Tierethik

Die Krone wackelt

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Was, wenn Schweine gleich intelligent sind wie Hunde und Tiere so wie Menschen Moralfähigkeit besitzen? Ein interdisziplinär arbeitendes Team um die Tierethikerin Judith Benz-Schwarzburg geht Fragen nach, die uns auffordern, die Beziehung von Mensch und Tier grundlegend zu überdenken.

Jedes Mal, wenn Bello die Pfote gibt, bekommt er ein Leckerli. Da spielt er endlos lange mit. Hündin Luna beobachtet das. Auch sie gibt die Pfote, allerdings ohne dafür belohnt zu werden. Luna durchschaut das unfaire Spiel rasch, sie fühlt sich benachteiligt und macht nicht mehr mit. Solche Experimente werden am Wiener Messerli Forschungsinstitut im "Clever Dog Lab" durchgeführt. Biolog:innen beobachten dort neben Hunden auch Kakadus, Bergpapageien und frei lebende Schweine in ihrem Verhalten.

Dass Tiere intelligent sind, ist längst bekannt. Nicht nur unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen, sondern auch Delfine, Wale oder Vögel sind äußerst klug. Selbst die wirbellosen Tintenfische können komplexe Probleme lösen. Gerade erst haben Forschende eine mögliche Erklärung dafür gefunden, wie sich die Intelligenz der Kopffüßer entwickeln konnte. Es sind zum Teil erstaunliche Erkenntnisse, die die Wissenschaft seit den 90er-Jahren hervorgebracht hat. – Seit die Erforschung der sozialen Intelligenz von Nicht-Primaten an Fahrt aufgenommen hat. Tiere sind nicht nur intelligent, sie fühlen und kooperieren, sie trauern, streiten und haben einen Gerechtigkeitssinn, wie das Beispiel von Bello und Luna zeigt.

Die Sicht der Ethik

Was heißt das nun für die Beziehung von Mensch und Tier und insbesondere für das Selbstbild des Menschen als Krone der Evolution? Hier kommen Philosoph:innen wie Judith Benz-Schwarzburg ins Spiel. Die Wissenschaftlerin hat sich auf Tierethik spezialisiert und stellt sich die Frage: Was ist, wenn Tiere so etwas wie Moralfähigkeit besitzen und warum ist das aus ethischer Sicht relevant? Hier ergänzt ihre Forschung die Arbeit der Kognitions- und Verhaltensforscher:innen am Messerli Forschungsinstitut für Mensch-Tier-Beziehungen an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. In einem aktuellen Forschungsprojekt, das vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert wird, versucht ein Team unter ihrer Leitung zunächst den Charakter und die soziokognitiven Voraussetzungen moralischen Verhaltens bei Tieren näher zu bestimmen, um dann nach den ethischen Folgen zu fragen.

Empathie als moralische Emotion

In philosophischen Debatten zur Moralfähigkeit bei Tieren rückt die Rolle der Emotionen in den Fokus. "Es gibt einen jahrhundertelangen Streit in der Philosophie, ob wir die Rationalität oder mehr die Emotionalität betonen sollen", erzählt Benz-Schwarzburg. Rationalistisch geprägte Philosophen von Aristoteles über Kant sahen nur den Menschen als moralisches Subjekt an, weil er die Gründe seines Handelns reflektieren kann und verantwortungsfähig ist. Das unterscheide ihn vom Tier.

Die Projektleiterin Judith Benz-Schwarzburg forscht in der Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung am Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien, an der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien. Sie hat an der Universität Tübingen in Philosophie promoviert und beschäftigt sich mit den soziokognitiven Fähigkeiten bei Tieren und ihrer Relevanz für Tierethik und Tierschutz. Das Projekt "Moralfähigkeit bei Tieren" (2018–2023) wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit 400.000 Euro gefördert.

"Wir gehen aber davon aus, dass moralisches Verhalten gar nicht so viel mit intellektueller Reflexion zu tun hat, sondern stark auf Emotionen basiert. Eine solche moralische Emotion ist etwa Empathie", sagt Benz-Schwarzburg. Das bedeutet: Ein Tier, das aufgrund von Empathie handelt, ist hinreichend moralisch motiviert, um die Aussage treffen zu können, es handle moralisch. "Wir brauchen diese Beschreibung, um auch weite Teile von moralischer Interaktion zwischen Menschen zu erklären, nicht nur bei kleinen Kindern und Heranwachsenden, wo es Abstufungen in der Moralfähigkeit gibt, sondern auch bei Erwachsenen", erklärt die Philosophin. Denn oft reflektieren wir nicht über die Gründe unseres Verhaltens, handeln aber trotzdem moralisch: Wenn sich jemand spontan hilfsbereit zeigt, wenn man sich für einen anderen freut oder im Extremfall ein ertrinkendes Kind rettet – ohne lange nachzudenken, ob und warum das gut und richtig ist.

