Wie christlich ist der Karneval?

karneval-mein_chef_der_zugleiter_schmitz_als_hoppeditz.jpg

Der Düsseldorfer Zugleiter Schmitz als „Hoppeditz“ / Foto: privat

DÜSSELDORF. (hpd) Tätä, tatää, tätääää, hier kommt die hpd-Meldung mit der Nummer 11111. Närrischer geht’s kaum, schließlich ist die Zahl 11 seit jeher die Lieblingszahl der Narren. Warum, weiß kein Mensch. Jedenfalls nicht genau. Eine Theorie besagt, dass sich die Jecken beim Feiern außerhalb der kirchlichen Normen begaben. Die 11 ist die Zahl der Sünde, denn sie überschreitet die Zahl der 10 Gebote. Womit die Fronten geklärt wären. Der lebensfrohe Karneval steht außerhalb der repressiven und humorfeindlichen Normen des Christentums.

Ein Kommentar von Jacques Tilly

Merkwürdig ist nur, dass die katholische Kirche den Karneval und seine Traditionen trotz des offensichtlichen Gegensatzes anscheinend völlig vereinnahmt, ja geradezu beschlagnahmt hat. Der Kölner Kardinal Meisner hat es in einer Predigt unmissverständlich formuliert: „Karneval ist in der Kirche Christi geboren ... Von seinem Wesen her ist der Karneval mit dem Evangelium blutsverwandt.“ Bei solchen Sätzen stöhnt der agnostische Humanist und Aufklärer in mir auf. Schließlich habe ich als Düsseldorfer Karnevalswagenbauer einen Großteil meines Lebens dem Karneval gewidmet. War ich bisher auf der falschen Baustelle tätig? Dem Augenschein nach ist zumindest der rheinische Karneval aufs engste mit der katholischen Kirche verbunden. Da gibt es karnevalistische Gottesdienste, sogar auf Mundart. Da werden kurz vor Rosenmontag in der Kölner Wagenbauhalle die fertigen Umzugswagen von Weihbischöfen mit Weihwasser gesegnet. Vor wenigen Tagen hatte das Kölner Dreigestirn sogar eine Audienz beim Papst höchstpersönlich, natürlich eingefädelt von seinem Duzfreund Kardinal Meisner.

Immer wenn ich mit einem kirchenkritischen Karnevalswagen die örtliche Christenschar in Wallung brachte, dann wurde mir in unzähligen Briefen mahnend vorgehalten, dass Karneval doch ein zutiefst christliches Fest sei. Im Karneval sollen die Schäfchen noch einmal mit kirchlichem Segen vor der Fastenzeit über die Stränge schlagen zu dürfen. Er ist somit fester Bestandteil des Kirchenjahres. Zumindest des katholischen Kirchenjahres. Denn Martin Luther hat mit der Fastenzeit den Karneval gleich mit abgeschafft – weshalb der Karneval bis heute fast nur in katholischen Regionen gefeiert wird. Zur Begründung des Karnevals bemühen die Christen sogar den „heiligen“ Augustinus: Karneval sei eine Zeit des Spiels, welches den Menschen als sündigen Narren zeigt. Hier dürfen die Menschen – quasi testweise und auf wenige Tage begrenzt – das ausschweifende Leben in dem gottesfernen „Teufelsstaat“ ausprobieren, um zu Aschermittwoch umso williger und gereinigter wieder in das Reich Gottes, den „Gottesstaat“ Einlass zu finden. Natürlich mit Aschekreuz auf der Stirn.

Auch die Wortbedeutung selbst weist auf einen christlichen Ursprung hin. Karneval leitet sich höchstwahrscheinlich von lateinisch „carne levare“ ab, was soviel wie „Fleisch wegnehmen“ heißt. Auch der Begriff „Fastnacht“ lässt einen klaren Bezug auf die christlich verordnete Fastenzeit erkennen, ebenso wie der Fasching, der sich vom „Fastenschank“ herleitet, dem letzten Ausschank Alkohol vor der strengen Fastenzeit.

1 zu 0 fürs Christentum, so möchte man meinen. Die Katholiken machen anscheinend völlig zu Recht Patentrechte auf den Karneval geltend.

Doch wer sich mit dem Christentum kritisch auseinandergesetzt hat, der weiß, wie skrupellos die Kirche alles beschlagnahmt und umetikettiert hat, was sie nicht ausrotten konnte oder was ihr nützlich erschien. Schließlich ist ja das Christentum selbst in keinem einzigen seiner Bestandteile eine Neuerfindung. Die christliche Religion ist nichts weiter als die Summe von Einzelteilen, die entweder aus dem heidnischen oder jüdischen Kultur- und Religionsgut „entnommen“ wurden. Aktuell erleben wir ja gerade, wie sogar Menschenrechte in einem beispiellosen Akt von geistigem Diebstahl als „urchristliches Gedankengut“ in Besitz genommen werden. Das christliche Weihnachtsfest auf den 25. Dezember zu legen war ja nichts weiter als ein Marketingtrick, um einer römischen Konkurrenzreligion, die an diesem Tag die Geburt des Sonnengottes Mithras feierte, das Wasser abzugraben. Man nutzt schon vorhandene Bräuche, Gewohnheiten und Denkbilder, indem man sie bequem ins christliche Weltbild umleitet. Könnte dasselbe nicht auch dem Karneval passiert sein? Ist er nicht einfach nur die Fortsetzung antiker Feierlichkeiten, nur eben christlich umlackiert?

Streng wissenschaftlich gesehen spricht leider nicht viel für diese These der christlichen Patentrechte. Die ersten sicheren Hinweise für Karnevalsfeiern verweisen auf die Zeit des Hochmittelalters. Und es gilt als ausgeschlossen, dass eine direkte Traditionslinie von den vorchristlichen, antiken Festen über ein halbes Jahrtausend quasi im Untergrund der Volksbräuche durchgehalten werden konnte. Jedenfalls gibt es dafür keine Belege. Und seit die Nazi-Ideologen versuchten, das deutsche Brauchtum inklusive Karneval („Winteraustreibungsritual“) auf seine vermeintlich vorchristlich-germanischen Wurzeln zurückzuführen, reagiert man auf solche Theorien skeptisch bis ablehnend.

Und doch behaupte ich: Der Karneval gehört zum ältesten Menschheitsserbe überhaupt und ist damit weit älter als das Christentum. Schon in der Antike wurden Spielarten des Karneval gefeiert, und nicht zu knapp. Natürlich unter einer je eigenen Bezeichnung und im Kontext des jeweiligen kulturell-religiösen Bindungsgeflechtes. Und die Liste ist lang: Der Osiriskult in Ägypten, das Purimfest der Juden, die Dionysosfeiern der Griechen, das Semheim-Fest der Kelten, das Julfest der Germanen und vor allem natürlich die Feste der feiersüchtigen Römer mit ihren Kalenden, Luperkalien, Parentalien, und vor allem den Saturnalien.