Debatte

Was meint ihr denn mit "Humanismus"? Sieben Sätze könnten Klarheit schaffen (Teil 2)

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MARBURG. (hpd) Der "Humanismus" scheint Konjunktur zu haben. So könnte es scheinen, wenn man sich anschaut, wo, von wem und wie dieser Begriff heute verwendet wird. Christian Walther hat genauer hingeschaut und sieben Vorschläge erarbeitet, wie man Humanismus definieren könnte.

Humanität

Humanität, die erste der beiden oben aufgeführten Komponenten, hatte in der antiken "humanitas" noch nicht die enge heutige Bedeutung von Empathie, Mitleid und Hilfsbereitschaft und entsprechendem Handeln. Hier besteht einerseits eine weitgehende Überlappung mit dem Gebot der Nächstenliebe des Alten (3. Buch Mose 19,18) und des Neuen Testaments (Galaterbrief 5, 14; in der Bergpredigt ist sogar von Feindesliebe die Rede). Andererseits hat sich, ausgehend von der Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte in der Französischen Revolution (1789) bis zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) nach Gründung der Vereinten Nationen eine Art Ideologie des "Recht auf etwas" (Art. 24 – 28; z.B. auf Nahrung oder auf Bildung) herausgebildet. Die so formulierten Ansprüche, die dem Wunsch nach einer umfassenden Humanität entspringen, werden also als universal und a priori einsehbar und als verpflichtend deklariert. Ein gängiger Begriff ist die "soziale Gerechtigkeit", den man durchaus als Propaganda für eine gute Sache sehen kann und der sich auch nicht mehr aus der öffentlichen Debatte wegdenken läßt. Jedoch wirkt z.B. das Reden vom "Recht auf Arbeit" eher hilflos angesichts einer sehr unerfreulichen Wirklichkeit und wird zu Fortschritten vermutlich wenig beitragen. Hingegen sind Forderungen nach Humanisierung von Arbeitsbedingungen meist nicht utopisch und auch allgemein vermittelbar. Welchen Preis die Konsumenten dafür allerdings zahlen wollen, - das ist die Frage.

Auf der anderen Seite verweist "Humanität" auch auf das Ideal einer umfassenden Entfaltung des Menschen. Sofern die Politik dies unterstützt, wirkt sich das in entsprechenden Konzepten für Erziehung und Schulbildung aus sowie einem Festhalten am ursprünglichen Anspruch der Universitäten, sich nicht auf die Vermittlung von "verwertbarem" Wissen zu beschränken, sondern eine auch darüber hinausgehende Bildung zu vermitteln.

Rationalität

Das naturalistische Weltverständnis ist heutzutage weitestgehend akzeptiert. Wir verdanken es vor allem den Ergebnissen einer Forschung, die mit allgemeinverbindlichen Methoden und mit konsistenten Kriterien arbeitet – Standards, die, soweit möglich, auch in anderen Wissenschaften gelten sollten, nicht zuletzt in den Humanwissenschaften. Humanisten werden angesichts der heutigen Fülle von Informationen ihre Aufmerksamkeit besonders den Fortschritten von Empirie-basierten Forschungsrichtungen (z.B. in der Psychologie) widmen. Ausgehend vom naturalistischen Weltverständnis schreitet man so zu einem umfassend rationalen Weltbild weiter.

Rationalität beschränkt sich jedoch auf nicht das Begreifen der Welt. Vielmehr betrifft sie auch die Frage, wie wir handeln sollen, also unsere ethischen Massstäbe. Weniger im Blick ist meist eine drittes Thema, nämlich: was uns helfen könnte, Krisen in unserem Leben zu bewältigen. Dabei geht es einerseits um Antworten der Vernunft – man denke z.B. die antike stoische Lebensphilosophie. Andererseits kommen hier natürlich auch nicht-rationale Komponenten zum Tragen, also unsere Empfindungen, nicht zuletzt die Erfahrung von verständnisvoller Zuwendung anderer, aber auch ästhetische Genugtuung im Umgang mit Kunst sowie Freude an oder Ehrfurcht vor der Natur. Kurz: Verstand ist nicht alles.

Sieben Sätze

Im Folgenden versuche ich, in sieben Sätzen bewußt zu machen, welchen Minimal-Aussagen jemand heute zustimmen sollte, damit er als Humanist gelten kann. Man soll diese Kriterien vor allem – aber nicht nur - als Ausschluss-Kriterien im Umgang mit "Humanismus light" und "christlichen Humanismus" sehen. Sie sollten sich auch als Argumentationshilfen eignen, um bei aufgeklärten Mitbürgern für die Sache des Humanismus zu werben. Den größten Nutzen dürften sie jedoch bei Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen haben.

Erstens: Der menschliche Verstand kann heutzutage die Welt weitgehend verstehen.

