Astrophysiker haben erstmals Gravitationswellen direkt gemessen

Zitternde Raumzeit: Kollidierende Schwarze Löcher bestätigen Einsteins Idee

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Aus zwei mach eins: Künstlerische Darstellung der Kollision zweier Schwarzer Löcher. Bei diesem Todestanz werden Gravitationswellen freigesetzt.
Aus zwei mach eins: Künstlerische Darstellung der Kollision zweier Schwarzer Löcher. Bei diesem Todestanz werden Gravitationswellen freigesetzt.

BERLIN. (hpd) Vor 100 Jahren hatte Albert Einstein die Existenz von Gravitationswellen vorausgesagt, die er aus seinen Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie ableitete, die er ein Jahr zuvor formuliert hatte. Nun ist es dem amerikanischen LIGO-Detektor gelungen, diese Kräuselungen der Raumzeit erstmals direkt zu messen. Sie stammen von der Kollision zweier Schwarzer Löcher mit der Masse von 29 beziehungsweise 36 Sonnenmassen – aus einer Entfernung von rund 1,3 Milliarden Lichtjahren. Die Entdeckung eröffnet einen neuen Zugang zum Universum und ist ein Triumph für die Theoretische Physik und die Experimentalphysik gleichermaßen.

Wäre Einstein noch am Leben, würde er kommenden Herbst wohl einen weiteren Physik-Nobelpreis erhalten. Jetzt aber sind die Experimentatoren auf der Shortlist. Denn ein rund tausendköpfiges Team aus 16 Ländern hat nach einem Vierteljahrhundert harter Arbeit ein neues Fenster zum Universum aufgestoßen. Die Physiker maßen erstmals direkt die Schwingungen der Raumzeit.

Dass die Raumzeit keine passive Bühne ist, auf der sich alle Dramen des Universums abspielen, ohne dass sie diese Bühne beeinflussen, sondern ein aktiver Mitspieler im Schauspiel der Welt, gehört zu den triumphalen Einsichten von Einstein. Wie Masse und Energie einerseits mit Raum und Zeit andererseits wechselwirken und die Schwerkraft sich als Krümmung der Raumzeit verstehen lässt, ist der Kern seiner Allgemeinen Relativitätstheorie. Auch extreme Verdichtungen in der Raumzeit sind eine Konsequenz von Einsteins Feldgleichungen: die Schwarzen Löcher. Der Astrophysiker Karl Schwarzschild hatte sie ebenfalls erstmals vor genau 100 Jahren beschrieben. (Seine Berechnungen wurden aber erst später verstanden und der Name "Schwarze Loch" wurde erst in den 1960er-Jahren geprägt.)

Eine erschütternde Botschaft

Dass massereiche Körper, die sich umkreisen und kollidieren können, die Raumzeit selbst erschüttern, hat Einstein in einer kurzen Arbeit 1916 beschrieben sowie in einer zweiten im Jahr 1918, die diverse Rechenfehler der ersten korrigierte. Diese Gravitationswellen zu messen, ist aber eine gigantische Herausforderung. Denn die Kräuselungen der Raumzeit sind winzig klein – in der Größenordnung eines Tausendstel Atom-Durchmessers. Trotzdem ist es dem LIGO-Team jetzt gelungen, diese winzigen Verwerfungen im Gefüge des Alls mit dem Laser Interferometer Gravitational-wave Observatory (LIGO) in den USA nachzuweisen.

Die Gerüchteküche brodelte bereits seit September 2015. Jetzt aber ist es offiziell: Auf einer Pressekonferenz am 11. Februar 2016 um 16.34 Uhr MEZ im National Press Club in Washington, DC, verkündeten France Córdova, Direktorin der National Science Foundation, sowie David Reitze und Gabriela González von der LIGO-Kollaboration den lange herbeigesehnten wissenschaftlichen Durchbruch: die Messung von Gravitationswellen.

