Keine Macht den Doofen!

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Kernkraftwerk Fukushima 1 (screenshot TV-Bericht)

BERLIN. (hpd) Vor einigen Wochen schrieb Michael Schmidt-Salomon einen Artikel für das Lifestyle-Magazin „Mind“, in dem er neben „Religiotie“ auch „Ökologiotie“ und „Ökonomiotie“ als menschheitsgefährdende Wahnvorstellungen beschrieb. Angesichts der Vorgänge in Fukushima, die zeigen, wie sehr wir die Gefahren der Risikotechnologie „ökologiotisch“ verdrängen, ist der Artikel leider sehr aktuell geworden. Der hpd dokumentiert den Text in Auszügen.

Eigentlich sollte klar sein, dass eine Menschheit, die über Satelliten kommuniziert und das Atom spaltet, die dafür erforderliche Reife besitzen sollte. Doch davon sind wir weit entfernt! Einer der Gründe dafür liegt in der epidemischen Ausbreitung der „Religiotie“ („religiöse Idiotie“). Darunter verstehe ich eine selten diagnostizierte (wenn auch häufig auftretende) Form der geistigen Behinderung, die durch intensive Glaubensindoktrination vornehmlich im Kindesalter ausgelöst wird. Religiotie führt zu deutlich unterdurchschnittlichen kognitiven Leistungen sowie zu unangemessenen emotionalen Reaktionen, sobald es um glaubensrelevante Sachverhalte geht – etwa um das Anerkennen der empirischen Belege der Evolutionsbiologie.

Religiotie ist sicherlich die am leichtesten zu erkennende Form einer weltanschaulich bedingten, partiellen Denkschwäche. Andere Varianten dieses Syndroms sind weniger offensichtlich, politisch jedoch nicht weniger bedeutsam: etwa die „Ökonomiotie“ („ökonomische Idiotie“) oder die mit ihr eng verwandte „Ökologiotie“ („ökologische Idiotie“). Uns ist es doch tatsächlich gelungen, ein Finanzsystem zu etablieren, das soziale Spannungen automatisch verstärkt, indem es Reiche fast zwangsläufig reicher und Arme ärmer macht. Darüber hinaus haben wir eine Wirtschaftsform entwickelt, die ökonomischen Wohlstand über die Produktion ökologischer Katastrophen erkauft, welche jeglichen Wohlstand in der Zukunft zunichtemacht. Intelligent ist das sicher nicht! Bei genauerer Betrachtung fragt man sich wirklich, wer das intelligentere Lebewesen ist: die gemeine Ameise oder der Mensch? Immerhin übersteigt die Biomasse der Ameisen die Biomasse der Menschen um ein Vielfaches. Und obwohl die Ameisen Tag für Tag wie die Weltmeister produzieren und konsumieren, gibt es bei ihnen weder ein Überbevölkerungs- noch ein Müllproblem. Offensichtlich verstehen es die Ameisen, intelligenter zu wirtschaften als jene stolze Primatenart, die sich in ihrem Hang zur Selbstüberschätzung einst die Bezeichnung „Der weise Mensch“ („Homo sapiens“) gab.

Das heißt nicht, dass wir Menschen prinzipiell zu dumm wären, Produktion und Konsumtion intelligenter zu gestalten. Schon lange liegen Konzepte vor, die zeigen, wie wir vernünftiger mit unseren Ressourcen umgehen könnten. Es gibt auch Entwürfe für eine neue Ökonomie, die allen Menschen nützen würde – nicht bloß einigen wenigen Wohlhabenden, die mit ihrem exorbitant gestiegenen Reichtum in der Regel ohnehin nichts mehr anzufangen wissen. Doch werden diese Vorschläge aufgegriffen? Werden sie breit in den Medien und in der Politik diskutiert? Nein, das Gegenteil ist der Fall: Kaum ist eine Krise notdürftig überstanden, machen wir weiter, als sei nichts geschehen. Dass die anwachsenden Müllberge die Umwelt verpesten, dass die Rohstoffe zuneige gehen, dass weltweit Tag für Tag 30.000 Kinder unter fünf Jahren sterben müssen, scheint kaum jemanden zu interessieren.

