Kommentar

Zwischen Spiritualität und sozialem Druck: Wetteifern im Ramadan

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Ramadan-Beleuchtung in der Venloer Straße in Köln
Ramadan-Beleuchtung in der Venloer Straße in Köln

Heute endet der Ramadan und damit ein Monat des Innehaltens und der Besinnung. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang sollten Muslim:innen weder essen noch trinken und auch anderweitig enthaltsam sein. Viele beschreiben diesen Monat als schönste Zeit des Jahres. Sie besuchen ihre Familien, beten gemeinsam in Moscheen, lesen den Koran oder hören sich schöne Rezitationen auf YouTube an. Gleichzeitig bedeutet der Monat für viele Menschen Gruppenzwang und erhöhten Druck.

Besonders in Schulen wird der Ramadan schnell ungemütlich. Auf junge Muslim:innen, die während des Ramadan nicht fasten, wird großer Druck ausgeübt. Fragen wie "Warum fastest du nicht?" oder "Bist du kein Muslim?" sowie religiöses Mobbing gehören während des Monats an Schulen zum Alltag. Misstrauische Schüler:innen fordern andere sogar auf, ihnen ins Gesicht zu atmen und ihnen die Zunge zu zeigen, um zu beweisen, dass sie auch tatsächlich fasten. Die vermeintlich "schlechten Muslim:innen" wären Heuchler und sollten aufhören, sich als Muslim:innen zu bezeichnen.

Während des Ramadan nicht zu fasten, kann für viele Kinder langfristige Folgen haben. Freundschaften zerbrechen und man wird als "ungläubig" abgestempelt. Lehrkräfte, die ohnehin ganzjährig von konfrontativen Religionsbekundungen und religiösen Konflikten überfordert sind, erleben eine Zeit der Hilflosigkeit. Sie wissen oft nicht, wie sie mit solchen Konflikten umgehen sollen. Wozu sollen sie den Kindern auch raten? So zu tun, als würden sie fasten, um Problemen aus dem Weg zu gehen? Oder sollen sie stattdessen die Kinder hart bestrafen, die andere Kinder aufgrund ihrer religiösen Ansichten mobben? Dadurch würde lediglich das Symptom eines viel größeren Problems bekämpft werden.

Das Problem in Schulen liegt sehr viel tiefer. Der Ramadan ist nicht der Auslöser für religiöse Wetteiferei und Konflikte, sondern er wirkt vielmehr wie ein Katalysator. Für Wetteiferer ist der Ramadan kein besinnlicher Monat, wie anfangs beschrieben, sondern eine Gelegenheit, ihren Stolz und ihr Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen aufzupolieren und ihre Frömmigkeit unter Beweis zu stellen. Muslimische Kinder, die nicht fasten, und nicht-muslimische Kinder, die als muslimisch gelesen werden, haben gerade mit diesen Schüler:innen ein Problem. Besonders aramäische, yezidische, armenische oder alevitische Kinder sind von solchen Situationen stark betroffen.

Die wetteifernden Kinder sind bei bestem Willen keine Bösewichte. Sie werden ganzjährig über Soziale Netzwerke beeinflusst. Gerade das Fasten im Ramadan, eine der fünf Säulen des Islam, ist für sie ein sensibles Thema. Sie glauben, dass sie durch das Ausüben von Druck auf andere Kinder diesen Kindern einen Gefallen tun, während sie selbst gute Taten sammeln, indem sie ungefragt "Ratschläge" an andere geben. Dass diese "gut gemeinten Ratschläge" für andere großen Stress bedeuten, realisieren sie überhaupt nicht oder glauben, dass dieser Stress berechtigt ist.

Laut islamistischen Influencern, denen Kinder das ganze Jahr über vor allem über TikTok ausgesetzt sind, gibt es einfach keinen Ausweg vom Fasten. Auf die Frage, ob das Fasten für Kinder, die die Pubertät noch nicht erreicht haben, schädlich sei, verneint ein Influencer dies. Als "Beweis" führt er an, dass die Kinder der Gefährten des Propheten bereits vor der Pubertät gefastet hätten oder besser gesagt dazu gezwungen wurden. Um die Kinder während des erzwungenen Fastens zu beruhigen, würden Spielzeuge zur Ablenkung genügen.

Sollten Grundschullehrer:innen nachfragen, ob die Kinder nicht durstig wären, legt der TikTok-Prediger dies als eine Bösartigkeit aus. In den anderen Monaten sei es Lehrkräften vollkommen egal, ob die Kinder durstig oder hungrig seien. Solche tausendfach geteilten Videos führen dazu, dass selbst Grundschulkinder teilweise von ihren Eltern gezwungen werden zu fasten.

Während also für die einen ein Monat der Spiritualität hinter ihnen liegt, war es gleichzeitig ein Monat des sozialen Drucks und der Kontrolle für andere. Diese oft ignorierten Kinder dürfen nicht vergessen werden. Auf der anderen Seite stehen Kinder, die nicht aus Überzeugung fasten, nicht weil sie diese spirituelle Erfahrung schätzen, sondern weil sie Angst haben vor den Erzählungen der islamistischen Influencer. Geschichten über fünf- bis sechsjährige fastende Kinder dienen nicht der Weiterbildung der Zuschauenden, sondern sollen Schuldgefühle und Ängste in den Kindern auslösen.

Um Kinder und Jugendliche in solchen Situationen zu unterstützen, braucht es neue Angebote. Besonders während des Ramadan benötigen Schüler:innen Möglichkeiten, sich mit externen Angeboten oder geschultem Personal beziehungsweise Schulsozialarbeiter:innen in Verbindung zu setzen, die wissen, wie sie in dieser Situation helfen können. Muslim:innen muss die Angst genommen werden, Entscheidungen innerhalb ihrer eigenen Religion zu treffen.

In vielen muslimischen Familien werden Kinder nicht als Individuen groß, sondern als Teil eines familiären und vor allem religiösen Kollektivs. Ein großer, strenger, alles sehender und strafender Gott, der vielen Muslim:innen von klein auf beigebracht wurde, nimmt ihnen, auch wenn sie eigentlich unbeobachtet sind, die Möglichkeit, eine freie Entscheidung zu treffen. Den Kindern muss vermittelt werden, dass das "Tadeln" anderer Muslim:innen kein Akt der Frömmigkeit ist, sondern eine Verletzung der Religionsfreiheit anderer darstellt. Schüler:innen müssen also zuallererst ermächtigt werden, bestehende Normen zu hinterfragen und sich sowie andere Muslim:innen als Individuen zu erkennen, die es keinem Kollektiv schuldig sind, zu fasten.

Das Fasten im Ramadan ist als religiöses Gebot im Koran festgeschrieben, jedoch sollten Fastende nicht leiden. Kranke und Kinder sind von der Pflicht befreit. Wenn ein Mensch sich gegen das Fasten entscheidet, ist er höchstens seinem oder ihrem Gott eine Erklärung schuldig. Keinem Mitschüler, keinem Familienmitglied und schon gar keinem TikTok-Prediger.

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