Verstehen kann man nur etwas, was im Sinne einer vernünftigen klaren Frage thematisiert werden kann. Wer seinem Alltagsverstand traut, hält es heutzutage für selbstverständlich, dass es hier auf Erden immer nur mit "rechten Dingen" zugeht. Es gibt also keine Wunder, keine Ausnahmen von den Naturgesetzen, und die Vielfalt der Organismen (den Menschen eingeschlossen) ist durch Evolution ohne irgendeine "göttliche Einwirkung" entstanden. Dieses rationale Weltbild schließt ein, dass man auf manche Fragen keine (oder noch keine) Antwort hat. Und es führt auch nicht dazu, dass die Welt an Reiz verliert, d.h. Emotionen und Sensibilität, Genussfähigkeit aber auch Leiden bis zur Verzweiflung werden nicht gemindert. Schon Schiller äußerte sich zu dem Scheinproblem, man würde unsere Welt "entzaubern", wenn man sie rational erkläre, - so, als seien die nicht-rationalen Vorstellungen früherer Jahrhunderte mit einem schöneren, tiefer empfundenen Leben verbunden gewesen.

Zweitens: Der menschliche Verstand ist prinzipiell in der Lage, moralisch Gutes und Schlechtes von einander zu unterscheiden, auch wenn das nicht immer einfach ist.

Hier geht es also nicht darum, wie Menschen sich in konkreten Situationen moralisch verhalten, weil dabei ja auch nicht-rationale Komponenten im Spiel sein können. Es wird lediglich der von Religionen erhobene Anspruch zurückgewiesen, wir seien für unsere ethischen Massstäbe auf "geoffenbartes" Wissen angewiesen. Dank der heutigen Komplexität in Bereichen wie der Medizin ist es manchmal sehr schwierig, zu entscheiden, welches Handeln denn moralisch richtig ist oder zumindest als das kleinere Übel angesehen werden kann (daher die Disziplinen Medizinethik, Bioethik, u.a.). Schwierigkeiten bereitet aber auch z.B. die Frage, inwiefern Sexualität an Wertungen und Vorschriften gebunden sein sollte.

Drittens: Die Fähigkeit gut zu handeln, auch unter Hintanstellung persönlicher Wünsche ist dem Menschen von Natur aus gegeben.

Das soll nicht etwa heissen, der Mensch sei von Natur aus gut (wie Rousseau glaubte), aber auch nicht, wie Kant im Kontext der Religion behauptete, das Böse sei im Menschen das Primäre. Es wir hier lediglich betont, dass ein gutes, also nicht zuletzt altruistisches Handeln als Möglichkeit im Menschen, d.h. in seinen Genen, vorgesehen ist. Wie bei fast allen menschlichen Verhaltensweisen (auch den "unmenschlichen") setzt auch der Altruismus voraus, dass er durch das Umfeld, also erzieherische Einflüsse, zur Entfaltung gebracht wird. Man kann in der Erziehung sowohl die Einstellung fördern, Altruismus sei nur den Mitgliedern der Gruppe, der man zugehörig ist, geschuldet, als auch die, er solle sich grundsätzlich auf jeden Menschen beziehen (siehe auch Satz Nr. 5).

Manche allgemein als unmoralisch bewertete Verhaltensweisen werden von Staat und Gesellschaft als "kriminell" bewertet und (dank entsprechender Gesetze) bestraft, vor allem diese: Nicht die Wahrheit sagen (z.B. Täuschung bei Verträgen, Meineid), sich am Eigentum anderer vergreifen oder jemand verletzen bzw. umbringen. Diese Verhaltensweisen haben also den Rang von Verbrechen, und die Strafandrohung soll bewirken, dass sie die Ausnahme bleiben. Ganz anders beim Thema Korruption. Auch hierzu gibt es natürlich Bestimmungen, aber vieles soll "unter der Decke" bleiben, weil wir in einer Demokratie leben, in der der politische Wille (d.h. eine Abgeordeten-Mehrheit) fehlt, hier konsequenter gegenzusteuern.

Zurück zum Verhalten des Einzelnen. Wir sprechen ja vom "inneren Schweinehund", der oft erst einmal überwunden werden muss, damit wir z.B. eine Pflicht, der wir zustimmen, auch erfüllen. Christen, die sich noch gut in der Bibel auskennen (heutzutage keine Selbstverständlichkeit!), ist das Eingeständnis des Apostels Paulus (Römerbrief 7,19) geläufig: "Denn das Wollen ist zwar bei mir vorhanden, das Vollbringen des Guten aber nicht" (in seinem Falle ist allerdings zu vermuten ist, dass es sich in erster Linie um überflüssige Probleme mit der eigenen Sexualität handelte, denn zuvor sagt er: "Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt."). Das ist glaubhafter, als die von Platon dem Sokrates in den Mund gelegte Behauptung, das Erkennen des Guten führe quasi automatisch dazu, dass man es auch tue.

wird fortgesetzt

Teil 1 der Serie