Rechtsruck und Fremdenfeindlichkeit

Quo vadis, Polen?

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Andrzej Wendrychowicz
Andrzej Wendrychowicz

BERLIN. (hpd) Kaum 100 Tage im Amt bringt die neu gewählte PiS-Regierung in Polen wöchentlich Tausende auf die Straße, die gegen die Regierung protestieren. Über die politische Situation im östlichen Nachbarland sprach hpd-Korrespondent Andrzej Wendrychowicz am Mittwoch in Berlin.

Wie gespalten ist Polen? Welche politischen Reformen geben Anlass zur Besorgnis und weshalb entzieht sich das Land in der europäischen Asylpolitik seiner Verantwortung? Diese und andere Fragen beantwortete der KOD-Aktivist, Journalist und Dolmetscher Andrzej Wendrychowicz am Mittwoch vor einem interessierten Publikum, dass trotz eines gleichzeitig ausgetragenen Fussballspiels das Nachbarschaftshaus "Alte Apotheke" in Berlin-Heinersdorf bis auf den letzten Platz füllte.

Die neue polnische Regierung unter Beata Szydlo ist dabei, den polnischen Staat grundlegend umzubauen. Dabei verabschiedet sich die PiS-Regierung immer mehr von den demokratischen Grundwerten und versucht, die Medien und die Justiz in ihre Gewalt zu bekommen. Auf die Besorgnis Deutschlands, die neuen Gesetze verletzten die Unabhängigkeit der Justiz und der Medien, reagiert die Regierung mit dem Schüren antideutscher Ressentiments. Die allerdings werden - so Andrzej Wendrychowicz optimistisch - von der Mehrheit der Gesellschaft nicht geteilt.

Nach einem kurzen Ausflug in die polnische Geschichte, die von Teilungen und Spaltungen geprägt ist, musste Wendrychowicz feststellen, dass auch aktuell ein tiefer Riss durch die polnische Gesellschaft geht. "Die Feindseligkeiten, die Spaltung zwischen 'Wir' und 'Denen' ist in Polen seit über 250 Jahren üblich." Die erste Solidarność hat in den Jahren 1980-1981 erstmalig (fast) das gesamte Land vereint. Eine ähnliche Welle des Zusammenhaltes hält Wendrychowicz auch jetzt unter dem Dach des "Komitee zur Verteidigung der Demokratie" (KOD) für möglich. Anderenfalls - so seine Warnung - könnte es im Land zu einem Bürgerkrieg kommen.

Noch sei nicht klar, ob Armee und Polizei die PiS-Regierung wirklich unterstützen (die Generalstäbe tun es) - wenn das sicher wäre, würde versucht werden, den KOD-Demonstrationen mit Gewalt zu begegnen.

Durch den – nach der polnischen "Wende" 1989 – durchgeführten "Balcerowicz-Plan", wurde dem Land eine "Schock-Therapie" nach Friedman, Soros und Sachs verabreicht, von deren sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen sich das Land bis heute kaum erholt hat. Obwohl Polen sich in den vergangenen Jahren wirtschaftlich erholt hat und gar als "Musterkind der Europäischen Union" galt (immerhin das einzige europäische Land, das nicht unter der weltweiten Währungskrise litt!) kam der Aufschwung nicht bei den einfachen Menschen an. Das war auch der Grund für den Wahlsieg der PiS bei den Wahlen im vergangenen Jahr. Hatte die Partei doch eine grundlegende Verbesserung der Lebensbedingungen versprochen.

Der zuvor regierenden sozialdemokratischen Regierung sei zudem zu "verdanken" – so der Referent – dass die katholische Kirche mit zahlreichen Privilegien ausgestattet wurde. Auch wenn die Kirche in Polen immer Einfluss hatte und durch die Person des Papstes Johannes Paul II. einen gefeierten und verehrten Führer hatte: mit der tatsächlichen Macht wurde die katholischen Kirche erst in den Jahren nach der Wende durch die postkommunistische Partei SLD ausgestattet. Eine Macht, die auch medial durch den Fernsehsender TRWAM und das "Radio Maryja" ausgenutzt wurde, um der PiS beim Wahlkampf zu helfen.

Dass politische Parteien "einmal gewinnen und einmal verlieren ist üblich in parlamentarischen Demokratien. Allerdings ist die PiS keine gewöhnliche Partei; sondern eine autokratisch geführte Kaderpartei, in der alle Entscheidungen von einem Manne gefällt werden: Jarosław Kaczyński." Dieser stelle sich zwar so gut wie nie in den Vordergrund, sondern ließe Beata Szydlo als Regierungschefin und Andrzej Duda als Präsidenten agieren, hält aber alle Fäden in der Hand und entscheidet über die Besetzung jedes wichtigen Postens – von Ministerien bis in staatliche Großbetriebe.