Natürliches soziales Verhalten

Zurück ins Messerli-Institut und dieses Mal in das "Clever Pig Lab" in Niederösterreich, wo bisher noch neuseeländische Hausschweine auf einem mehrere Hektar großen Gelände frei leben – sie übersiedeln demnächst in ein neues Zuhause. Dort lässt sich das ausgeprägte Sozialverhalten der Tiere gut beobachten. Schweine leben in Gruppen, sie berühren sich gerne, sind äußerst neugierig und kommunizieren ständig. Der Bedeutung von Berührung und Fürsorge räumt die Doktorandin im Projekt, Birte Wrage, übrigens eine besondere Rolle ein, die bisher in der Forschung noch nicht berücksichtigt wurde.

Werden Schweine als Nutztiere gehalten, können sie ihr natürliches soziales Verhalten oft nicht mehr ausleben. Muttertiere werden unter anderem von ihren Ferkeln abgetrennt. Das stresst nicht nur die Tiere selbst, sie spüren auch den Stress ihrer Artgenossen. Doch abgeschottet voneinander haben sie keine Möglichkeit, sich gegenseitig zu trösten. Um die Bedeutung solcher (gestörter) Interkationen von Tieren zu verstehen, stützen sich Benz-Schwarzburg und ihr Team auf bereits bestehende ethische Theorien wie den von der amerikanischen Philosophin Martha Nussbaum entwickelten Fähigkeitenansatz. Dieser stellt Fähigkeiten wie beispielsweise Empathie in den Mittelpunkt der Idee eines gerechten, guten und gedeihenden Lebens – Konzepte, die sich auch auf Tiere übertragen lassen.

Fürsorge als Grundlage von Moralfähigkeit

Wie auch die Menschen üben Tiere im Laufe ihrer Sozialisation richtiges Handeln in bestimmten Situationen. Aber auch im Individuum selbst gibt es diese Motivationsebene. Das ist aus Versuchen bekannt, wo bei Tieren gezielt die im Gehirn verortete Empathiefähigkeit "ausgeschaltet" wurde. Können Menschen wie Tiere ihr normales soziales Verhalten nicht ausleben, verlieren sie ihre moralischen Fähigkeiten, sie werden aggressiv und asozial. Auch die Fürsorgeethik, eine feministisch inspirierte Theorie, auf die sich Benz-Schwarzburg und Wrage ebenfalls beziehen, rückt deshalb die Aspekte des Für-einander-Daseins und insbesondere der Mutter-Kind-Beziehung als Grundlage von Moralfähigkeit in den Mittelpunkt. Das aber stellt das Verhältnis von Mensch und Tier vor ein Problem.

Soziale Fähigkeiten von Tieren unterschätzt

Der Mensch hindert Tiere in vielerlei Hinsicht daran, ihre auf Fürsorge aufbauenden moralischen Verhaltensweisen zu leben. "Nutztiere werden oft umgruppiert, da gehen nicht nur familiäre Beziehungen verloren, sondern auch Freundschaften. Das spielt für Tiere eine wichtige Rolle", sagt Benz-Schwarzburg und ergänzt: "Wir wissen empirisch heute immer mehr, zum Beispiel, dass auch Ratten Mitgefühl haben und Schweine in manchen kognitiven und emotionalen Fähigkeiten mit Hunden vergleichbar sind. Das zeigt, dass wir die komplexen sozialen Fähigkeiten von Tieren viel zu lange unterschätzt haben." Nicht zuletzt stellt das die Menschen mit ihrem Anspruch auf moralische Überlegenheit vor unangenehme Fragen zur Umgangsweise mit Tieren. "Es gibt viele Kontexte, die wir ignorieren und romantisieren", bestätigt die Philosophin. Sie nennt die Heimtier- und Zootierhaltung als Beispiele. Was die Ethik dabei leisten kann? "Wir können ein Licht darauf werfen, wo für selbstverständlich gehaltene Interaktionsformen brüchig werden und aufzeigen, warum dies so ist."

Es lässt sich erahnen, dass die Forschung in der Zukunft noch viel neues Wissen zutage fördern wird, was die Beziehung von Mensch und Tier grundlegend verändern könnte. Ein breiter interdisziplinärer Diskurs kann dazu beitragen herauszufinden, welche Rechte, die wir Menschen zusprechen, auch für Tiere relevant wären.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von scilog.