Endlich: Kein Kreuz mehr mit dem Kreuz

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Kreuze als Touristen-Souvenirs in Jerusalem / Fotos © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Zur Überraschung vieler Säkularer haben zwei höchstrichterliche Entscheidungen in Europa den Kirchen ein grundsätzliches Problem beschert. Der Markenschutz für das christliche Kreuz als religiöses Symbol ist in Europa nun seit März 2011 endgültig abgelaufen und damit inhaltlich bedeutungslos geworden.

Die Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte haben mit ihrer Entscheidung vom vergangenen Freitag einen Riesenschritt zur Bestätigung der weit fortgeschrittenen Säkularisierung Europas getan, indem sie die Klage einer Frau aus Italien in zweiter Instanz, und damit rechtsverbindlich, ablehnten. Was zuerst so aussah, als haben die Frau (und ihre beiden mitklagenden Söhne) verloren, ist tatsächlich ein Triumph, denn das christliche Kreuz ist nun höchstrichterlich in Europa kein geschütztes religiöses Symbol mehr.

Noch 1995 hatte das Bundesverfassungsgericht für Deutschland eindeutig entschieden: „Die Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, verstößt gegen Art. 4 Abs. 1 GG.“

Dazu hatte es erläutert: a) “Zusammen mit der allgemeinen Schulpflicht führen Kreuze in Unterrichtsräumen dazu, daß die Schüler während des Unterrichts von Staats wegen und ohne Ausweichmöglichkeit mit diesem Symbol konfrontiert sind und gezwungen werden, ‚unter dem Kreuz’ zu lernen.“ b) „Das Kreuz ist Symbol einer bestimmten religiösen Überzeugung und nicht etwa nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur.“ und c) „Dem Kreuz kann auch die Einwirkung auf die Schüler nicht abgesprochen werden, wie das die angegriffenen Entscheidungen tun.“

Auch wenn dieses Urteil keine allzu große praktische Bedeutung bekommen hat, so bewertete auch 2009 die erste Instanz (Kleine Kammer) des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das Kreuz als religiöses Symbol, dass die Wertneutralität des Staates und das damit verbundene Bildungsrecht der Schüler in staatlichen Schulen verletze.

Ein medialer und politischer ‚Aufschrei’ ging nach diesem Urteil insbesondere durch Italien, Österreich und Bayern. Die Republik Italien war dann in Berufung gegangen, angeblich auf Drängen des Monarchen einer mittelalterlichen Wahlmonarchie mitten in Rom, einem, geographisch gesehen, noch nicht einmal ‚Zwergstaat’, der in den vergangenen Jahren eher durch Geldwäsche für die Mafia und Vertuschen von Straftaten seiner Mitarbeiter bekannt geworden ist. Und Italien selbst? Angeblich katholisch hat es eine der niedrigsten Geburtenraten in Europa und einen Ministerpräsidenten, der wohl kaum im Verdacht steht, nach vorgeblicher christlicher Moral zu leben und zu handeln.

Bedeutungsverbiegung des Kreuzes

Die Vertreter Italiens hatten argumentiert, dass ein Kruzifix nicht nur ein religiöses Symbol sei, sondern so sei, wie es das Oberste Verwaltungsgericht Italiens ausgeführt hatte: „Mit dem Vorteil der Nachbetrachtung ist es einfach zu erkennen, dass zu den Konstanten der zentralen Glaubensinhalte des christlichen Glaubens, abgesehen von der Inquisition, abgesehen des Antisemitismus und abgesehen von den Kreuzzügen, die Prinzipien der Menschenwürde, Toleranz und Freiheit, einschließlich der Religionsfreiheit, gehören und deshalb letztendlich auch die Begründung des säkularen Staates darstellen.“

Mit einer derartigen Fähigkeit, von der Verachtung der Menschen, von Grausamkeiten, Intoleranz, Gewalt und Völkermorden ‚abzusehen’, kann man den kläglichen Rest dann wahrlich als positiv betrachten.

Die italienische Regierung und das Verhalten des Noch-nicht-einmal-Zwergstaats darin betrachtend, musste der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu eben dem Schluss kommen, dass es stimmt, was die obersten Gerichte des Landes geurteilt hatten und was nun auch für das übrige Europa gilt: Das Kreuz ist zwar ein christliches Symbol, aber es ist ein passives Symbol („essentially passive symbol“) und hat damit keinerlei inhaltliche Konsequenzen mehr.

Der Verfassungsgerichtshof Österreichs, der parallel dazu argumentierte und sich vermutlich vorher bei den Kollegen des EGMR in Straßburg erkundigt haben wird – zu ähnlich ist die Argumentation -, hatte in seinem Urteil über die Zulässigkeit von Kreuzen in Kindertagesstätten Niederösterreichs u.a. geschrieben: „Angesichts dessen ist im gesetzlichen Gebot der Anbringung eines Kreuzes in Gruppenräumen von Kindergärten keine Äußerung des Staates zu erblicken, mit der er die Präferenz für eine bestimmte Glaubensüberzeugung zum Ausdruck bringen möchte.
Vor diesem Hintergrund vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu erkennen, dass der bloße Anblick eines Kreuzes die Pflicht begründen könnte, gegenüber diesem Zeichen der Ehrerbietung oder religiöse Handlungen zu setzen, (…) und „dass eine Einflussnahme durch den Anblick eines Kreuzes auf die religiöse oder nicht religiöse Einstellung eines Kindes im Kindergartenalter nicht angenommen werden kann.“

Bedeutungslosigkeit des Kreuzes

Also, im Angesicht eines Kreuzes sind weder traditionelle Ehrerbietung noch religiöse Handlungen zwingend erforderlich.

Diese Bedeutungslosigkeit des Kreuzes entspricht auch den Meinungen der aktuellsten Umfrage im katholischen Österreich, in der von allen Befragten nur 1 % das Kreuz mit der katholischen Kirche assoziierten.

Der Europäische Gerichtshof ist mit seiner Entscheidung der Argumentation gefolgt, wie sie auch vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken vorgetragen wurden. Das Kreuz sei war primär das zentrale Symbol des Christentums, aber es sollte eher als ein passiver Weg betrachtet werden, mit dem grundsätzliche moralische Werte transportiert würden (…, it should be rather be interpreted as a passive way of conveying basic moral values“), denn die Kreuze in staatlichen Schulräumen bedeuteten nicht, dass sie das Ziel einer nach Artikel 2 der Europäischen Menschrechtskonvention verbotenen Indoktrinierung hätten („…did not mean that it pursued an aim of indoctrination prohibited by Article 2 of Protocol 1.) Und man möge deshalb jedem Land gestatten, es so zu tun, wie es traditionell gehandhabt wird.