Das Signal – es hat den schlichten Datumsnamen GW150914 – wurde am 14. September 2015 um 11.50 Uhr und 45 Sekunden MESZ (9.50 Uhr Weltzeit) von LIGO gemessen. Es begann bei einer Frequenz um 35 Hertz und steigerte sich auf 250 Hertz (Schwingungen pro Sekunde). Es ließ sich auf den Bildschirmen schon mit bloßem Auge erkennen ließ (wenn man das nötige Wissen hat). Zuerst registrierte es der Detektor in Livingston in den Wäldern von Louisiana, 7 Millisekunden später dann der zweite gleicher Bauart in Hanford im US-Bundesstaat Washington.

Es dauerte aber Monate, bis das Signal ausgewertet und interpretiert war und sich alle möglichen Störquellen ausschließen ließen. Seine statistische Signifikanz beträgt 5,1 Sigma – das entspricht einer falschen Alarmrate von einem Ereignis alle 203.000 Jahre. (5 Sigma sind die Konvention für eine physikalische Entdeckung!) Der intensivste Teil des Signals dauerte nur 0,2 Sekunden und war in beiden Detektoren mit einem Signal-zu-Rauschen-Verhältnis von 24 gemessen worden – mehr als das Doppelte der üblichen Störquellen.

Die Forscher wollten ihre epochale Entdeckung nicht nur als Pressemitteilung verkünden, sondern gleich als einen begutachteten wissenschaftlichen Fachartikel veröffentlichen. Wie es guter wissenschaftlicher Brauch ist. Dieser Bericht ist bereits in den renommierten Physical Review Letters erschienen. Der Titel der Arbeit: "Observation of Gravitational Waves from a Binary Black Hole Merger".

Todestanz der Schwarzen Löcher

Letztes Jahr begann der LIGO-Detektor nach einem Upgrade wieder mit seinen Messungen – technisch stark verbessert und ein Mehrfaches empfindlicher. Advanced LIGO, wie das Detektorenpaar nun heißt, gelang der Durchbruch. Das Signal, das die beiden LIGO-Detektoren erhascht haben, stammt von der rasanten Annäherung und darauffolgenden Kollision zweier Schwarzer Löcher aus der gigantischen Entfernung von ungefähr 1,3 Milliarden Lichtjahren. (Im Forschungsbericht wird eine Unsicherheit von etwa plus/minus 500 Millionen Lichtjahre angegeben, bei 90 Prozent Konfidenz.) Den Ort konnte LIGO nur sehr grob eingrenzen. Er liegt innerhalb eines 600 Quadratgrad großen halbkreisförmigen Bogens in der Nähe der beiden Magellan’schen Wolken am Südhimmel.

Die Massen der beiden etwa 150 Kilometer großen Schwarzen Löcher wurden mit 36 und 29 Sonnenmassen errechnet und die Masse des verschmolzenen Objekts mit 62 Sonnenmassen. (Die Unsicherheit beträgt jeweils plus/minus vier Sonnenmassen.) Somit müssen drei Sonnenmassen (plus/minus eine halbe) in Form von Gravitationswellen abgestrahlt worden sein, sind also in Energie umgewandelt worden (36 + 29 = 65; 65 - 62 = 3). "Das ist der erste direkte Nachweis von Gravitationswellen und die erste Beobachtung eines binary black hole merger", also einer Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher, schreibt das LIGO-Team in der Zusammenfassung ihres Fachartikels.

Die Schwarzen Löcher kreisten zuletzt mit der irrsinnigen Geschwindigkeit von der halben Lichtgeschwindigkeit umeinander. Dann kollidierten sie und verschmolzen zu einem einzigen, größeren Schwarzen Loch. Die Kollision, die lediglich eine halbe Sekunden dauerte, setzte in diesem Augenblick das 50-Fache der Energie aller Sterne im beobachtbaren Universum frei. Umgerechnet wurde eine Masse von ungefähr drei Sonnenmassen in Form von Gravitationswellen abgestrahlt. Auch das ist eine Bestätigung von Einsteins Relativitätstheorie, die die Äquivalenz von Energie E und Masse m in der berühmten Formel E = mc2 beschreibt (c ist die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit).

