Die Grenzen des Rechts

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Rasenmäher / Foto: Axel Kleemann (pixelio)

ÖSTERREICH. (hpd) Ein Gerichtsprozess in der Steiermark sorgt für internationale Medienberichte: Ein Steirer soll wegen Rasenmähens und Jodelns während des Freitagsgebets seiner muslimischen Nachbarn zu einer Geldstrafe verurteilt worden sein. Blogger zweifeln das an. Mit gutem Grund.

Aus Versehen habe er Rasen gemäht und als gesangesfreudiger Mensch auch gejodelt, sagt der 63-jährige Steirer laut Kronenzeitung. Blöderweise habe er den falschen Tag erwischt. Freitag war’s und seine muslimischen Nachbarn beteten. Die riefen sofort die Polizei, im Strafprozess wegen Störung religiöser Handlungen (§ 189 österreichisches Strafrecht) sei der Mann zu 800 Euro Geldstrafe verurteilt worden. So berichtete es aufgeregt Österreichs meistgelesene Tageszeitung, die immer wieder wegen latenter Ausländerfeindlichkeit und einseitiger Berichterstattung kritisiert wird. So übernahmen es internationale Zeitungen.

Gesetzt den Fall, es war so, erscheint die Aufregung gerechtfertigt. Eine irrtümliche Gebetsstörung, behandelt nach einem Paragrafen, der für eine aufgeklärte Demokratie wie ein Relikt der nicht immer ganz rühmlichen Geschichte scheinen muss. Gleichzeitig bleibt vor dem Hintergrund der österreichischen Medien- und Politlandschaft, in der "Integration" geradezu obsessiv diskutiert wird, die Aussage: Muslime wollen sich nicht integrieren und belästigen Nachbarn und Gerichte.

Blogger Hans Kirchmeyr von kobuk.at hat den Fall genauer recherchiert. Seinen Angaben zufolge liest sich das Ganze etwas anders. Der Steirer soll sich regelmäßig und monatelang den Freitagnachmittag für seine Rasenpflege und seine Gesangesübungen ausgesucht haben. Und – wie es der Zufall so will – immer, wenn der Muezzin aus den Lautsprechern in Nachbars Garten zum Freitagsgebet aufrief. Das soll er auch gemacht haben, nachdem die Nachbarn die Lautsprecher abmontiert bzw. nicht mehr in Betrieb genommen hatten. Irgendwann sollen die Leute mehr oder weniger schwer genervt die Polizei gerufen haben. Diese erstattete nach mehreren Einsätzen Anzeige nach § 189. In Österreich gilt das als Offizialdelikt. Die Staatsanwaltschaft muss von sich aus tätig werden. Ein Paragraf, der Religionen stark privilegiert. Statt einer Verurteilung kam es laut kobuk.at zu einem außergerichtlichen Tatausgleich mit einer Geldbuße von 800 Euro. Gemessen an der Höchststrafe bei einer Verurteilung sehr milde.

Mag sein, dass auch diese Version nicht in allen Details dem entspricht, was sich abgespielt hat. Klar ist, hätte eine muslimische Familie eine österreichische katholische Familie bei Gebeten gestört, die Kronenzeitung hätte unverhohlen über die Verurteilung gejubelt. Obwohl es grundsätzlich die gleiche Sache gewesen wäre.

So oder so, der Fall zeigt die Grenzen des österreichischen Strafrechts auf. Ein antiquierter Paragraf wird herangezogen um ein an sich berechtigtes Anliegen in einem Nachbarschaftskonflikt durchzusetzen. Egal, ob man isst, redet oder betet - wenn der Nachbar regelmäßig stört, gehört das abgestellt. Nur sind Essen oder Gespräche persönliche Tätigkeiten im privaten Bereich, die das Strafrecht wesentlich weniger beziehungsweise kaum schützt. In diesem Fall wäre den Nachbarn de facto nur der Weg zum Zivilgericht geblieben. Ausgang ungewiss.

Umgekehrt erscheint es einfach, den alteingesessenen Nachbarn als Rassisten hinzustellen. Möglicherweise hat sich auch der in seiner Privatsphäre gestört gefühlt. Lautsprecher in Nachbars Garten sind nicht jedermanns Sache. Egal, welche Geräusche dort rausdringen. Es ist Aufgabe des Geräuschverursachers, sicherzustellen, dass die Geräusche ein erträgliches Maß annehmen. Gerade im ländlicheren bzw. vorstädtischen Bereich. Religionsausübung sollte diesen Anspruch nicht schrankenlos aushebeln können. Dass es wie bei Kirchen oder größeren Gebetshäusern anderer Religionsgemeinschaften schwierig sein kann, liegt auf der Hand. Was allerdings die jeweilige Religionsgemeinschaft auch nicht von der Verpflichtung entbinden kann, ein Einvernehmen mit den Nachbarn herzustellen. Und sei es, indem man für einen adäquaten Wohnersatz sorgt, wenn sich keine andere Möglichkeit finden lässt. Verpflichtungen, von denen Religionsgemeinschaften nach österreichischem Recht in einem erheblichen Maß befreit sind. Was im gegebenen Fall dem Nachbar keine Chance gegeben hätte, den Lärm aus dem Nachbargarten auf einem erträglichen Niveau zu halten.

Was und wer auch immer den Konflikt so eskalieren ließ, ist zweitrangig. Mitverantwortung tragen heimische Gesetze, die Religionen mehr schützen als jeden anderen Bereich der Privatsphäre. Sie haben denkbar wenig Spielraum zu einer Deeskalation gelassen – und einer latent ausländerfeindlichen Zeitung offenbar die Möglichkeit gegeben, berechtigte Kritik einseitig darzustellen und MigrantInnen aus muslimischen Ländern wieder einmal als „nicht integrationsfähige“ UnruhestifterInnen zu diffamieren.

Christoph Baumgarten