Früher dachte ich, hinter dieser kolossalen menschlichen Verbohrtheit stünden mächtige Interessensgruppen, Lobbyisten, die sich in ominösen Hinterzimmern treffen und für den geheiligten Profit notfalls über Leichen gehen. Doch das ist, wenn überhaupt, nur ein Nebenaspekt eines sehr viel größeren Problems: So anregend und subjektiv entlastend es sein mag, anzunehmen, dass die Geschicke der Menschheit von einem Grüppchen finsterer Verschwörer gelenkt wird, in Wahrheit steckt hinter der ganzen Misere eine einzigartige, gigantische, weltumspannende RIESENBLÖDHEIT!

Wenn es denn so etwas wie „die Matrix“ gibt, dann speist sie sich vornehmlich aus dem „betörenden Glanz der Dummheit“, den Esther Vilar schon vor Jahren eindrucksvoll beschrieben hat. Und unser Wahnsinn hat System: Von Kindesbeinen an werden wir systematisch in das jeweils vorgegebene kulturelle Wahnsystem hineinsozialisiert. So erzählt man Schulkindern hierzulande schon ab der 1. Klasse den naiven „Backe-backe-Kuchenmythos“ der biblischen Schöpfungsgeschichte, behält ihnen aber die damit im Widerspruch stehenden Erkenntnisse der Evolutionsbiologie vor. (Wenn überhaupt, werden Schülerinnen und Schüler in Deutschland erst im 10. Schuljahr mit dem Thema „Evolution“ konfrontiert, bis dahin haben sich kreationistische Vorstellungen längst in ihren Köpfen verankert.)

Während die Sozialisation in die Religiotie leicht zu durchschauen ist, geht die kulturelle Übertragung von Ökonomiotie und Ökologiotie subtiler vonstatten, beispielsweise über den „heimlichen Lehrplan“ unserer Bildungsinstitutionen: Wer in der Schule oder im Studium gelernt hat, Vorgegebenes nicht etwa kritisch zu hinterfragen, sondern im Austausch gegen gute Noten wortgetreu wiederzugeben, der wird später bei entsprechender Entlohnung sicherlich keine Bedenken haben, Chips zu entwerfen, die Drucker nach Ablauf der Garantiezeit funktionsunfähig machen (ein sehr beliebtes Verfahren!), oder „kreative Finanzwerkzeuge“ zu entwickeln, die Abertausende von Menschen in den finanziellen Ruin stürzen (nicht minder beliebt!). Dabei kann man es weder dem Lehrer noch dem Schüler, weder dem Ingenieur noch dem Banker vorwerfen, dass sie tun, was sie tun: Schließlich agieren sie ja innerhalb der Sachzwänge des Systems durchaus rational – irrational erscheint ihr Verhalten erst, wenn man das System von außen betrachtet, was jedoch kaum jemand tut.

Leider gibt es – anders als im Film – keine „rote Pille“, die wir schlucken könnten, um aus der wahnhaften Matrix auszusteigen. Es bedarf mühsamer Arbeit, auch nur einen Teil der in unsere Köpfe eingepflanzten Mythen zu überwinden. (Glauben Sie nicht, der Verfasser dieser Zeilen sei frei von solchen Wahnvorstellungen!) Wir alle sind Gefangene der kulturellen Matrix, in die wir hineinsozialisiert wurden. Aber: Wir haben durchaus die Chance, uns hin und wieder von einigen dieser Wahnvorstellungen zu befreien. Wir können sehr wohl lernen, falsche Ideen sterben zu lassen, bevor Menschen für falsche Ideen sterben müssen. Und natürlich können wir auch die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft unter Druck setzen, die Realitäten endlich wahrzunehmen, statt vor ihnen zu flüchten, die globalen Probleme an der Wurzel anzupacken, statt sie zu verdrängen.

„Keine Macht den Drogen!“ ist ein guter Slogan, wenn er nicht im Sinne eines puritanisch-religiotischen Abstinenzlertums verstanden wird. „Keine Macht den Doofen!“ wäre allerdings ein noch viel wichtiger Slogan, wenn wir „aufrechtgehenden Affen“ unsere ökologische Nische auf diesem Staubkorn im Weltall erhalten möchten. Die biologische Evolution hat uns mit einem erstaunlich wandlungsfähigen Denkapparat ausgestattet. Wir sollten beginnen, ihn auf intelligentere Weise zu nutzen.