Das LIGO-Team konnte auch den finalen Spin (Drehimpuls) des Schwarzen Lochs bestimmen. Er beträgt 0,67 (eine dimensionslose Zahl). Das ist relativ hoch. 0 bedeutet kein Spin, 1 den theoretischen Maximalwert (bei dem das Schwarze Loch quasi lichtschnell rotieren würde – was aber strenggenommen eine unsinnige Aussage ist, weil es keinen Vergleichspunkt gibt, den der Raum um das Schwarze Loch ist nicht statisch, sondern wird quasi mit herumgezogen wie zäher Honig beim Umrühren).

Ein neuer Zugang zum All

"Wir haben ein neues Fenster zum All aufgestoßen", sagte David Reitze vom California Institute of Technology, der LIGO Executive Director, auf der Pressekonferenz. "Es ist das erste Mal, dass so etwas beobachtet wurde. Und es ist ein Beweis dafür, dass Doppelsysteme aus Schwarzen Löchern existieren." Auch Gabriela González, die Sprecherin der LIGO-Kollaboration, war begeistert. "Jetzt können wir das Universum buchstäblich hören. Bislang waren wir taub für Gravitationswellen. Nun hat das Universum zu uns gesprochen."

Weitere Teilnehmer an der Pressekonferenz – und mutmaßliche Nobelpreis-Kandidaten – waren Rainer Weiss vom Massachusetts Institute of Technologie (MIT) und Kip Thorne vom Caltech. Weiss hatte in den 1970er-Jahren die Methode von LIGO maßgeblich ersonnen, Thorne den Bau des Detektors entscheidend angeregt und gemanagt. Vor zwei Jahren wurde er als Koproduzent des Science-Fiction-Films "Interstellar" auch einem breiten Publikum bekannt – wie schon zuvor durch seine Forschungen über die Möglichkeit von Zeitreisen. Damit haben die Gravitationswellen aber nichts zu tun, wie er verschmitzt betonte. Und er sagte: "Das Signal war gerade so stark, dass wir es mit den technisch aufgerüsteten Detektoren nachweisen konnten, bei der dreifachen Empfindlichkeit des Vorgängers. Es war ein Geschenk der Natur."

Luftaufnahme vom LIGO-Detektor in Haford. [Caltech, MIT, LIGO Lab]
Luftaufnahme vom LIGO-Detektor in Hanford. [Caltech, MIT, LIGO Lab]

Neue astronomische Erkenntnisse

LIGOs Messungen lässt auch bereits erste astronomische Rückschlüsse zu. Das hat das Forscherteam in einem zweiten Fachartikel ausgeführt, der kurz nach der – ebenfalls begutachtet – in den renommierten Astrophysical Journal Letters erscheint und auch schon im Internet freigeschaltet wurde: "Astrophysical Implications of the Binary Black Hole Merger GW150914". Denn nicht nur die Tatsache, dass erstmals der direkte Nachweis der Gravitationswellen gelang, ist ein Meilenstein der Experimentalphysik. Auch das Studium der astronomischen Auslöser dieser Wellen bedeutet einen großen Erkenntnisgewinn.

• Sieht man von sehr unrealistischen Zusatzannahmen ab, sind LIGOs Messungen das beste indirekte Indiz für die Existenz Schwarzer Löcher. (Absolute Sicherheit hat man noch nicht – und sowieso nie in der Wissenschaft.)

• Mehr noch: GW150914 belegt, dass es stellare Schwarze Löcher mit über 25 Sonnenmassen gibt. Das ließ sich aus den bisherigen indirekten astronomischen Indizien (Bewegungen von Sternen um einen unsichtbaren Begleiter) nicht erschließen, da hier die Masse der Schwarzen Löcher geringer war.

• Folglich sind die Sternwinde bei Riesensternen, die zu einer Supernova werden, nachdem ihr Kern zu einem Schwarzen Loch kollabiert ist, nicht so stark, dass derart massereiche Schwarze Löcher unmöglich entstehen können. Das war bislang nicht klar. Manche Modelle schlossen es sogar aus.

• Widerlegt sind auch Modelle, die enge Paare Schwarzer Löcher bezweifelten, weil argumentiert wurde, dass eine Supernova in einem Doppelstern-System einen so großen Kick (Rückstoß) erzeugt, dass das System auseinander fliegt.