"Jarosław Kaczyński hat mit aller Kraft die seit 250 Jahren andauernde Spaltung zwischen 'Wir' und 'Denen' wieder belebt. Sie ist das wichtigste Werkzeug seiner Politik." "Wir" – das sind für den PiS-Parteichef "die wahren Patrioten, die Katholiken, die 'einzig wahren Erben' der Aufständischen aus den Jahren 1830 und 1863." Die anderen sind für ihn "Kommunisten, Liberale" und aktuell die KOD. Kaczyński hat sich die Europäische Union sowie die "ewigen Feinde" Deutschland und Russland auserwählt, um als Feindbild zu agieren.

Da es aber eine Institution im demokratischen Polen gibt, die jedes unsinnige Gesetz kippen kann: das Verfassungsgericht, musste diese Institution als erste "ausgeschaltet" werden. Der verfassungswidrige Versuch, das Verfassungsgericht arbeitsunfähig zu machen führte zu internationalen Protesten und zur Einbestellung der Venedig-Kommission 1des Europarates. Auch innerhalb des Landes haben "viele namhafte Juristen und ihre Organisationen – so das Komitee der Rechtswissenschaften der Akademie der Wissenschaften, der Erste Vorsitzende des Obersten Gerichts, der Landesrat des Gerichtswesens, Der Oberste Rat der Anwaltschaft, der Bürgerbeauftragte und die Leitungen der Justizfakultäten" gegen das Gesetz protestiert. Mit dem Ergebnis, dass das Verfassungsgericht zwar zur Untätigkeit verdammt wurde, aber noch immer existiert. Ein unhaltbarer Zustand, der eine Rückkehr zur Demokratie in Polen derzeit verhindert.

Mit einen Trick hat die PiS-Regierung etliche weitere Gesetze durch den Sejm gebracht (die Gesetze wurde als Vorlagen der Abgeordneten behandelt; damit konnte eine öffentliche und eine parlamentarische Debatte so gut wie ausgeschlossen werden): Die Staatsanwaltschaft wurde direkt der Regierung unterstellt; Höhere Beamte werden nicht mehr im freien Wettbewerb ausgewählt, sondern von den (zukünftigen Vorgesetzten) ernannt und die öffentlichen Medien verstaatlicht, was dazu führte, dass missliebige Journalisten und Manager entlassen wurden.

Gegen all diese Maßnahmen, die den Abbau der hart erkämpften Demokratie in Polen bedeuten, gehen jetzt an jedem Wochenende Tausende auf die Straße. Zuerst waren es vor allem Menschen der Generation 50+, die noch selbst die ersten Tage der ersten Solidarność erlebten und wissen, was auf dem Spiel steht. Inzwischen schließen sich die polnischen Frauen fast geschlossen an (nachdem das Abtreibungsverbot absolut werden sollte) und die polnischen Bergarbeiter; eine nicht geringzuschätzende Macht im Land.

Die Gegendemonstrationen werden immer mächtiger und die Luft für die PiS-Regierung immer dünner. Deshalb warnte Andrzej Wendrychowicz mehrfach davor, dass Polen ein Pulverfass sei; dass ein Funke genügen könnte, um das Land in einen Bürgerkrieg zu führen. Das Land, so Wendrychowicz, sei seit dem Ende des 2. Weltkrieges ethnisch zu homogen geworden. Zuvor lebten in der Respublica regni Polonici die meisten Juden der Welt (Galizien), es lebten Litauer, Russen, Weißrussen, Deutsche, Ukrainer, Tataren und viele andere Völker auf dem Gebiet Polens. Nach 1945 wurde das Land kleiner und ist seitdem auch kein Vielvölkerstaat mehr. Die Idee der Toleranz ging seitdem verloren. Deshalb auch weigert sich Polen, Flüchtlinge aus z.B. Syrien aufzunehmen.

Die xeno- und homophobe Wählerschaft Polens ist sehr groß. Und Nationalismus, Homophobie und Xenophobie sind wichtige Teile der PiS-Politik. "Es ist ein wahres Wunder angesichts der deutsch-polnischen Geschichte, dass die deutsch-polnischen Beziehungen so gut waren. Das verdanken wir der klugen und einigen Politik aller deutschen und polnischen Regierungen seit der Wende im Jahr 1989. Noch mehr verdanken wir das unzähligen Initiativen und privaten Kontakten auf beiden Seiten der Grenze." Wendrychowicz warnte davor, dass das aufgrund der Politik der PiS-Regierung auf dem Spiel stehen könnte. In der anschließenden Diskussion wurde jedoch deutlich, dass die privaten Verbindungen und Kontakte zwischen Menschen aus beiden Ländern so stabil sind, dass sich die Völker nicht mehr so leicht entzweien lassen.

"Ich hoffe", sagte Andrzej Wendrychowicz zum Abschluss, "dass die westlichen Regierungen, die europäischen Institutionen und die Westeuropäer genau unterscheiden werden zwischen der polnischen Regierung und den polnischen Bürgern."


  1. Die "Europäische Kommission für Demokratie durch Recht" hat die Bezeichnung "Venedig-Kommission" aufgrund des Tagungsortes Venedig, wo man sich viermal jährlich trifft, erhalten. ↩︎