Tagebuch einer Ungläubigen – "Katholikentag Leipzig 2016" – Tag 4

Und er bewegt sich doch!

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Seht, da ist der Moses!
Seht, da ist der Moses!

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Trotz 'Sicherheitsbedenken' zieht Moses durch die Innenstadt
Trotz 'Sicherheitsbedenken' zieht Moses durch die Innenstadt

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Diskussion und Polizei beim Moses
Diskussion und Polizei beim Moses

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Podiumsdiskussion "Brauchen Werte Religion"
Podiumsdiskussion Brauchen Werte Religion

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Schließlich doch noch eine Diskussion mit Ungläubigen - "Warum ich (k)ein Christ bin"
Schließlich doch noch eine Diskussion mit Ungläubigen - Warum ich (k)ein Christ bin

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Gerhard Czermack über "Kirchen, Judenfeindschaft und Nationalsozialismus"
Gerhard Czermack über "Kirchen, Judenfeindschaft und Nationalsozialismus"

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Vortrag über "Das 11. Gebot" von Daniela Wakonigg
Vortrag über Das 11. Gebot von Daniela Wakonigg

LEIPZIG. (hpd) Moses rollt trotz Sicherheitsbedenken durch die Stadt und auch der Dialog mit den Ungläubigen kommt zaghaft ins Rollen. Daniela Wakonigg berichtet von Bewegungen aller Art in ihrem Katholikentags-Tagebuch.

Trotz gerichtlicher Sicherheitsbedenken hat "Das 11. Gebot" beschlossen, mit seiner Moses-Figur heute erneut durch den vermeintlichen 'Sperrbezirk' der Innenstadt zu ziehen und sein vom Oberverwaltungsgericht Bautzen bestätigtes Versammlungsrecht auszuüben.

Zunächst sieht es so aus, als habe der Katholikentagsveranstalter den Spaß daran verloren, Moses zu schikanieren. Dann jedoch wird das 11. Gebot erneut vom Ordnungsdienst des Katholikentags bedrängt. Man ruft die Polizei. Aber die herbeigerufenen Polizisten studieren das Urteil des OVG Bautzen und lassen Moses weiterlaufen.

Ich begleite ihn eine Weile durch die Stadt. Moses ist ein ungemein beliebtes Foto-Motiv. Erstaunlicherweise bei schaltragenden Kirchentagsbesuchern ebenso wie bei Nicht-Schalträgern. Beim Weg durch die Stadt erlebe ich die üblichen Diskussionen. Kirchentagsbesucher, die auf die Forderung "Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!" mit Unverständnis reagieren: "Ja aber, wir zahlen doch schon!" Womit sie ihre Eintrittskarte für den Katholikentag meinen. Dass das Event zusätzlich massiv aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, ist ihnen unbekannt. Andere hingegen wissen es. Meistens handelt es bei ihnen um Leipziger Bürger, die den Aktiven vom 11. Gebot für ihre Arbeit danken. Aber es gibt auch Kirchentagsbesucher und ehrenamtliche Mitarbeiter des Kirchtags, die der Forderung des 11. Gebots zustimmen.

Überhaupt sind die Gesprächsfetzen, die mir beim Gang durch die Katholikentags-Bezirke der Innenstadt zuwehen, höchst interessant:
Eine ältere Dame in der Fußgängerzone erklärt ihrer Begleitung beim Anblick eines ZdK-Logos: "Wir hatten auch'n ZK – weiß man ja, was dabei rausgekommen ist."

Zwei Jugendliche unterhalten sich darüber, dass der Veranstalter für die Katholikentagsbesucher im Vorfeld Privatquartiere gesucht hat. – Übrigens hat man in Leipzig erstmals nicht genügend Privatquartiere zusammenbekommen:
"Würdest du so'n Katholiken bei dir schlafen lassen? Die sollen ja so lieb sein. Aber ich find' die irgendwie komisch." – "Ich bin ja eigentlich auch sowas. Evangelisch. Aber eigentlich bin ich nichts."

Ein Junge, der zusammen mit einem Freund auf dem Fahrrad an ein paar Katholikentagszelten vorbeiradelt, fasst seine Vorbehalte gegen die katholischen Besucher seiner Stadt noch knapper zusammen: "Guck mal, da sind die Bekloppten!".

Den Leipzigern ist der Katholikentag suspekt. Der Versuch der Katholikentagsveranstalter, mit ihnen einen Dialog zu führen, hat offenbar nicht so recht funktioniert.

Apropos Dialog. Auch heute gibt es in der Reihe "Leben mit und ohne Gott" ein paar Veranstaltungen. Als Tipp der Linken-Stadträtin Naomi-Pia Witte im Programmheft besonders hervorgehoben ist die Podiumsdiskussion "Brauchen Werte Religion?". Entsprechend gut besucht ist die Veranstaltung. Die rund 250 Sitze des Oberlichtsaals der Leipziger Stadtbibliothek sind bis auf den letzten Platz belegt, an der Tür des Saals müssen sogar Interessenten abgewiesen werden.