• Noch unklar ist, ob die Schwarzen Löcher von GW150914 in der Frühzeit des Universums entstanden sind und sich im Lauf von Jahrmilliarden angenähert haben, oder ob sich das System relativ kurz vor der Kollision gebildet hat. Fest steht, dass die Vorläufersterne nur wenig schwerere Elemente als Wasserstoff und Helium besaßen, sonst hätten sie nicht so massereiche Schwarze Löcher erzeugen können. Das spricht für eine frühe Entstehung im Universum und ein langsames Aufeinander-zu-spiralisieren. Allerdings gibt es auch kleine jüngere Galaxien ohne viel schwerere Elemente.

Lehren von LIGO: Was Gravitationswellen künftig verraten können

Gegenwärtig sind die Physiker und Astronomen im Freudentaumel. Weltweit hagelte es Gratulationen und Pressemitteilungen. "Die Messungen von aLIGO bestätigen, was unsere Modellrechnungen und Computersimulationen nahe legten – Einstein hatte Recht", resümiert Christopher Fryer vom Los Alamos National Laboratory. "LIGOs Bekanntmachung ist eine der größten wissenschaftlichen Entdeckungen der letzten 50 Jahre", sagt Saul Teukolsky von der amerikanischen Cornell University, der sich ebenfalls seit vielen Jahren mit der Simulation der Kollision von Schwarzen Löchern beschäftigt. "Es ist eine völlig neue Art von Astronomie", betont Karsten Danzmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover. "Sie gibt uns Ohren für das Universum wo wir zuvor nur Augen hatten."

Fast alles, was Astronomen vom Universum wissen, basiert auf der elektromagnetischen Strahlung von den Radiowellen bis zur Gammastrahlung. (Hinzu kommen noch Partikel der Kosmischen Strahlung und Neutrinos.) Gravitationswellen sind ein völlig neues Medium, das sich zudem ungehindert durch Materie fortpflanzt. Die Gravitationswellen-Astronomie ist daher ein völlig neuer Blick auf die Welt. Er lässt sich nur vergleichen mit der Erfindung der optischen Teleskope. Als Galileo Galilei 1609 erstmals mit einem Linsenfernrohr in den Himmel spähte, hatte das alsbald eine Weltbild-Revolution zur Folge. Es leitete das Ende des dogmatischen mittelalterlichen geschlossenen Weltbilds ein und brach der Aufklärung und modernen Naturwissenschaft Bahn.

Welche Überraschungen der Gravitationswellen-Himmel parat hat, lässt sich schwerlich ermessen. Denn fast immer, wenn neue Beobachtungsmethoden etabliert wurden, kam es zu großen Überraschungen. "Erwarte das Unerwartete", sollte (mit Heraklit) daher der Slogan der Grundlagenforschung lauten. Allerdings haben die Physiker auch genaue Vorstellungen von dem, was LIGO künftig messen könnte. Es ist ja nicht bloß ein Blick ins Unbekannte sondern auch ein riesiges Testfeld für die etablierten Vorstellungen und für spekulative Hypothesen.

Und so wollen Astrophysiker mithilfe von Gravitationswellen künftig zahlreiche Fragen beantworten.

• Breitet sich die Schwerkraft wirklich mit Lichtgeschwindigkeit aus (wie von Einstein vorhergesagt)? Oder besitzt sie "Überträgerteilchen" (wie von spekulativen Quantengravitationstheorien angenommen)? Und haben diese Gravitonen dann womöglich eine winzige Ruhemasse? Dann wären sie geringfügig langsamer als elektromagnetische Strahlung. (LIGOs erste Messung kann bereits eine Obergrenze der Gravitonen-Masse angeben: lediglich 10 hoch minus 22 Elektronenvolt dividiert durch das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit, was die bisherigen Grenzwerte durch Messungen im Sonnensystem schon signifikant übertrifft.)

• Hatte Einstein wirklich Recht? Der Allgemeinen Relativitätstheorie zufolge kann es nur zwei Arten von Gravitationswellen geben. Konkurrierende Gravitationstheorien sagen hingegen die Existenz von bis zu vier weiteren "Polarisationen" voraus. Würde man nur eine davon messen, wäre Einsteins Jahrhundertwerk unrettbar widerlegt.

