WIEN / HAMBURG / BERLIN. (hpd) Wird die "gefährliche und schwere Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen" zu einem Alltagsdelikt? Der Korrespondent des hpd in Wien wurde vor ein paar Tagen zusammengeschlagen. Ohne Grund, unvermutet. Ist Wien in dieser Hinsicht eine Ausnahme? Der hpd hat nachgefragt.
"Gefährliche und schwere Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen" ist in Deutschland der Suchbegriff der Kriminalstatistik, wenn in der Öffentlichkeit ein Mensch von anderen attackiert und schwer verletzt wird.
Genau den Monat, in dem der Überfall in Wien passierte war, können wir nicht vergleichen, denn "unterjährig", so die Polizeibehörde in Hamburg, werden keine Zahlen veröffentlicht. Schauen wir auf das Jahr 2010.
Berlin erfasste 4.529 Straftaten in dieser Rubrik, Hamburg registrierte 3.834 Straftaten und ruft die Bevölkerung unter dem Tenor "Zivilcourage 2011 - Hinschauen statt Wegschauen" am 8. und 9. September 2011 zu einer Aktionsveranstaltung auf den Hamburger Rathausmarkt. In Wien nennt das Statistische Jahrbuch rund 14.000 Fälle von Körperverletzung, wobei rund 900 auf "Raufhändel" entfallen. Von den Dunkelziffern der nicht angezeigten Fälle ganz zu schweigen.
Die spektakulären Fälle, wenn ein Mensch totgeschlagen wird oder ins Koma fällt, finden ihren Weg in die Medien und werden auch abgeurteilt. Was ist jedoch mit den Menschen, die diese Situation erleben und ‚glimpflich’ davon kommen? Der Korrespondent des hpd in Wien hat genau das erlebt. Hier sein Bericht.
Stützen des Vaterlands
Rechtsradikale haben mich vor ein paar Tagen in einer Hundezone im 21. Wiener Gemeindebezirk zusammengeschlagen. Ein weiterer Hundebesitzer wurde ebenfalls Opfer des unprovozierten Angriffs.
Das Hämatom auf meiner rechten Schulter wird wahrscheinlich erst in den nächsten Tagen ganz sichtbar sein. Die Polizeiärztin sagte mir heute morgen, dass es bis zu zwei Wochen zu sehen sein wird. Es wird die Größe und Form einer menschlichen Faust haben. Sie hat mich von oben getroffen, als ich am Boden lag. Zusammengekauert, hoffend, dass es möglichst schnell vorbeigeht.
Der Schuh, der mich mit schmerzhafter Wucht am Brustbein getroffen hat, in der gleichen Position, wird sich glücklicherweise nicht auf meiner Haut abzeichnen. Größeren Schaden am sensiblen Knochen dürfte der Tritt nicht angerichtet haben. Erstaunlich angesicht der Größe und des Gewichts des Angreifers. Ich bin froh, dass er quasi nur Nebenschläger war. Den Großteil der Schläge hat mir ein wesentlich schmächtigerer Mann beigebracht.
Der Hundebesitzer neben mir erwischt es nicht so gut. Er wurde von einem großen Mann bearbeitet. Der dritte Schläger im Bunde. Und wahrscheinlich einem vierten. Ich habe bei meinem Mitleidenden nach den Angriffen mehrere beginnende Hämatome am Kopf gesehen. Ich hoffe, es geht ihm gut. Ich habe ihn später nicht mehr gesehen. Er hat auf eine Anzeige verzichtet und sich nicht untersuchen lassen.
"Wir haben zu viele Kanaken bei uns"
Warum die Männer aufgehört haben, uns zu prügeln ist ebenso unklar wie warum sie überhaupt auf uns losgegangen sind. Wir wollten gerade die Hundezone verlassen. Unsere Hunde hatten sich dort gefunden und wir plauderten ganz nett. Wir hatten beschlossen, die Plauderei in der U-Bahn fortzusetzen. Kurz vor dem Ausgang auf einmal der Ruf: "Wir haben schon zu viele Kanaken bei uns" in unsere Richtung. Der Besitzer von Naomi (komisch: Hundenamen merkt man sich einfacher als Menschennamen) fragte zurück: "Meint ihr mich"?
Auf einmal waren wir umringt von mehreren Männern, die sich den ganzen Nachmittag über im Schatten eines Baumes in Eingangsnähe besoffen hatten. Der jüngste und schmächtigste Mitte oder Ende 20, die anderen eher um die 40. Typen, die eher an Motorradgangs erinnern. Einer trug auch eine Motorradjacke aus Leder, auf der "Wotan" stand.
