Wege zur Freiheit

Der Weg durch den Tunnel

Weiter geht’s entlang Eimertoiletten und hängenden Luftschutzanzügen in den letzen Raum.

Ein Tunnelausschnitt wurde hier provisorisch nachgebaut. Letzte Fluchtmöglichkeit durch den Untergrund war schlussendlich der Tunnelbau. Kein einfaches Vorhaben bei dem sandigen Boden und dem hohen Grundwasserspiegel Berlins. Aber es gab eine günstige Stelle, in der Bernauer Straße. Hier gab es Lehmboden und der Wasserspiegel war niedrig. Dafür war der Grenzstreifen hier ganze 70 Meter breit. Ein mindestens 100 Meter langer Tunnel musste gegraben werden. Zwischen 1962 und 1971 wurden ganze fünfzehn Tunnel gegraben. Nur drei davon waren erfolgreich.

Einer davon wurde von Familie Becker gegraben – von Ost nach West, im Keller wurde angefangen. Die Mutter stand am Fenster oben. Lauerte Gefahr, schaltete sie schnell das Licht aus, im Tunnel war es dann dunkel. Was für ein Moment, als sie sah, wie ein Grenzmast in den Boden einsackte! Aber schnell bewegte dieser sich an den alten Platz. Der Vater und die Söhne hatten den Mast wieder hoch „gehoben“. Die Platzwunde ihres Sohnes wurde versorgt. Nichts wurde bemerkt. Nächste Hürde war auf der anderen Seite an der richtigen Stelle hochzukommen. Sie hatten Glück. 29 Menschen kamen durch ihren Tunnel in den Westen. Neben den Beckers baute Max Thomas einen Rentnertunnel – extra hoch, damit man „erhobenen Hauptes in die Freiheit schreiten kann“, die romantische Variante.

In unserem Bunker wird es stickig, die Schüler fächern sich Luft zu. Wir gehen durch einen großen dunklen Raum mit niedrigen Decken, entlang einer Passage, die der Verkehrsgesellschaft gehört. Schon stehen wir inmitten der U-Bahn Station „Gesundbrunnen“. Ein Mann fragt eine fünfzehnjährige Schülerin nach Feuer und zündet seine Tüte an. Willkommen in die Realität der Gegenwart.

Bernauer Straße

Wir fahren in die Bernauer Straße. Leider sind die Tunnel nicht zugänglich, sei es, dass sie damals zugeschüttet wurden, zusammengebrochen sind oder den Sicherheitsbestimmungen nicht entsprechen. Dafür wurde jetzt von Hasso Herschel, einem der bekanntesten Fluchthelfer erzählt. 5.000 DM zahlte die BBC für ein Photo. So manch einer kaufte sich in Italien ein Hotel von seinen Tunnelgeschäften. Nur Herschel half eifrig weiter, 1.000 Leuten hat er zur Flucht verholfen. Auch der erste Astronaut Wolfgang Fuchs war beteiligt, am Bau des Tunnel 57 – 57 als Zahl der Flüchtlinge, die so in die Freiheit gelangten. Doch es gab auch traurige Geschichten, von Spitzeln, die davon Wind bekamen – so mancher Tunnelhelfer verlor bei einer Schießerei sein Leben.
 

Hier draußen, an der Straßenecke, neben den vorbeifahrenden Autos, ohne Schacht und ohne Tunnel, ist es schwer, die Geschichte zu greifen. Sie entfernt sich weiter und weiter. Dazu kommen ein knurrender Magen und eine trockene Kehle, die einen ins Hier und Jetzt zurück holen.

Ob eingemachter Linseneintopf, Soljanka, Kartoffeln und Currywurst, Sushi oder Hamburger – schön, dass man das heute frei entscheiden darf! Noch besser problemlos mit der U-Bahn quer durch Berlin jetzt nach Hause zu fahren!

Theresa Siess