• Was geschieht bei einer Supernova? Der Kernkollaps ausgebrannter Riesensterne zu einem Neutronenstern oder Schwarzen Loch erzeugt ebenfalls Gravitationswellen. Gelänge ihr Nachweis, würde man mehr über diesen brachialen Vorgang lernen.

• Wie rund sind Neutronensterne? Selbst wenige Millimeter kleine Berge auf der Eisenkruste dieser kompakten, nur etwa 20 Kilometer großen Sternleichen mit der Masse von 1,5 bis 2 Sonnenmassen würden schon zu einer "Unwucht" führen, die mit der Abstrahlung von Gravitationswellen einhergeht.

• Welche Arten von Schwarzen Löchern gibt es und wie sind ihre Eigenschaften verteilt?

• Gilt das "Keine-Haare-Theorem", wonach alle Schwarzen Löcher sich äußerst ähnlich sind? Wenn die Allgemeine Relativitätstheorie stimmt, lassen sie sich vollständig (!) durch nur drei Eigenschaften beschreiben: Masse, Drehimpuls und elektrische Ladung (die in der Regel 0 ist).

• Wie schnell dehnt sich das Universum aus? Ein Vergleich von Gravitationswellen-Quellen mit optischen Gegenstücken, etwa Gammablitzen oder fernen Supernovae, könnte eine neue Entfernungsmessung etablieren. Mit ihr ließe sich die Expansionsrate des Weltraums auf eine neue und vielleicht genauere Weise errechnen als mit herkömmlichen Methoden.

• Gibt es die Kosmischen Strings? Diese fadenartigen Strukturen aus einem "falschen Vakuum" sind eine spekulative Hypothese. Würden die Strings knicken, zerreißen oder untereinander wechselwirken, hätte das charakteristische Gravitationswellensignale zur Folge.

• Was geschah im ersten Sekundenbruchteil des Urknalls? Auch dabei sind Gravitationswellen entstanden. Für deren Frequenzen ist LIGO allerdings nicht empfindlich. Doch Astrophysiker haben andere Ideen und Methoden, diese Signale vom Anfang unseres Universums aufzuspüren. Wann wird es gelingen?

Nach der fulminanten Premiere von LIGO dürften weitere Entdeckungen nicht allzu lange auf sich warten lassen. Tatsächlich gibt es schon Hinweise auf ein zweites Ereignis. Es könnte ebenfalls von einer Kollision zweier Schwarzer Löcher stammen, wie Emanuele Berti von der University of Mississippi verriet.

Wie LIGO funktioniert – und warum das alles so schwierig ist

Obwohl der Nachweis der Gravitationswellen in der Theorie einfach ist – benötigt wird nur eine Testmasse und ein Messgerät für die Vibrationen –, erscheint er in der Praxis also beinahe unmöglich. Dennoch sind die als "Beams" bezeichneten Laser-Interferometer-Detektoren dazu in der Lage. Die Idee geht auf die russischen Physiker Mikhail Gertsenshtein und Vladislav I. Pustovoit zurück, die sie 1962 publizierten. Unabhängig davon schlug sie 1972 auch Rainer Weiss vom MIT vor und startete damit die Entwicklung. (Der in Berlin geborene Physiker trug übrigens auch maßgeblich zur Erforschung der Kosmischen Hintergrundstrahlung mit dem COBE-Satelliten bei, dem Cosmic Background Explorer.) Den ersten Prototyp haben Robert Forward und seine Kollegen in den 1970er-Jahren an den Hughes Research Laboratories im kalifornischen Malibu gebaut. Weitere Testanlagen folgten in den 1980er-Jahren am Caltech, an den Universitäten Glasgow und Tokio sowie am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München.

