Überraschendes Ergebnis einer experimentellen Studie:

Lässt man Menschen zuvor an Gott denken, sind sie empfänglicher für KI-Empfehlungen

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Trotz der überlegenen Leistungsfähigkeit von Künstlicher Intelligenz (KI) in vielen Bereichen wie Logistik, Verkehrssteuerung und Gesichtserkennung, zeigen Menschen oft eine Vorliebe für Empfehlungen von menschlichen Experten. Eine jüngst veröffentlichte experimentelle Studie legt nahe, dass die Akzeptanz von Empfehlungen durch KI beeinflusst werden kann, wenn man Menschen zuvor an Gott denken lässt. Manipulation durch Glaube ist selbstverständlich keine seriöse Methode, die Akzeptanz von KI in der Bevölkerung zu erhöhen, aber die Forschungsergebnisse liefern unerwartete Erkenntnisse in Bezug auf unbewusste Assoziationen religiöser wie nicht-religiöser Menschen.

Laut einer PwC-Studie könnte 2030 als Folge von KI-Anwendungen das weltweite BIP bis zu 14 Prozent höher sein. Das entspricht zusätzlichen 15,7 Billionen Dollar und wäre damit die größte kommerzielle Chance für die Weltwirtschaft. Ob diese Chance genutzt werden kann, ist jedoch fraglich, denn das Misstrauen der Menschen gegenüber KI-Anwendungen ist groß. Was die Ursachen für das Phänomen der sogenannten "Algorithmen-Aversion" sind und wie die Akzeptanz für KI in der Bevölkerung erhöht werden kann, ist weltweit zu einem beliebten Forschungsgebiet avanciert.

Die Forscher Mustafa Karataş (Nazarbayev Universität) und Keisha Cutright interessieren sich besonders für den Aspekt Religion. Um zu ermitteln, wie sich die Beschäftigung mit Gott auf die Entscheidung eines Menschen auswirkt, entweder der Empfehlung eines menschlichen Experten oder einer KI zu folgen, haben die Wissenschaftler eine Reihe von Experimenten durchgeführt. Ihre Forschungsergebnisse haben sie in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) präsentiert – und die Resultate sind erstaunlich.

In den Experimenten wurden die Teilnehmer zunächst ersucht, darüber zu schreiben, was Gott für sie persönlich bedeutet. Teilnehmer der Kontrollgruppen fassten lediglich ihren bisherigen Tag schriftlich zusammen. Anschließend gaben die Probanden zu 24 Themen an, ob sie sich lieber auf den Rat eines Menschen oder auf eine Empfehlung eines Algorithmus' verlassen. Die Bandbreite der behandelten Bereiche ging von trivialen Entscheidungen (wie das Ansehen eines Films) bis zu bedeutsamen Angelegenheiten (wie die Wahl eines Partners). Die Auswertung der Experimente ergab, dass die Präferenz für menschliche Empfehlungen bei denjenigen, die zuvor über Gott nachdachten, signifikant geringer war.

Die Kontinuität dieses Effekts über eine Vielzahl von Themen hinweg ermutigte die Forscher zu Vorhersagen in weiterführenden Experimenten und Feldstudien. In diesen Untersuchungen zeigte sich dann erneut, dass das vorherige Denken an Gott die Akzeptanz von KI-Empfehlungen erhöht. Beispielsweise wählten bloß 35,7 Prozent der Teilnehmer, die über ihren Tag reflektierten, einen von einer KI empfohlenen Investmentfonds, im Gegensatz zu 50,5 Prozent in der Gruppe, die zuvor an Gott gedacht hatte. Ebenso vertrauten 44,6 Prozent der Teilnehmer aus der "Gott"-Gruppe der KI bei der Auswahl eines Liedes, während es nur 31 Prozent in der Kontrollgruppe taten.

Feldstudien in der Türkei

Eine Feldstudie der Forscher in der Türkei, einem religiös geprägten Land (93,1 % der Teilnehmer gaben an, dem Islam anzugehören), ist besonders interessant, weil sich die Probanden in Bezug auf ihren Glauben an Gott kaum unterschieden. Die Forscher experimentierten mit der religiösen Umgebung und mit der Zeit, die seit dem letzten Aufruf zum Gebet verstrich. Die Teilnehmer wurden gebeten, zwischen Snacks zu wählen, die von einem Ernährungsexperten beziehungsweise einer auf Ernährungsberatung spezialisierten KI empfohlen wurden. Diejenigen, die in der Nähe einer Moschee rekrutiert wurden, wählten signifikant häufiger den KI-empfohlenen Snack (34,9 % gegenüber 20,6 % in der anderen Gruppe mit Teilnehmern ohne unmittelbare Nähe zu einer Moschee). Eine zusätzliche explorative Analyse ergab, dass auch die Länge der Zeit seit dem letzten Gebetsruf die Wahl erheblich beeinflusste.

