(hpd) "...sind die fettesten Äcker" (für diejenigen, die hinieden die jenseitigen Parzellen meistbietend verhökern), formulierte der Freiburger Philosophieprofessor Eugen Fink in den frühen 1960er Jahren zuweilen in einer seiner Vorlesungen an einer Universität, die sich noch an der vom Freiburger Erzbischof angeführten Fronleichnamsprozession in aller Form beteiligt hatte.
Seitdem hoffte ich, ein evolutions- und religionswissenschaftlich Kompetenter würde sich das dank indoktrinierter Religiosität nahezu kritikimmune so effektive Selbstbereicherungssyndrom religiöser 'Eliten' in stammesgeschichtlicher Perspektive tiefenscharf genug vornehmen.
Nach dem Band von Rüdiger Vaas und Michael Blume Gott, Gene und Gehirn. Warum Glauben nützt - Die Evolution der Religiosität (Stuttgart, 2009), der das Problemfeld Religion aus primär hirnphysiologischer Perspektive angeht, liegt nun mit Die Logik der Nicht-Logik ein gut erreichbarer Band vor, der evolutionsgeschichtlichen Voraussetzungen usw. dieser interesseorientierten Selbstbereicherungsspur religiöser 'Eliten' folgt: Der 'theoretische' Biologe Andreas E. Kilian identifiziert das Prinzip der Vorteilnahme mit Hilfe nicht überprüfbarer Argumente als Charakteristikum von Religion.
Wie geht er dabei vor? Die Argumentation erfolgt in sechs Schritten so, dass in Kapitel 1 "Das Kind beim Namen nennen" (S. 9-27) bisherige Definitionen diskutiert und die Notwendigkeit einer biologischen Definition aufgewiesen wird. Kapitel 2 (S. 29-63) erarbeitet eine substantialistische Definition von Religion:
"Religionen beschäftigen sich mit dem sozialen Minimalkonsens der durch ich-bezogene Denkschemata einseitig korrigierten Vorstellungen zu der Stellung des Menschen in seiner Umwelt." (S. 63).
Eine korrespondierende funktionalistische Diskussion wird in fünf Gedankengängen im 3. Kapitel (S. 65-123), dem Hauptteil des Bandes, im Blick auf "die gesuchte emergente Eigenschaft, die in alle Lebensbereiche hineinwirkt", erarbeitet:
"Religion bietet eine von der Realität gelöste Argumentationsebene, um seine Egoismen fast beliebig rechtfertigen und ausleben zu können."
So werden die funktionalistischen Besonderheiten von Religion in der Definition hervorgehoben:
"Religion ist das tradierte Bereitstellen von funktionalen Verhalten und Rechtfertigungen, um seine Egoismen gegen oder mit seinen Gruppenmitgliedern zusammen ausleben zu können sowie dafür zu sorgen, dass die Gemeinschaft zum Ausnutzen erhalten bleibt." (S. 123)
Das 4. Kapitel (S. 125-137) präpariert die Evolution der Logik der Nicht-Logik heraus und bietet als Definition:
"Religiöse Institutionen sind Zusammenschlüsse von religiösen Dienstleistern, die ihr Substrat zum eigenen Vorteil manipulieren, um sich durch die Erschaffung und Bereitstellung einer nicht-logischen und nicht-überprüfbaren Argumentationsebene etwas von der Macht der realen Alpha-Tiere zu erschleichen." (S. 137)
Kapitel 5 (S. 139-149) reflektiert Fragen der artexternen und -internen Umwelt und bietet ebenfalls eine knappe Definition:
"Religiöse Inhalte orientieren sich an den aktuellen angstauslösenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen." (S. 148)
Eine Art Gegenprobe bietet das dem Einfluss der Geschichte geltende 6. Kapitel (S. 151-172), das die diversen "Imperial-Religionen" sowie mehr oder weniger religiösen Philosophien einschließlich des Humanismus in die Analyse so einbezieht, daß in der Definition der Zeitgeist der Gründungsphase, der Kulturfolgeraspekt und der konservative Machterhalt des Egoisten berücksichtigt wird:
"Neue religiöse Kerninhalte werden aus starken wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbrüchen geboren und passen sich in ihrer Ausprägung durch konservativ gesteuerte Modifikationen weiteren Gesellschaftsveränderungen an." (S. 171f.)
Kapitel 7 (S. 173-188) fasst die bisherigen Definitionsversuche in einer biologischen Definition zusammen (S. 176), grenzt Religion, Ideologie und Wahnvorstellungen voneinander ab, skizziert Möglichkeiten einer Integration anderer Definitionen und skizziert Anworten auf noch offene Fragen.
Damit hätte der Band zwar enden können, doch der Autor schließt noch ein 8. Kapitel (S. 189-202) - Was ist zu tun? - an, das "Fragen zu der Ausgangssituation, in der wir uns mit den Religionen befinden", deren Stellung in der Öffentlichkeit, des zwischenmenschlichen Miteinanders unter Gläubigen und auch "nach unserer inneren Einstellung" (S. 189) skizziert.
Die von Kilian vorgestellte Argumentation erscheint dem Verfasser, der nach Lektüre der Verlagsankündigung eher skeptisch war, als so stichhaltig, dass sie breite, sachkompetente, ergebnisoffene und nicht apologetisch auf Nebensächlichkeiten ausweichende Diskussionen verdient. Der gut lesbare Band eröffnet eine selbst in religionswissenschaftlichen Untersuchungen meistenteils ausgeklammerte Perspektive. Für weder Voreingenommene noch theoretisch Konkurrierende könnte die Lektüre der Argumentationen dieses auch einen Sachindex bietenden sorgfältig gearbeiteten 200-Seitenbandes Kilians, der mit Egoismus, Macht und Strategien. Soziobiologie im Alltag (Aschaffenburg, 2009) eine lesenswerte Paralellaktion vorgelegt hat, serienweise Aha-Erlebnisse auslösen sowie einen brauchbaren Schlüssel bieten, um zahlreiche dem Phänomen Religion gewidmete Definitionen usw. bereits als Aspekte kritikimmuner Vorteilsnahme zu erkennen. In Aufklärungsperspektive eine Parforceleistung.
Hermann Josef Schmidt
Andreas Kilian: Die Logik der Nicht-Logik. Wie Wissenschaft das Phänomen Religion heute biologisch definieren kann. Aschaffenburg, 2010, 230 Seiten, Euro 16,00.
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.