"Drei Massen hängen erschütterungsfrei an den Endpunkten und dem Eckpunkt einer L-förmigen Vorrichtung", erläutert Kip Thorne das Messprinzip. "Wenn eine Gravitationswelle von oben oder unten durch die Anlage läuft, werden die beiden Strecken des L abwechselnd gedehnt und gestaucht. Die Längendifferenzen können mit Interferometrie gemessen werden." Dabei jagt ein Laserstrahl durch einen Strahlteiler, der auf der Eckmasse in der Mitte der L-förmigen Konstruktion angebracht ist. Der Strahlteiler spaltet den Strahl, indem er nur die Hälfte der Photonen durchlässt, die andere ablenkt. Die beiden Strahlen laufen durch die Vakuumröhren entlang der beiden Schenkel des L und werden an ihrem Ende von Spiegeln, die an den Testmassen befestigt sind, zum Strahlteiler zurückgeworfen. Ein Teil des Lichts gelangt dann in einen Photodetektor. Die Anlage ist so eingestellt, dass sich die überlagernden Laserstrahlen im Photodetektor durch Interferenz gerade auslöschen. Verändert eine Gravitationswelle die Abstände zwischen den Testmassen vorübergehend geringfügig, ändert sich auch das Interferenzmuster. Dann gelangt ein Teil des Laserstrahls in den Detektor und erlaubt Rückschlüsse über die Veränderung der Messstrecke.

Das Prinzip ist also dasselbe wie beim Michelson-Morley-Interferometer, mit dem Ende des 19. Jahrhunderts – vergeblich – nach dem Lichtäther gesucht wurde. Nur galt damals der Raum als absolut unveränderlich, während die Lichtgeschwindigkeit als variabel angenommen wurde. Heute ist es genau umgekehrt. Durch kilometerlange L-Schenkel sowie ein vielfaches Hinundherreflektieren der Laserstrahlen kann die Messstrecke viel größer gewählt werden als bei den Zylindern. Dadurch lässt sich die Empfindlichkeit beträchtlich steigern. Und die Interferometer haben noch einen weiteren Vorteil: "Zylinder sprechen nur auf Gravitationswellen einer engen Bandbreite an, sodass ein Xylophon vieler verschiedener Zylinder notwendig wäre, um das gesamte Spektrum der Gravitationswellen zu empfangen", beschreibt es Thorne. "Die Testmassen eines Interferometers auf der Erde reagieren dagegen auf alle Frequenzen von mehr als einer Schwingung pro Sekunde mit einer leichten Pendelbewegung, sodass das Interferometer eine große Bandbreite besitzt und drei oder vier solche Instrumente ausreichen, um die Symphonie der Gravitationswellen vollständig aufzufangen."

Thorne hatte sich bereits Mitte der 1970er-Jahre für den Bau von "Beam"-Detektoren eingesetzt. Nachdem Prototypen die prinzipielle Machbarkeit erwiesen hatten, wurde die Aufgabe 1992 in den USA genehmigt und begonnen. Gründer waren Kip Thorne, Ronald Drever und Rainer Weiss. Das inzwischen über 620 Millionen Dollar teure LIGO-Projekt besteht aus zwei Interferometern mit jeweils zwei L-förmig angeordneten Vakuumröhren von vier Kilometer Länge. Gebaut und betrieben werden die beiden rund 3000 Kilometer voneinander entfernten Anlagen hauptsächlich vom Caltech und MIT.

LIGO erfordert mit fast 1000 Beteiligten die Organisation eines Großunternehmens. Die erste Forschungsphase von LIGO dauerte von 2002 bis 2010. Sie sollte demonstrieren, dass die hochempfindliche Technik funktionierte. Und das gelang. Jede Entdeckung wäre ein krönender Bonus gewesen. Doch LIGO maß nichts. "Wir sagten immer, mit dem initialen LIGO wäre eine Entdeckung möglich und mit Advanced LIGO wahrscheinlich", erinnert sich Barry Barish vom Caltech, LIGO-Chefwissenschaftler seit 1994, an die Verhandlungen zur Finanzierung des gravitativen Lauschpostens. Advanced LIGO ist nun der "upgrade" des Detektors um eine Größenordnung in der Empfindlichkeit. Das verzehnfacht also ungefähr die Entfernung messbarer Quellen und vertausendfach somit das Suchvolumen.

