HALLE. (hpd) Nach jahrelanger Isolationshaltung in einem bayerischen Provinzzoo hat Schimpanse Sebastian (35) nun das "Große Los" gezogen. Er durfte von Straubing weg in das neue Primatenhaus des Zoologischen Gartens Halle a. d. Saale umsiedeln, wo er in der Schimpansendame Bangi (36) - erstmalig in seinem Leben - eine Partnerin fand.
Ein Kommentar von Colin Goldner
Obgleich es seitens des Straubinger Tiergartens immer geheißen hatte, Sebastian sei "unsozial" und "hochaggressiv", könne also nur isoliert gehalten werden, klappte die Zusammenführung mit Bangi völlig reibungslos. Die beiden waren auf Anhieb voneinander begeistert und sind seither "ein Herz und eine Seele".
Vorausgegangen war eine über Jahre sich hinziehende und mit Nachdruck geführte Auseinandersetzung engagierter Tierrechtler mit dem Straubinger Tiergarten, der sich auf Bestandsschutz seiner völlig veralteten Schimpansenanlage berief, in der neben Sebastian zwei weitere Schimpansen gehalten wurden. Massiver öffentlicher Druck, nicht zuletzt durch Berichterstattung auf hpd und darüber erzieltes Interesse anderer Medien, mithin des Bayerischen Fernsehens ("kontrovers"), führte zu einer parlamentarischen Anfrage von B90/Die Grünen im Bayerischen Landtag.
Obgleich die Staatsregierung nach Kräften abzuwiegeln suchte, mündete das öffentliche Aufsehen doch in weitreichenden Auflagen der Regierung von Niederbayern, deren Nicht-Erfüllung für den Straubinger Zoo den kompletten Verlust der Haltungserlaubnis für Primaten bedeutet hätte.
Von da an ging alles sehr schnell: Plötzlich erschien Sebastian doch vermittelbar, so dass er an den Zoo Halle abgetreten werden konnte. Der große Vorteil für Straubing bestand darin, dass die nur durch ein Gitter voneinander getrennten Gehege innerhalb der Schimpansenanlage zusammengelegt werden konnten, so dass den beiden verbleibenden Tieren, Alfons und Lutz, nunmehr eine doppelt so große Grundfläche zur Verfügung steht. Zudem haben sie jetzt jederzeit Zugang zu einem angrenzenden Freiluftkäfig, den sie zuvor nur abwechselnd mit Sebastian belegen konnten. Die Auflagen der Regierung wurden - mehr oder weniger - erfüllt, ohne dass bauliche Veränderungen vorgenommen werden mussten.
Auch wenn Wildtierhaltung in Zoos grundsätzlich abzulehnen ist, hat sich für Sebastian ein völlig neues Leben eröffnet. Seine Geschichte stellt gewissermaßen den Schnittpunkt dar zwischen herkömmlichem Tierschutz, dem es immer nur um eine Verbesserung der Haltungsbedingungen eingesperrter Tiere geht, nie aber um die Abschaffung der Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse ansich, und tierrechtlichem Selbstverständnis, das sich eben dafür einsetzt, ohne die Linderung des Leidens einzelner Individuen dabei aus den Augen zu verlieren.
Sebastians Umzug nach Halle ist die relativ beste Lösung, die für ihn denkbar war. In der niederländischen Stichting AAP, die das ursprüngliche Ziel seiner Umsiedelung war, hätte er es auch nicht besser gehabt.
Die Auseinandersetzung mit dem Straubinger Zoo beziehungsweise den Verantwortlichen der Stadt zur Umsiedelung der beiden verbleibenden Schimpansen geht insofern weiter. Auch wenn sich die Haltungsbedingungen von Alfons und Lutz durch den Umzug Sebastians deutlich verbessert haben, müssen auch sie aus dem nach wie vor völlig unzulänglichen Betonkasten befreit werden. Erster Folgeschritt ist insofern eine Strafanzeige gegen den zuständigen Amtstierarzt, dessen falsche "Diagnose" des Sozialverhaltens von Sebastian zu dessen jahrelanger Isolationshaltung geführt hat. Es wird auf diesem Wege auch zu klären sein, ob die Falschdiagnose auf Vorsatz, Fahrlässigkeit oder schlichter Inkompetenz beruhte, inwieweit der Amtstierarzt also seinen Verpflichtungen nach § 16a TierSchG zuwidergehandelt hat und mit Blick auf die verbliebenen beiden Schimpansen zuwiderhandelt.
Das konsequente Erzeugen öffentlichen Drucks kann, wie das Beispiel Sebastians zeigt, selbst die in Beton gefassten Strukturen eines bayerischen Provinzzoos ins Wanken bringen.
Video von der ersten Begegnung Sebastians mit Bangi
Bildlegende:
Portraitfotos Sebastian und Bangi / Fotos: Colin Goldner