Zum neuen Buch von Richard David Precht

Was, wenn Tiere denken?

Richard David Precht, der bekannte Autor populärwissenschaftlicher Bücher zu philosophischen Fragen, legt mit "Tiere Denken. Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen" eine längere Erörterung zum Mensch-Tier-Verhalten vor. Damit stößt der Autor wohlmöglich eine notwendige Debatte an, seine "neue Tierethik" überzeugt indessen nicht unbedingt, was die Kritik an den gemeinten Zuständen indessen nicht falsch macht.

Der Anblick eines kleinen Ferkels berührt viele Menschen. Die Meisten haben aber keine Probleme damit, es als Schweinefleisch auf dem Teller zu haben. Dies ist nur ein Beispiel für die Ambivalenz des menschlichen Denkens und Handelns gegenüber Tieren. Auf andere Aspekte macht Richard David Precht in seinem neuen Buch "Tiere denken. Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen" aufmerksam.

Der Autor ist durch Bestseller wie "Wer bin ich und wenn ja wie viele" oder "Die Kunst, kein Egoist zu sein" bekannt geworden. Darin wurden philosophischen Fragestellungen populärwissenschaftlich erörtert, was jeweils ein großes Publikum faszinierte. Die Bücher sind ebenso oberflächlich wie verständlich. Mitunter hatte man den Eindruck, es handelt sich um einen Artikel in einem "Geo"-Magazin. Gleichwohl gelang es dem Autor, viele Menschen für einschlägige Themen zu interessieren. Dies ist wohlmöglich auch bei seinem neuen Buch der Fall, das auf eine frühere Publikation von 1997 zurückgeht. Demnach springt Precht nicht auf eine Modewelle auf.

Denn die erwähnte Ambivalenz in der Einstellung gegenüber Tieren spielt in der Öffentlichkeit eine große Rolle. Gleichwohl meint er bereits in der Einleitung: "Noch nie war die Kluft so groß, die das, was Menschen im Umgang mit Tieren für richtig halten, und das, was tatsächlich praktiziert wird, voneinander trennt. Solange wir unsere Ernährung und unser persönliches Verhältnis zu Tieren als Privatsache auffassen, so lange wird die millionenfache Grausamkeit gegen Tiere weiterhin gesellschaftlich akzeptiert" (S. 14).

Um das Gemeinte zu begründen bzw. zu erläutern, holt Precht weit aus: Das erste von vier Hauptkapiteln geht auf die Entwicklung des "Menschentiers" ein, wobei es auch um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Menschen und Menschenaffen ebenso wie um die Schwierigkeit, "Tiere zu denken", geht. Dem folgt ein historischer Rundumschlag zum menschlichen Bild von den Tieren vom Alten Ägypten bis in die Gegenwart, auch bezogen auf die Auffassungen dazu in Buddhismus, Christentum, Hinduismus, Islam und Judentum.

Danach will Precht "eine neue Tierethik" präsentieren, wobei dieser Anspruch dann doch nicht eingelöst wird. Er bastelt sich eher ein eigenes Bild aus bestehenden Theorien, wobei seine Fixierung auf Intuitionen wenig überzeugt. Zunächst einmal beschreibt und kritisiert der Autor aber klassische Ansätze von Albert Schweitzer über Peter Singer bis zu Tom Regan, wobei Argumentationslücken problematisiert werden. Er stellt demgegenüber auf "Intuitionen" der Menschen ab: "Es wäre schon viel damit gewonnen, wenn Menschen im Hinblick auf Tiere nur das täten und akzeptierten, was ihren Intuitionen nicht widerspricht (S. 307). Doch warum sollen die Intuitionen der Menschen tierfreundlich sein? Der Autor neigt hier zu der Psychologisierung, die er einleitend berechtigt kritisiert hatte. Erst danach geht es um die aktuellen Fragen zum Thema wie "Dürfen wir Tiere jagen?", "Dürfen wir Tiere essen?" oder "Sind Tierversuche legitim?"

Letztendlich wird für eine "Pragmatik des Nichtwissens" plädiert, da man über die Moral nichts gesichert wissen könne.

Precht macht in der Gesamtschau informativ und kritisch auf Probleme des Mensch-Tier-Verhältnisses aufmerksam. Anhand von vielen Beispielen wird die dabei bestehende Widersprüchlichkeit verdeutlicht. Es gibt überaus beachtenswerte Einschätzungen wie "Die einfachste Form, einen Menschen vom Fleischessen abzubringen, ist eine Schlachthofbesichtigung" (S. 368) und ebenso bedeutsame Kritik wie die am Tierschutzgesetz mit seiner Erlaubnis des Tötens aus "vernünftigen" Gründen, welche dann doch wirtschaftlich legitimiert sind. Aber in manchen Fragen bleibt Precht doch zu oberflächlich oder zu unverbindlich.

Durchaus berechtigt kritisiert er "das elitäre Selbstverständnis vieler Tierrechtler" (S. 276), neigt dann aber zu sehr zu einem inkonsequenten philosophischen Pragmatismus. Sicherlich kann eine Abkehr von den Gegebenheiten nur in kleinen Schritten erfolgen. Indessen lassen sich dazu sehr wohl grundlegendere ethische Positionen formulieren. Das Buch steht auf den Bestsellerlisten, vielleicht stößt es eine Debatte dazu an.

Richard David Precht, Tiere denken. Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen, München 2016 (Goldman-Verlag), 509 S., ISBN: 978-3-442-31441-6, 22,99 Euro