(hpd) Der Politikwissenschaftler Lars Rensmann und der Historiker Julius H. Schoeps legen mit „Feindbild Judentum. Antisemitismus in Europa“ einen Sammelband mit Fallstudien zur Entwicklung der Judenfeindschaft in unterschiedlichen Ländern vor.
Es handelt sich um ein faktenreiches und interessantes Projekt, das die Verbreitung des Antisemitismus sowohl in Form von Einstellungen in der Bevölkerung wie Diskursen im politischen Raum untersucht.
Der Blick in die Tagespresse macht deutlich: Antisemitismus ist weder ein rein deutsches noch ein rein historisches Phänomen. In vielen Ländern kommt es regelmäßig zu judenfeindlichen Handlungen von der Agitation bis zur Gewalttat. Betrachtet man etwa die Situation in Europa, so kann von einer Verstetigung und Zunahme antisemitischer Vorurteile ausgegangen werden. Darauf wollen die Autoren des Sammelbandes „Feindbild Judentum. Antisemitismus in Europa“ aufmerksam machen. Herausgegeben haben ihn der Politikwissenschaftler Lars Rensmann und der Historiker Julius H. Schopes. Sie wollen damit angesichts einer oftmals eklektizistisch vorgehenden Forschung und der emotional und ideologisch überwölbten öffentlichen Debatte eine systematische Bestandsaufnahme und Einschätzung vorlegen. Dazu präsentieren die Herausgeber ausführliche Länderstudien und systematische Vergleiche, wobei es sowohl um die antisemitischen Einstellungen wie um die judenfeindlichen Handlungen in Ost- und Westeuropa geht.
Entsprechend wurden die 14 Aufsätze des Bandes in fünf Kapitel unterteilt: Nach einführenden Bemerkungen zur Definitionsfrage und Forschungslage geht es zunächst um Antisemitismus in Westeuropa mit Länderstudien zu Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden und Spanien. Danach steht der Antisemitismus im deutschsprachigen Raum mit Ausführungen zu Österreich und der Schweiz im Zentrum des Interesses. Die Situation in Deutschland wird in zwei Aufsätzen, einmal zu Einstellungen in der Bevölkerung, einmal zum Kontext der Politik, thematisiert. Der Antisemitismus in Osteuropa findet danach nur in Abhandlungen zur Situation in Polen, der Ukraine und Ungarn Aufmerksamkeit. Und schließlich geht es noch um vergleichende Betrachtungen, die sich auf die Bedeutung des Antisemitismus für die rechtsextremistischen Partein in Europa, den Zusammenhang von judenfeindlichen Gewalttaten und dem Nahost-Konflikt und die Ergebnisse der Meinungsforschung zur Frage des „neuen europäischen Antisemitismus“ beziehen.
Allgemein kommen die Autoren in der Einschätzung der Herausgeber zu dem Ergebnis, dass zwar der Antisemitismus im Sinne des Rassismus und der Verschwörungsvorstellungen an Bedeutung verloren habe. „Gleichwohl sind gerade in jüngster Zeit neue Formen der Judenfeindschaft als Einstellungshorizont und in der politischen Öffentlichkeit hervorgetreten. Sie indizieren, dass antisemitische Vorurteile nicht nur von historischer Bedeutung sind, sondern international – in unterschiedlichem Ausmaß – in Erscheinung treten“ (S. 10). Die Befunde der jeweiligen Länderstudien lieferten ein differenziertes, komplexes und umfassendes Bild über Ausmaß und Form des Antisemitismus in Europa im gesellschaftlichen wie politischen Raum. „Sie zeigen dabei auf empirisch gesättigter Grundlage, dass sich trotz gefestigter liberaldemokratischer Kulturen und politischer Grenzen antijüdische Feindbilder einerseits als erstaunlich beharrlich erwiesen haben, andererseits in jüngster Zeit tatsächlich neue Schübe erhalten“ (S. 32).
Bei der Erstellung des Sammelbandes ist es den Herausgebern gelungen, ausgezeichnete Kenner der Situation in den jeweiligen Ländern als Autoren zu gewinnen. Sie präsentieren zum einen die Erkenntnisse der empirischen Sozialforschung über die Verbreitung von antisemitischen Einstellungen und gehen zum anderen auf die Bedeutung des Antisemitismus im politischen Raum sowohl im etablierten wie randständigen Bereich ein. Dabei arbeiten die Autoren nicht mit einem identischen Antisemitismusverständnis, was Differenzen wie etwa zur Frage des „Neuen Antisemitismus“ erklärt. Diese Heterogenität mindert aber nicht den Wert des ausgezeichneten Sammelbandes. Ob allerdings immer eine überzogene Israel-Kritik aus dem „linken“ Lager auch als antisemitisch gelten muss, kann hier und da bezweifelt werden. Der Beitrag zur Einstellungsforschung in Deutschland ignoriert merkwürdigerweise eine Reihe von älteren und neueren Studien. Einige interessante Fragen wie etwa die nach den Gründen für einen Anstieg des Antisemitismus werden leider nur am Rande diskutiert.
Armin Pfahl-Traughber
Lars Rensmann/Julius H. Schoeps (Hrsg.), Feindbild Judentum. Antisemitismus in Europa, Berlin 2008 (Verlag für Berlin-Brandenburg), 512 S., 24,95 €