird also kein Gremium sein, das rasch auf konkrete Konfliktsituationen einzugehen vermag.

Er ist im Übrigen auch nicht die erste Plattform, bei der sich Religionen im Austausch gegenüberstehen. An der Universität Wien befindet sich seit 2010 das Forschungszentrum "Religion and Transformation in Contemporary Society", an dem derzeit rund 60 Wissenschaftler*innen aus sieben Fakultäten und zwölf Disziplinen (Katholische, Evangelische, Orthodoxe und Islamische Theologie, Judaistik, Islam- und Religionswissenschaften, Sozial-, Rechts- und Kulturwissenschaften, Philosophie und Bildungswissenschaft) zusammenarbeiten. Das Zentrum bietet viele öffentliche Veranstaltungen, Publikationen und ermöglicht den theologischen Diskurs.

Wenn also dem Religionsrat von Bürgermeister Ludwig irgendein Mehrwert zugebilligt werden soll, dann für die prioritäre Behandlung der von Religionen geschaffenen Probleme. Das ist mehr als Nichts, aber es darf schon die Frage gestellt werden, warum der Bürgermeister auf den institutionalisierten Dialog mit den Wiener Konfessionsfreien verzichtet? In Wien, eine Stadt mit rund zwei Millionen Einwohnern, ist der Anteil der Personen, die sich keiner Glaubensgemeinschaft zugehörig fühlen, mit über einem Drittel österreichweit am höchsten. Kein Wunder also, dass in den einschlägigen Foren die Wut über den Wiener Bürgermeister groß ist. Beispielsweise schreibt ein Mitglied der WhatsApp-Gruppe "Humanistische Gespräche": "Wo ist der 'Campus der Wissenschaften'? Wo ist der 'Rat der Menschen' in Wien, in dem ALLE Menschen vertreten sind? Allerdings bedeutet die 'Einberufung eines Religionsrates' in Bezug auf die Situation in Israel für mich im Umkehrschluss, dass nur religiöse Vereinigungen zu solchen Extremen fähig sind?! Und man sie 'nur' so an die 'friedliche Leine' bekommt?"

Nicht alle Konfessionsfreien bestehen auf eine Vertretung im Religionsrat. Einige befürchten, dass es sich bei diesem lediglich um "Religions-PR" handelt. In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Kritikpunkt am Religionsrat festzumachen: Auch wenn die Trennung von Staat und Kirche in der österreichischen Verfassung nicht expressis verbis festgeschrieben ist, sieht sich Österreich als säkularer Staat. Einige Verfassungsbestimmungen, wie etwa Artikel 66, Staatsvertrag von Saint-Germain, betonen, dass Unterschiede in Religion, Glauben oder Bekenntnis keinem österreichischen Staatsangehörigen bei der Wahrnehmung seiner bürgerlichen und politischen Rechte nachteilig sein darf. Einen Religionsrat unter Ausschluss der Konfessionsfreien direkt beim Bürgermeister anzusiedeln, ist schwerlich mit der Absicht des Staatsvertrags von Saint-Germain, staatliche Neutralität gegenüber Bekenntnissen zu garantieren, vereinbar.

Ob der Religionsrat lediglich eine PR-Aktion ist oder sich tatsächlich bewähren wird, bleibt abzuwarten. Als Antwort auf die Gräueltaten der Hamas in Israel ist der Religionsrat mit Bestimmtheit eine Fehlkonstruktion. Zudem ist die Ignorierung der Konfessionsfreien ein schlechtes Omen für die zukünftige Arbeit und Effektivität des Rates.

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