Advanced LIGO zeichnet sich durch zahlreiche Verbesserungen aus. Zum einen werden Störsignale aus der Umgebung besser ausgefiltert. Sie sind ein großes Problem, vor allem bei Livingstone, wo eine Autobahn und Eisenbahnschienen wenige Kilometer entfernt vorbeiziehen und den Boden vibrieren lassen. Züge hatten LIGO anfänglich sogar regelrecht ausgeschaltet. Auch Holzfällerarbeiten erwiesen sich als äußerst lästig, sind aber nur temporär. Das Rauschen der Störquellen wird unter anderem dadurch radikal reduziert, dass die zentnerschweren Spiegel, die die Laserstrahlen reflektieren, mehrstufig an Glaszylinder und Metallplatten aufgehängt sind, sodass die unerwünschten Schwingungen extrem gedämpft werden. Außerdem setzt Advanced LIGO nun viel stärkere Laser ein (200 Watt) und "recycled" deren Licht zusätzlich, was die Empfindlichkeit weiter steigert. (Man kann aber nicht beliebig viel Photonen in den Strahlgang pumpen, weil sonst zu viel "weißes Rauschen" entsteht, das jedes Signal überlagern würde.) Auch mit ganz bodenständigen Problemen mussten sich die Techniker herumschlagen. In Hanford gab es Materialermüdungen bei den Spiegeln, und zwei mussten ersetzt werden. Und in Livingston nisteten Wespen bei der Anlage, und ihre chlorhaltigen Exkremente – die teilweise auf gefressene giftige Spinnen zurückgehen – erzeugten winzige Lecks in den Vakuumröhren, durch die die Laserstrahlen flitzen.

Im Spiegel der Erkenntnis: Überprüfung eines der 40 Kilogramm schweren LIGO-Reflektoren, bevor er im Vakuumrohr versiegelt wurde. [Matt Heintze, Caltech, MIT, LIGO Lab]

Im Spiegel der Erkenntnis: Überprüfung eines der 40 Kilogramm schweren LIGO-Reflektoren, bevor er im Vakuumrohr versiegelt wurde. [Matt Heintze, Caltech, MIT, LIGO Lab]


Weitere Detektoren

LIGO ist der größte, aber nicht der einzige Gravitationswellendetektor. Weitere Projekte sind im Aufbau oder laufen schon:

• VIRGO – ein französisch-italienischer Detektor mit drei Kilometer Armlänge im italienischen Cascina bei Pisa, der 2007 in Betrieb ging, bislang nichts gemessen hatte, gegenwärtig verbessert wird und in wenigen Monaten wieder anlaufen soll; er hat etwa 75 Prozent der Empfindlichkeit von Advanced LIGO. VIRGO ist sozusagen die kleine Schwester von LIGO. Der Name bezieht sich auf das Sternbild Jungfrau (lateinisch Virgo), wo sich der Virgo-Galaxienhaufen befindet – aufgrund seiner Nähe und Größe die wahrscheinlichste Quelle für Gravitationswellen von Neutronenstern-Kollisionen.

• GEO600 – eine deutsch-britische Anlage mit 600 Meter Armlänge bei Ruthe, 25 Kilometer südlich von Hannover, die ab 2002 im Testbetrieb lief und seit 2005 regulär misst. Ausgestattet ist GEO600 mit einem 3-Watt-Laser und 18 Zentimeter großen Spiegeln. Diverse neue Höchstleistungstechnologien wurden und werden hier ausprobiert, die Pionierfunktion für größere Anlagen haben. Ohne die Pionierleistungen von GEO600 wäre LIGOs Messung nicht möglich gewesen, das wurde auch auf der Pressekonferenz ausdrücklich gewürdigt.

• TAMA300 – ein 300-Meter-Interferometer des japanischen Nationalen Astronomie-Observatoriums in Mitika bei Tokio, das zwischen 1995 und 2003 hauptsächlich zu Testzwecken betrieben wurde. Nachfolger ist …

• KAGRA (Kamioka Gravitational Wave Detector) – wie VIRGO eine drei-Kilometer-Anlage in der unterirdischen Kamioka-Mine in Japan; der Detektor kostet etwa 200 Millionen US-Dollar – nicht viel mehr wie 500 Meter U-Bahn in Tokyo, wie die KAGRA-Website betont – und könnte ab 2018 messen (ursprünglich war 2009 anvisiert worden).

