Die wilden Jahre des Christentums

(hpd) Kaiser Konstantin wird bis heute als „erster christlicher Kaiser“ dargestellt, der den Startschuss für das „christliche Abendland“ gegeben habe. Doch das ist falsch, meint der Althistoriker Rolf Bergmeier in einem soeben erschienenen Buch.

Mit dem Autor sprach hpd über die Entwicklung der christlichen Kirche im vierten Jahrhundert, über Symbolforschung, römische Münzen und die ideologisch verklärte Perspektive der Altertumsforschung auf Konstantin.

hpd: Im Untertitel Ihres Buches ist von den „wilden Jahren des Christentums“ die Rede – was dürfen wir denn darunter verstehen?

Rolf Bergmeier: In der Literatur wird überwiegend der Eindruck vermittelt, das Christentum sei unaufhaltsam, gottgeführt und siegreich durch die Jahrhunderte marschiert. Aber davon kann keine Rede sein. Bereits Paulus mahnte zur Einheit. Die innerchristlichen Konflikte um das Wesen Gottes sind im vierten Jahrhundert besonders hart und verletzend. Ein bekannter Kirchenführer bewertet die Lehre seines christlichen Gegners, sie sei „wie der Auswurf eines Hundes“ und ihre Anhänger wälzten „sich wie Schweine und Hunde in ihrem eigenen Kot“. In der Literatur findet man zu diesem „wilden“, erbitterten, innerchristlichen Jahrhundertstreit nur wenige Zeilen.

hpd: Und Kaiser Konstantin hat diese wilden Jahre beendet?

Rolf Bergmeier: Er hat es versucht. Er rief im Jahre 325 das „Superkonzil“ von Nicäa ein und befahl den anwesenden 300 Bischöfen die Annahme seiner Gottesformel von der Wesensgleichheit Jesu mit Gottvater. Der brave Gläubige mag sich wundern, aber die Quellen des vierten Jahrhunderts bestätigen: Das Zentraldogma des Christentums, die Wesensgleichheit von Gottvater und Gottsohn, ist von dem römischen Kaiser Konstantin in Kraft gesetzt worden. Allerdings führte die verordnete Formel nicht zu dem erhofften Frieden, denn jeder Bischof legte die Formel anders aus. Als Konstantin im Jahre 337 starb, war das Christentum verfeindeter denn je.


hpd: Und trotz dieser Intervention ist die Vorstellung, dass Konstantin als christlicher Kaiser anzusehen ist und mit ihm die Epoche des
christlichen Abendlandes beginnt, falsch?

Rolf Bergmeier: Richtig. Konstantin starb mit großer Wahrscheinlichkeit als Anhänger des damals höchsten Gottes, des Sonnengottes Sol, dem Christus wie auch Mars oder Viktoria nachgeordnet waren. Selbst wenn diese in meinem Buch umfassend belegte Theorie nicht zuträfe, dann starb Konstantin bestenfalls als christlich-arianischer „Häretiker“. Der in der Trierer Konstantin-Ausstellung 2007 und in nahezu allen modernen Konstantin-Biographien vermittelte Eindruck, Konstantin sei ein „Imperator Christianissimus“ gewesen, ist falsch.

hpd: Auf welche Belege kann sich Ihre Auffassung stützen?

Rolf Bergmeier: Ich habe den spätantiken archäologischen, numismatischen, epigraphischen und textlichen Fundus sowie die bisher kaum beachteten Forschungsergebnisse zur Entwicklung der christlichen Symbole ausgewertet und die Aussagen der heutigen Konstantinforschung daran gemessen. Geht man vorurteilsfrei (soweit das möglich ist) und mit der gebotenen Distanz zu den Texten antiker Kirchenhistoriker ans Werk, dann stellt man verwirrend viele kirchenfreundliche Bewertungen fest. Diese weise ich nach und das gibt dem Buch auch seine Spannung.


hpd: Aber Konstantins Haltung zum Christentum unterscheidet sich doch von der seiner Vorgänger...

Rolf Bergmeier: Nach der vorherrschenden Theorie ja. In Wahrheit ist Konstantin wie alle Kaiser Getriebener und Reformator, Verwalter und Erneuerer zugleich. Nichts unterscheidet sein Verhalten von dem früherer Kaiser, die mit ihren Gegnern ebenso skrupellos und brutal verfuhren wie Konstantin.

hpd: Was waren nach Ihrer Auffassung die Leitlinien von Konstantins Religionspolitik?

Rolf Bergmeier: Wie alle Kaiser hatte Konstantin eine Hauptlinie: Gewinnen und Erhalten der Macht. Dazu mutet er seinem Volk einen zwölfjährigen Bürgerkrieg zu und räumt alle Konkurrenten aus dem Weg. An seiner Seite und als politische Demonstration braucht Konstantin einen siegversprechenden Gott als „Gefährten“. Dies kann nur der damals größte Gott aller Zeiten sein, der Sonnengott Sol. Ein von den eigenen Landsleuten gekreuzigter Jesus, der „Feindesliebe“ fordert, konnte unmöglich ein siegversprechender Gefährte des Kaisers sein.