Lasst uns was verändern!

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Frau Kofbinger (r.) debattiert über Frauenrechte / Fotos: Töns Wiethüchter

BERLIN. (hpd) Die Politikerin Anja Kofbinger (Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, Bündnis 90/Die Grünen) stellt sich zum 100-jährigen Jubiläum des Internationalen Frauentags den Fragen zweier Schulklassen der Richard-Grundschule in Neukölln.

Unterricht ohne Arbeitsblätter und Texte, dafür mit vielen Fragen an die Politikerin steht am 10.03. ab 8 Uhr morgens auf dem Stundenplan. Die Schüler und Schülerinnen der Richard-Grundschule sind gut vorbereitet und neugierig. Nicht oft verirrt sich eine Politikerin in die Richard-Grundschule. „Ich wollte etwas verändern“, antwortet Frau Kofbinger auf die Frage der Lebenskundeschüler, warum sie denn Politikerin geworden sei. Offen spricht sie darüber, wir zornig sie sei, wenn Kinder sich auf dem Schulhof mit „du schwule Sau“ beschimpften. Und sie erntet betretenes Schweigen.

Vorausgegangen waren zwei Parlamentsbesichtigungen, nach denen die grüne Politikerin die Schülerinnen und Schüler zum einem offenen Gespräch in einen Konferenzraum einlud. Beim Gegenbesuch in der Schule steht das Jubiläum des Weltfrauentags im Vordergrund. Der Frauentag sei als Symbol wichtig, „dafür, dass wir immer noch für die Rechte der Frauen kämpfen müssen“, stellt Anja Kofbinger vor der Gruppe der Lebenskundeschüler und –schülerinnen fest. Die Kinder haben ein gutes Gespür für geschlechtsspezifische Diskriminierungen. Manche der Schülerinnen der Richard-Grundschule dürfen ohne Begleitung eines Familienmitglieds nicht einmal das Haus verlassen, um ihre Freundinnen zu besuchen.

Und doch: Ging es zu Zeiten Clara Zetkin noch um fundamentale Dinge wie das Frauenwahlrecht und die freie Berufswahl, droht sich heute die Relevanz des Frauentags zu verlieren. Jedes Jahr wird über den Stand der Emanzipation und den Grad an Diskriminierung, dem Frauen aufgrund ihres Frauseins ausgesetzt sind, gestritten. Die aktuelle Debatte, ob es eine Frauenquote bei der Besetzung von Arbeitsstellen geben müsse, um Ungerechtigkeiten auszugleichen, spricht eine deutliche Sprache: Haben wir nicht eine Bundeskanzlerin? Sind nicht einige und nicht nur ministeriale Schlüsselstellen der Gesellschaft von Frauen besetzt? Sind nicht mehr als die Hälfte der Studierenden in Deutschland weiblich? Bräuchten wir angesichts der schlechteren Leistungen nicht eher ein Jungen- statt eine Mädchenförderung an den Schulen?

Die Ziele der Frauenrechtlerinnen von einst scheinen erreicht zu sein. Keine Frau muss mehr ihren Mann um Erlaubnis bitten, um einen Beruf ausüben zu können. Und dennoch: Jenseits aller Meinungsverschiedenheiten lässt sich ein Faktum nicht wegdiskutieren, das geradezu als Indikator für die Diskriminierung von Frauen gelten kann: Der eklatante Unterschied zwischen den Gehältern von Frauen und Männern. Lohnunterschiede sind noch kein Lohndiskriminierung. Doch alle Studien und Forschungen belegen, dass Frauen, selbst wenn man alle Effekte abzieht, die auf unterschiedliche Ausbildungsniveaus, Berufserfahrungen und Ähnliches zurückzuführen sind, entscheidend weniger verdienen. Die meisten Studien sprechen von etwa einem Viertel.

25 % weniger Lohn für die gleiche Arbeit? Ein Skandal.

„Gleicher Job - 1000 Euro weniger“, so eine Überschrift in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Diese Einkommenslücke nennt man gender-pay-gap. Manche behaupten, dass ungefähr 40 % der Lohnlücke auf geschlechtliche Diskriminierung zurückzuführen seien. Die Ursachen sind vielfältig und schwierig zu belegen. Doch vielleicht wird der neue Posten eben doch lieber an den männlichen Kollegen vergeben - Frau könnte ja schwanger werden und sich der Familie widmen wollen. „Die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern wird ab dem Alter von 30 Jahren, das mit der Familiengründungsphase der meisten Paare zusammenfällt, plötzlich größer“, schreibt Tina Groll in der Zeit. Auch der Ausbau der Kindergartenplätze nützt nicht so viel, wenn diese wiederum fast ausschließlich von Frauen betrieben werden, die schlecht bezahlt ihrem Job nachgehen.

Die Frauen drohen einer Lebenslüge aufzusitzen: Jede Frau könne es schaffen, Familie und berufliche Karriere derartig in Einklang zu bringen, dass weder das eine noch das andere beeinträchtig werde. Du kannst, wenn du willst!
Das Leistungsprinzip, nach dem jeder für sein eigenes Unglück verantwortlich ist, ist längst organisierendes Element des Familienlebens geworden. Die Zeit, die man mit den Kindern verbringt, wird zur „Qualitätszeit“ verkümmert: Es kommt nicht darauf an, wie viel, sondern auf welche Weise Frau ihre Zeit mit den Kindern verbringt, so kann man das Prinzip zuspitzen. Das ist eine hoffnungsfrohe Botschaft aus dem Kernland des Yes-we-can-Slogans: Der Spagat zwischen Familie und Beruf ist zu schaffen.
Oder doch nicht? Irgendjemand muss den Preis bezahlen. Ist es die berufliche Weiterentwicklung, wird die Frau als rückständiges Heimchen verspottet: selber Schuld!
Leidet das Familienleben, so ist das Urteil „Rabenmutter“ schnell zur Hand.

Beispielbild
Lebenskundegruppe mit Anja Kofbinger und Frau Navissi (Lebenskundelehrerin

Du kannst, wenn du willst

Den Schülern und Schülerinnen der Richard-Grundschule sind Diskriminierung und Ungerechtigkeit ein Gräuel. Wenn sie könnte, wie sie wolle, wenn sie Ministerin wäre, „würde ich dafür sorgen, dass Frauen das gleiche Geld wie Männer kriegen“, so eine Schülerin. Eine andere wünscht sich, „dass Frauen mit Kopftuch überall arbeiten dürfen“.

Frau Kofbinger war sichtlich erfreut. Auch darüber, dass sich einige Kinder auf die Frage, ob sie denn gerne Politikerin oder Politiker werden wollen, meldeten. Auch sie würden gerne etwas verändern.

Töns Wiethüchter