Auf dem Podium der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick, Religionssoziologe Gert Pickel vom Institut für Praktische Theologie in Leipzig und Soziologe Hans Joas, Professor an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin. Die Besetzung verrät: auch hier will der Katholikentagsveranstalter lieber keine Diskussion mit jemanden riskieren, dem kein christlicher Stallgeruch anhaftet.

Erzbischof Schicks wenig überraschende Meinung, dass Religion und Werte zusammengehören, erhält durch den Soziologen Joas einen Dämpfer. Joas, der bekannt ist für seine Forschung zum Thema Werte, stellt klar, dass "Religion ist gut und wichtig"-Rhetoriken von Kirchenvertretern meist recht exklusiv die eigene Religion meinen. Auch wenn mit dieser Rhetorik der Eindruck einer Gemeinschaft mit anderen Religionen erweckt werden soll, hat sie doch eher etwas Trennendes. Denn was die richtigen Werte sind, bestimmt dann doch jede Religion lieber selbst.

Grundsätzlich ist sich das Podium erfreulich einig darüber, dass es zur Schöpfung gemeinsamer Grundwerte nicht notwendigerweise der Religion bedarf, da viele Grundansichten hinsichtlich unseres Zusammenlebens aus unserer menschlichen Natur folgen.

Ein wirklicher Dialog mit Ungläubigen ist jedoch auch diese Veranstaltung nicht. Aber zu meiner großen Überraschung erlebe ich ihn schließlich doch noch diesen Dialog. In einem kleinen Veranstaltungsraum in einem Hinterhof am Markt. Ein wenig erinnert mich die Platzierung dieser Diskussion an Douglas Adams berühmten verschlossenen Aktenschrank in einem unbenutzten Klo, an dessen Tür steht "Vorsicht, bissiger Leopard!". Hier soll die Werkstatt "Warum ich (k)ein Christ bin" stattfinden. Eigentlich richtet sich die Veranstaltung an SchülerInnen. Gekommen sind jedoch nur Erwachsene. 15 Stück an der Zahl. Rund die Hälfte von ihnen ordnet sich selbst der Gruppe "Christ", die andere Hälfte der Gruppe "kein Christ" zu. Nach Anleitung des Moderators tragen sie zusammen, welche Vorstellungen sie von Gott haben, was für sie Glück ist, der Sinn des Lebens etc.. Anschließend diskutieren sie darüber. Zum ersten Mal auf diesem Katholikentag erfahre ich einen Dialog zwischen Gläubigen und Nicht-Gläubigen. 0,05% der Katholikentagsbesucher nehmen daran teil.

Interessant ist vor allem zu beobachten, wie unterschiedlich die Gläubigen und Nicht-Gläubigen in dieser Runde diskutieren. Während die Gläubigen durchwegs sehr emotionale und subjektive Argumente vortragen, argumentieren die Nicht-Gläubigen sehr rational und darauf bedacht, eine objektive Grundlage für die Diskussion zu finden. Interessant ist auch eine Beobachtung, die ich bereits mehrfach bei solchen Diskussionen zwischen Gläubigen und Ungläubigen gemacht habe: Wenn Ungläubige begründen, warum sie nicht glauben, wird dies von Gläubigen häufig als Angriff auf ihren Glauben verstanden – egal wie ruhig und sachlich die Ungläubigen ihre Argumente vortragen.

Die Veranstaltung zeigt zwar, dass zwischen Gläubigen und Ungläubigen ein tiefer Graben verläuft, sie zeigt jedoch auch, dass es an der christlichen Basis tatsächlich ein Interesse daran zu geben scheint, wie das mit dem Unglauben funktioniert und wie Ungläubige ticken. Nach Ende der offiziellen Veranstaltung werden die Ungläubigen jedenfalls von Gläubigen umringt und mit einer ganzen Menge Fragen gelöchert.

Während die Diskussion nach der Diskussion noch in vollem Gange ist, mache ich mich auf den Weg zu den "Säkularen Tagen". Heute referiert erneut der ehemalige Verwaltungsrichter Gerhard Czermak. Sichtlich bewegt spricht er über "Kirchen, Judenfeindschaft und Nationalsozialismus". Den Abschluss des Abends und damit auch der "Säkularen Tage" der Giordano-Bruno-Stiftung Leipzig bildet ein Vortrag über die Ziele, Geschichte und bisherigen Erfolge der Aktion "Das 11. Gebot", welchen ich selbst die Ehre habe zu halten.

Noch ein Tag und dann ist es geschafft.