Mission in Wunstorf: Kirche kapert Schule

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Screenshot igs-wunstorf.de

HANNOVER. (hpd) Die Evangelische Landeskirche in Niedersachsen jubelt: Dank enger Kooperation von Politik und Kirche gelang es vor kurzem, die Übernahme einer staatlichen Schule in Wunstorf vertraglich zu besiegeln. Verteidiger eines integrativen Schulkonzepts sehen den Gang vor die Gerichte als letzten Ausweg.

Der Bildungsauftrag soll künftig nach dem „Welt- und Menschenbild“ der Kirche verwirklicht werden, freut man sich. Initiatoren der früheren Gründungsinitiative und säkulare Beobachter sind über diese Entwicklung entsetzt.

Am 21. Februar 2011 unterzeichneten der Bürgermeister von Wunstorf, Rolf-Axel Eberhardt, und Burkhard Guntau, Präsident des Landeskirchenamtes Hannover, einen Vertrag zur Übernahme der IGS Wunstorf in eine Trägerschaft der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover. Die Befürworter der Übernahme im Stadtparlament werben mit einem verbesserten Schulangebot. Die Kritiker widersprechen und wollen die Übernahme um jeden Preis verhindern.

„Ich habe nichts gegen die evangelische Kirche“, betont Ralfina Dicker. In Wunstorf sieht man Dicker als „Motor“ der Gründungsinitiative für die Integrierte Gesamtschule, welche im vergangenen Jahr ihre Pforten öffnete. Zweieinhalb Jahre hat sie gemeinsam mit anderen Eltern für diese Schule gekämpft. „Aber in Schulen ist das Thema Kirche für mich eine ganz andere Nummer“, erklärt sie weiter. „Ich werde nicht akzeptieren, dass die evangelische Kirche jetzt die IGS Wunstorf kapert.“

Aus ihrer Sicht steht das gesamte Integrationskonzept auf dem Spiel, sollte die Übernahme tatsächlich gelingen. Statt sich nun über den Erfolg ihrer Arbeit der vergangenen Jahre freuen zu können, muss sie Unterstützer für eine Fortführung in staatlicher Trägerschaft zusammentrommeln.

Einer ihrer ursprünglichen Gegner war die hiesige CDU, welche das Rathaus mit Hilfe von Parteimitglied Rolf-Axel Eberhardt regiert. Noch im März 2009 hatte sich die Kirchenpartei, die derzeit 40 Prozent der Sitze im Stadtrat besetzt hält, gegen die von Ralfina Dicker geplante Integrierte Gesamtschule in kommunaler Trägerschaft ausgesprochen.

Politiker gegen Eltern

Aber eine daraufhin initiierte Elternbefragung ergab ein klares Votum für dieses Vorhaben. Kaum genehmigte im Februar 2010 das Bildungsministerium die Schulgründung, trat die evangelische Kirche auf den Plan und verkündete ihr Interesse an einer Übernahme der Trägerschaft. Inoffiziell wird behauptet, der Bürgermeister hätte den Kontakt zur Kirchenführung gesucht.

„Plötzlich gab es eine richtige Kampagne, auch in den Lokalmedien“, berichtet Ralfina Dicker. Kirchenvertreter im Klerus und der Kommunalpolitik wussten, dass die Angelegenheit schnell über den Tisch gehen muss, um überraschte Kritiker zu überrumpeln. Dicker: „Zunächst sollte es noch einen Runden Tisch geben, um die veränderte Situation zu erörtern.“

Doch innerhalb eines Monats wurde ein Beschluss durch das Kommunalparlament gepeitscht, am 17. März 2010 stimmte der Stadtrat für die Übergabe der Schule in kirchliche Trägerschaft. Lediglich drei von 40 Abgeordneten stimmten gegen den Vertrag mit der evangelischen Kirche. Unter den Ja-Stimmen gab es auch Befürworter von Dickers ursprünglichem Gesamtschulkonzept.

„Für mich zählten vor allem inhaltliche Gründe“, so Albert Schott. Er stimmte für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat für die Schulübernahme. „Grundsätzlich stehe ich der Kirche kritisch gegenüber, aber hier sah ich keine andere Möglichkeit.“ Das Votum für die Kirchenschule in Wunstorf sei für ihn die schwierigste Entscheidung der letzten Jahre gewesen.

Eine Oberstufe und das verpflichtende Ganztagsangebot werden nur in kirchlicher Trägerschaft möglich, erklärt er eine Position der Befürworter. Als wichtiges Argument gilt für ihn auch der geplante Musik- und Förderunterricht, mit dem privat zu finanzierender Nachhilfeunterricht entfallen könne. Schließlich weist er daraufhin, dass die Kirche ein Mensakonzept gefordert hat, was er sehr begrüßt.

Kirchenbeitrag „läppisch“

Beim Thema Finanzierung hält sich die Kirche allerdings soweit wie möglich zurück. Bisher sind rund 14,5 Millionen Euro für den Umbau der Schule geplant, deren Gebäude bisher noch weitere auslaufende Schulen beherbergt. Diese Kosten trägt die Stadt Wunstorf. Nur 1,4 Millionen braucht die Kirche zuschießen.

Kritiker der Schulübernahme stufen diesen Betrag als „läppisch“ ein, darunter auch Vertreter einer türkischen Elterninitiative und der türkischen Gemeinde in Wunstorf. Die Stadt hat sich ihren Willen teuer erkauft, heißt es. „Fast zum Nulltarif“ lasse sich die Landeskirche ihre zukünftige Schule finanzieren, trotz eigener Pläne zum Bau eines Andachtsraums, der Errichtung einer Oberstufe und der Forderung nach Schulgeld.

Die politischen und rechtlichen Strukturen in der Landespolitik unter der Ägide von CDU und FDP machen vergleichbare Rahmenbedingungen für Integrierte Gesamtschulen in freier Trägerschaft nicht möglich. Auch vergleichbare staatliche Schulen sind während der nächsten Jahre nicht nur für Albert Schott unwahrscheinlich. „Ich wollte aber jetzt eine optimale IGS“, erklärt er deshalb sein Votum. Und gleichzeitig meint er, dass er die zukünftige Kirchen-IGS selbst nicht für modellhaft hält.

„Die Kirche bringt die Oberstufe mit“, stellte auch Ralfina Dicker fest. Die jetzigen Landesgesetze und finanziellen Anforderungen machen das für andere Schulgründungen unmöglich. Auch für Vertreter der Politik abseits von Kirchenpartei und für viele Einwohner von Wunstorf ist das ein stichhaltiges Argument.

Die Grundlage der vorteilhaften Situation bilden auch Konkordate zwischen Land und katholischer Kirche. Johannes Haupt war viele Jahre als Verwaltungsbeamter in Niedersachsen beschäftigt, vertritt in Hannover die Humanistische Union. „Ursprünglich war der katholischen Kirche die Trägerschaft von Volksschulen garantiert. Diese wurden durch Hauptschulen abgelöst, welche dann wiederum als Auslaufmodell endeten.“

Nach und nach wurde der katholischen Kirche das Recht auf die Einrichtung von Realschulen und Gymnasialstufen eingeräumt. Zwar ist noch ein Sechstel der Bevölkerung Niedersachsen dort Mitglied, zu den Konfessionsfreien im Land gehören mittlerweile doppelt so viele Menschen wie zu den Anhängern von Benedikt XVI. – die Vorrechte bleiben unangetastet.