Wege zur Freiheit

Ein Raum voller Atomanzüge, ein Zimmer mit Schlaf- und Sitzmöglichkeiten, sogar Sitze mit Kopfhaltern, oben an den Decken aufeinander gestapelte Wasserkanister versetzen einen kurz in die 1980er Jahre. Die Realschulklasse, mit denen wir unterwegs sind, ist auffallend still – oder einfach nur gut diszipliniert. Zurück zu den DDR- Zeiten:

Die U-Bahn

Der erste legendäre Tunnel, der seit dem Mauerbau 1961 im Untergrund gegraben wurde, war der Spionagetunnel Rudow. Die Amerikaner dachten sie wären schlau und könnten das Telefonkabel anzapfen, das vom sowjetischen Außendienst zur russischen Botschaft nach Berlin führte.. 4.000 Telefonate hörten sie geduldig ab, dann hatten sie die Nase voll von dem Kaffeeklatsch der Russen. Ebenfalls nicht auf den Kopf gefallen, hatten diese Dank einem britischen Doppelgeheimdienstagenten George Blake rechtzeitig Wind von der Sache bekommen und schadenfroh zugesehen, wie die Gegenseite ihre Dollars zum Fenster hinauswarf.

 

Es geht weiter durch die Gänge. Photos zeigen die Mauer, den Grenzstreifen mit dem frisch geharkten Sand, das Asbestbetonrohr oben auf der Mauer. 2.300 Soldaten und 900 Hunde bewachten die Mauer. 4 Millionen Euro hat das Ganze gekostet. Der ein oder andere Leser wird sich erinnern können. Für die nachkommende Generation kaum vorstellbar. Bilder können es einem veranschaulichen, Räume ein leicht bedrückendes Gefühl vermitteln, aber das Kläffen der Hunde, die bedrohliche Stille, die Mopeds der Soldaten – nur in der Fantasie greifbar – wie hat es sich wirklich angefühlt?

Nun stand die Mauer, aber die westliche U-Bahn fuhr 12 Minuten lang durch östlichen Untergrund. Was tun, um diesen letzen Fluchtweg zu verhindern?

Alles verbarrikadieren war die Antwort. Auch die Grenzsoldaten, die den Bereich überwachen, wurden in kleine Bunker mit verschlossenen Fenstern gesteckt - damit sie weder fahnenflüchtig wurden, noch mit Essen oder Zeitungen von den vorbeifahrenden Westlern verseucht wurden. Notausgänge wurden zugemauert, Matten aus Stahl mit Dornen ausgelegt. Geisterbahnhöfe entstanden. Geflohen sind hier nur wenige.

Die Kanalisation

Vorbei an alten Straßenschildern versammeln wir uns vor einem Gullydeckel – Fluchtwege durch die Kanalisation.

Zwei Schüler heben den 60 Kilo schweren Eisendeckel hoch – „Nee – schwer ist das nicht“, löwenstarke Jungs aus Bayern eben. Die erste Fluchthilfegruppe aus Westberlin nannte sich „ Unternehmen Reisebüro“. So genannte Kuriere, Westdeutsche oder ausländische Studenten, nahmen Kontakt zu Fluchtwilligen auf. Dann ging es los. Eine Hauptroute verlief vom Prenzlauer Berg nach Wedding. Zwei hoben den Deckel, die Gruppe kletterte hinein und hinter ihnen wurde das schwere Eisenstück wieder zugemacht - in den meisten Fällen verkantete sich der Deckel, ein Indiz für die Staatssicherheit. In Wedding stand der VW Bus über der Öffnung, mit einem Loch am Boden und die Gruppe landete mit Glück unbemerkt im Auffanglager Marienfeld. Aber auch auf der Westseite war man nicht sicher vor den Spitzeln der DDR. Als Antwort wurden die Kanalwege mit Gittern versperrt – die Flüchtlinge mussten durch die Kloake tauchen oder die Gitter durchsägen. Doch schon bald wurden diese mit Eisenbahnschienen ersetzt. 1962 war die Kanalisation als Fluchtweg nicht mehr denkbar. Immerhin schafften es 400 Leute auf diesem Weg in den Westen.