• LIGO Indien – eine dritte LIGO-Anlage, die für etwa 350 Millionen Dollar ab frühestens 2022 in Indien starten könnte, um die beiden amerikanischen Detektoren zu unterstützen. Komponenten dafür wurden bereits gebaut und lagern in Hanford. Grünes Licht für den Bau gibt es aber noch nicht.

• In Europa wird auch über ein 10-Kilometer-Interferometer aus drei in einem Dreieck angeordneten Armen nachgedacht, das Einstein-Teleskop. Das ist noch ein Wunschtraum. Dessen Realisierung würde vielleicht 1,5 Milliarden Euro kosten und erfolgt sicherlich nicht, bevor LIGO & Co. nicht Gravitationswellen gemessen haben. Erste Projektstudien unter Beteiligung der Europäischen Kommission gibt es aber schon.

Die Fülle der Anlagen ist nicht in erster Linie eine Folge von Konkurrenzdenken bei der Jagd auf die Raumzeit-Kräuselungen. Die Konkurrenz ist zugleich eine Kooperation. Die Forscher tauschen ihre Messdaten aus und haben bei den gleichzeitigen Kampagnen von LIGO, VIRGO und GEO600 eng zusammengearbeitet. Das ist auch notwendig. Denn es braucht mindestens zwei Detektoren, um Messfehler auszuschließen, und einen dritten, um die Richtung möglicher Quellen anzupeilen. Will man auch die Theorie der Gravitationswellen selbst testen – also die Allgemeine Relativitätstheorie gegenüber ihren Konkurrenten, die zusätzliche Formen von Gravitationswellen voraussagen –, ist noch ein vierter Detektor nötig. Daher werden Astronomie und Grundlagenphysik gleichermaßen von den Detektoren profitieren. Aber auch die Entwicklung hochpräziser und stabiler Laser sowie von optischen und elektronischen Geräten wird durch die Ingenieurskunst der Detektorbauer vorangetrieben.

Triumph für das wissenschaftliche Weltverständnis

Die Entdeckung ist ein großer Triumph für das wissenschaftliche Weltverständnis und die Erklärung des Universums weit über die alltäglichen Sinneswahrnehmungen hinaus. Einmal mehr haben Menschen gezeigt, dass das kritisch-rationale Nachdenken über die erfahrbare Welt zu kühnen, überprüfbaren Hypothesen führt (Einsteins Leistung), und dass diese mit raffinierten Experimenten sowie neuerdings auch mithilfe aufwendiger Modellrechnungen und Computersimulationen rigoros getestet und im günstigsten Fall bestätigt werden können (der Triumph der LIGO-Forscher). Die konstruktive Konkurrenz und Kooperation von Theorie und Erfahrung erschließt erfolgreich die Natur der Dinge – und seien diese noch so entlegen, extrem und unvorstellbar.

Hinweise:
Teile des Artikels basieren auf dem Buch Jenseits von Einsteins Universum des Autors. Darin wird auch die Allgemeine Relativitätstheorie ausführlich erklärt, ihre Geschichte und ihre modernen Überprüfungen und Konsequenzen für die Physik und Kosmologie.
Der erste direkte (!) Nachweis der Gravitationswellen, der gestern vom LIGO-Team verkündet wurde, ist ein Meilenstein in der Geschichte der Physik. Jeder Forscher – oder Liebhaber – der Relativitätstheorie wird den 11. Februar 2016 für immer in Erinnerung behalten. Allerdings hat kaum ein Physiker die Existenz der Wellen bezweifelt. Denn es gibt schon seit Jahrzehnten indirekte (!) Indizien dafür – und sogar bereits einen Physik-Nobelpreis. Im Kosmos ticken nämlich gleichsam Einstein-Uhren. Und ihr Pulsschlag verrät die Kräuselungen der Raumzeit ebenfalls. Darüber berichtet Rüdiger Vaas in der kommenden Ausgabe von bild der wissenschaft. Das März-Heft 2016 ist bereits gedruckt und ab 16. Februar, also kommenden Dienstag, am Kiosk oder über die bdw-Hompage erhältlich.