Internationale Liga für Menschenrechte fordert fordert Wandel in Türkei- und Kurdenpolitik

Strafanzeige gegen türkischen Staatspräsidenten

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Wahlwerbung der HDP im Wahlkampf 2015
Wahlwerbung der HDP im Wahlkampf 2015

BERLIN. (lfm) Gestern ist in Berlin eine Strafanzeige nach dem Völkerstrafgesetzbuch vorgestellt und beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eingereicht worden. Sie richtet sich gegen den Staatspräsidenten der Republik Türkei, Recep Tayip Erdogan, den ehemaligen Ministerpräsidenten sowie gegen verantwortliche Minister, Verantwortliche aus Militär und Polizei sowie die zuständigen Gouverneure wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei, insbesondere in Cizre (Provinz Sirnak), begangen wurden.

Die Internationale Liga für Menschenrechte unterstützt diese Strafanzeige. Ihr Vorstandsmitglied Dr. Rolf Gössner gehört zu den Miterstattern, gemeinsam mit zahlreichen Bundestags- und Landtagsabgeordneten, RechtsanwältInnen, ÄrztInnen, WissenschaftlerInnen und weiteren Einzelpersonen, darunter auch Angehörigen von Gewalt- und Todesopfern.

Die Anzeige ist zusammen mit dem Verein für Demokratie und internationales Recht (MAF-DAD e.V.) in Köln erarbeitet worden, dessen Vorstand u.a. der Völkerrechtler Prof. Dr. Norman Paech angehört, der erst vor wenigen Monaten während einer Delegationsreise eigene Eindrücke vom Ausmaß der Zerstörung von Städten in den kurdischen Provinzen im Südosten der Türkei sammeln konnte.

Seit Abbruch des Friedensprozesses zur Lösung des kur­disch-türki­schen Konflikts im vorigen Jahr gehen türkische Polizei- und Militärkräfte mit äußerster Brutalität und Härte gegen die kurdische Bevölkerung, ihre Organisationen, Medien, Parteien und Abgeordneten vor. Längst ist angesichts der Wiederaufnahme der militärischen Angriffe von einem neuen Krieg der türkischen Regierung gegen die kurdische Bevölkerung die Rede, jedenfalls von einer neuen Konfrontation und Eskalation der gewaltsamen Auseinandersetzungen, wohingegen die türkische Regierung die Repressionsmaßnahmen als Reaktion auf Anschläge der kurdischen PKK und als "Terrorismusbekämpfung" rechtfertigt. Der NATO-Partner und EU-Beitrittskandi­dat Türkei befindet sich angesichts eskalierender Gewalt, Straßenterror, Anschlägen und Morden praktisch im Ausnahmezustand.

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Liga-Vorstandsmitglied Rolf Gössner: "Dabei kommt es im Zuge von Ausgangssperren, Polizeirazzien, Massenverhaftungen und Zerstörungen durch das Militär zu schweren Verbrechen und systematischen Menschenrechtsverletzungen von Seiten des türkischen Staates, deren Aufklärung und Ahndung in der Türkei nicht gewährleistet ist. Sinn und Zweck der heute hier in der Bundesrepublik erstatteten Strafanzeige ist es, der drohenden Straflosigkeit solcher Verbrechen entgegenzuwirken. Dies ist nach dem Völkerstrafgesetzbuch auf Basis des Weltrechtsprinzips möglich - unabhängig davon, wo die Tatorte liegen."

Wie die Liga kürzlich von einer Delegation der prokurdischen Bün­dnispartei HDP erfahren hat, gibt es Beweise dafür, dass bei den Massakern im Südosten der Türkei auch deutsche Waffen zum Einsatz kamen. Deshalb fordert die Liga über die Ermittlungen aufgrund der Strafanzeige hinaus, diese Mitverantwortung der Bundesrepublik, der Bundesregierung und der Waffenindustrie, ebenfalls mit Nachdruck aufzuklären. Außerdem fordert die Liga zum wiederholten Male, jegliche Rüstungsexporte in dieses Kriegsgebiet, wie überhaupt in jedes Krisen- und Kriegsgebiet, strikt zu unterbinden.

Weiterhin ruft die Liga alle Konfliktparteien in der Türkei ausdrücklich dazu auf, den im vorigen Jahr abgebrochenen Friedensprozess wieder aufzunehmen und zu Deeskalation und Dialog zurückzukehren - mit dem Ziel einer demokratischen und gerechten Lösung des kurdisch-türkischen Konflikts. Dazu gehört auch eine unabhängige internationale Aufklärung der Morde, Massaker und Zerstörungen durch türkische Armee und Polizei sowie der Terroranschläge, für die die PKK und andere kurdische Organisationen die Verantwortung übernommen haben oder die ihnen zugerechnet werden.

Nach Auffassung der Liga kommt auch der EU und der Bundesregierung eine gesteigerte Verantwortung zur Aussöhnung und Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts in dem NATO- und (mutmaßlich) künftigen EU-Mitgliedsstaat zu – gerade angesichts der katastrophalen Menschenrechtslage in der Türkei, angesichts eines menschenrechtlich inakzeptablen Flüchtlingsdeals der EU mit der Türkei, angesichts der neuen Rolle der Kurden als stabilisierender Machtfaktor im Nahen und Mittleren Osten und im Abwehrkampf gegen den IS-Terror.

"Um dieser Verantwortung gerecht zu werden", so Rolf Gössner, "bedarf es eines radikalen Wandels der europäischen und deutschen Türkei- und Kurdenpolitik".

Deshalb fordern die Internationale Liga für Menschenrechte und andere Nichtregierungsorganisationen schon seit längerem, die Kriminalisierung und Ausgrenzung von Kurden, ihrer Organisationen und Medien in Europa und Deutschland endlich zu beenden sowie die Menschenrechtslage in der Türkei und die kurdische Frage unverzüglich und nachhaltig auf die EU-Agenda zu setzen.