Sie gestikulierten wild, pflanzten sich bedrohlich nahe vor uns auf. Ich wusste sofort: Die waren darauf aus, einzuschüchtern. Es folgten einige eher wirre Tiraden über die "Kanaken", die man umbringen sollte (oder so ähnlich) verbunden mit Drohungen, etwa in meine Richtung: "Wenn du nicht bald schleichst, stopf ich dir deine Sonnenbrille in den Arsch."
Deeskalation unmöglich
Ich denke, das war die Reaktion auf meinen Versuch zu beruhigen. "Wir wollen eh gehen, kein Grund, dass wir uns aufregen". Wer mich kennt, kann abschätzen, wie bedrohlich ich die Situation einschätzte. Rassistische Kommentare lasse ich normalerweise selbst bei Einschüchterung nicht unwidersprochen. Nur: bei einer Gruppe betrunkener und leider kräftiger Rechtsradikaler hat das keinen Sinn mehr.
Wir hatten den Ausgang noch nicht erreicht, als die ersten Schläge fielen. Meinen Begleiter, größer und kräftiger als ich, griffen sie zuerst und am härtesten an. Zu dritt. Ich fand mich auf einmal am Boden wieder und rappelte mich kurz wieder auf. Habe ich den Schmächtigen, der auf meinen liegenden Begleiter einprügelte, absichtlich heruntergerissen? Ist das unabsichtlich passiert, als ich unter einem neuerlichen Schlag zu Boden ging? Oder torkelte er einfach nur aufgrund seines Alkoholpegels herunter? Keine Ahnung. Es ging ziemlich schnell.
Nur die Schmerzen waren real
Wäre ich nicht von der Brutalität überfordert gewesen, eingeschüchtert von der Überzahl und wäre ich selbst ein wenig brutaler - der Schmächtige wäre der einzige gewesen, den ich schlagen hätte können, als er auf dem Boden lag. das wäre sich, denk ich, noch irgendwie ausgegangen. Zumindest hatte ich das Gefühl. Ich versuchte es nicht einmal. Und dann lag ich endgültig am Boden. In Fötalstellung. Der Versuch, die möglichen Verletzungen zu minimieren. Das alles zu überstehen. Wie in einem Traum. Als wäre ich neben mir. Nur die Schmerzen, die ich fühlte, waren real.
Die Flucht der Stützen des Vaterlands
Warum sie von uns abgelassen haben - wer weiß das schon. Vielleicht wurde ihnen langweilig. Vielleicht wurde es zu anstrengend. Ich vergewisserte mich, dass mein Begleiter noch lebte und zumindest nicht blutete - und flüchtete so schnell ich konnte. Die Hunde waren wohlauf und schwer verstört. Die Hunde der Angreifer hatten sie verwirrt und sie davon abgehalten, uns zu verteidigen.
Ich rief die Polizei von draußen an. Ich hatte offen gestanden Angst, sie würden wieder auf mich losgehen, wenn ich innerhalb der Hundezone telefonieren würde. Die selbst ernannten Stützen des Vaterlands ergriffen die Flucht, als sie das Handy an meinem Ohr sahen. Mutig verließen sie geschlossen die Hundezone durch den Hinterausgang.
Zeugen von der Brutalität überfordert
Die anderen Besucher waren nicht eingeschritten. Sie waren genauso von der Brutalität der Bande überfordert wie ich. Wenn in so einer Situation nicht zufällig die richtigen, beherzten Menschen zusammenkommen, hat man auch keine Chance, einem der Betroffenen zu helfen. Man wird bestenfalls selbst Opfer. Das kann man von niemandem verlangen.
Einige dürften überhaupt von den Männern eingeschüchtert gewesen zu sein. Mir haben danach mehrere Zeugen erzählt, die Bande terrorisiere die Hundezone seit längerem. Meistens mit rassistischen Pöbeleien und Drohungen. Einer, Gary genannt, soll seinen Hund auf das Kommando "Hol den Scheiß-Kanaken" trainieren. Die selbst ernannten Stützen des Vaterlands betrinken sich laut diesen Aussagen regelmäßig am Nachmittag, gelegentlich soll es zu Handgreiflichkeiten kommen.
Ich hatte bisher keine Möglichkeit, die Polizei zu fragen, warum sie dem Treiben kein Ende bereitet hat.