In einer weiteren Feldstudie in einer türkischen Zahnklinik wurde die Auswirkung religiöser und weltlicher Musik im Wartezimmer untersucht. Zwischen dem Wechsel vom Wartezimmer zum Zahnarztstuhl wurden die Patienten zu einer kurzen Umfrage eingeladen und befragt, welches von zwei Omega-3-/Fischöl-Präparaten sie als Geschenk für die Teilnahme an der Umfrage bevorzugen. Diejenigen, die religiöse Lieder gehört hatten, wählten signifikant häufiger die von einer KI empfohlene Nahrungsergänzung (29,2 % gegenüber 16,8 %). In einer explorativen Analyse fanden die Forscher auch heraus, dass die Dauer des Aufenthalts im Wartezimmer mit religiöser Musik die Wahrscheinlichkeit der Wahl des von AI empfohlenen Nahrungsergänzungsmittels beeinflusste. Je länger die Patienten der religiösen Musik ausgesetzt waren, desto wahrscheinlicher war es, dass sie sich für das von der Künstlichen Intelligenz empfohlene Präparat entschieden.

Gedanke an Gott führt zu vermindertem Selbstwertgefühl

Ein Experiment untersuchte die Hypothese, dass die Präferenz von KI auf das Gefühl der eigenen Minderwertigkeit zurückzuführen sei. Die Forscher testeten, ob die Betonung der Vollkommenheit Gottes die Akzeptanz von KI steigern würde, beziehungsweise ob bei der Beschäftigung mit dem Menschen als Geschöpf Gottes die KI-Bevorzugung niedriger ausfällt. Sie ließen die Teilnehmer über einen Koranvers schreiben, der von der Makellosigkeit Gottes handelt, und die andere Gruppe über einen Vers, der die Vollkommenheit des Menschen, wie er von Gott erschaffen wurde, zum Inhalt hat. Anschließend mussten die Teilnehmer zwischen zwei Kryptowährungen wählen. Wie vermutet, war die Präferenz für den von den Algorithmen empfohlenen Kryptocoin unter der Rahmenbedingung der göttlichen Vollkommenheit signifikant höher.

Mustafa Karataş und Keisha Cutright schlussfolgern, dass der Gedanke an Gott zu einem verminderten Selbstwertgefühl führt, die Menschen sich selbst als begrenzter ansehen und die menschliche Unvollkommenheit eher anerkennen. In diesem Zustand halten sie es für weniger bedeutsam, sich auf menschliche Empfehlungen zu verlassen und sind eher geneigt, KI-basierten Rat anzunehmen.

Die Wissenschaftler räumen ein, dass ihre Ergebnisse auf den ersten Blick "kontraintuitiv" erscheinen. Eine euphemistische Beschreibung für die Tatsache, dass ihre Forschung im Widerspruch zur gängigen Annahme steht, gläubige Menschen neigten zu größerem Konservatismus und geringerer Offenheit für neue Erfahrungen und seien generell weniger wissenschaftsaffin. Aber handelt es sich wirklich um einen Widerspruch? Die Wissenschaftler betonen, dass allein die einem Gott zugewiesene Bedeutung, unabhängig von religiösen Überzeugungen, ausreiche, um ein geringeres Selbstbewusstsein zu aktivieren. Auch bei nicht-religiösen Menschen würden die Gedanken an etwas Göttliches ein Gefühl der Demut erzeugen. Wahrscheinlich existieren Assoziationen über übernatürliche Wesen, die man schon früh im Leben lernt, wie etwa, dass ein Gott groß und perfekt sein muss, während der Mensch klein und unvollkommen ist. Vor diesem Hintergrund liegt kein Widerspruch vor, da jemand sich aus religiösen Gründen gegen neue Technologien positionieren kann, aber dennoch unbewusst eine Präferenz für sie aufweisen kann. An diesem Punkt ist jedoch zu betonen, dass Wissenschaftsablehnung bis dato keine wissenschaftlich allgemein anerkannte Begleiterscheinung von Religiosität darstellt.

Untersuchung nur eines einzigen Aspekts

Bei der Würdigung der Studie ist zu beachten, dass sich diese auf die Untersuchung eines einzigen Aspekts beschränkt. Wir wissen jetzt, dass Menschen, religiös oder nicht, wenn sie vorher an Gott denken, deutlich mehr KI-Empfehlungen akzeptieren als sie es sonst getan hätten. Über andere Faktoren, die für eine Erhöhung oder Minderung der Akzeptanz von Künstlicher Intelligenz eine wichtige Rolle spielen können, sagt die Studie nichts aus.

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