Der letzte Jäger und Sammler

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Martin Humer / Foto © Karl Linek

WIEN. (hpd) Österreichs christliche Fundi-Szene hat eines ihrer bekanntesten Originale verloren. Der als „Porno-Jäger“ bekannte Martin Humer ist am Sonntag an einem Herzinfarkt gestorben. Jahrzehntelang hatte er Künstlern, Homosexuellen und Andersdenkenden nachgestellt.

Österreichs vermutlich größtes Porno-Archiv hat am Sonntag seinen Besitzern verloren. Glaubt man Menschen, die bei Martin Humer zu Besuch waren, war seine gesamte Wohnung bis in den letzten Winkel voll mit Heften, Plakaten und jüngst wahrscheinlich auch DVD mit jenem Inhalt, der Humer sein ganzes Leben lang verfolgte: Tatsächliche oder vermeintliche Pornographie. Kaum jemand dürfte das Material so genau studiert haben wie der selbst ernannte Porno-Jäger. Niemand hat es mit so viel Akribie und Energie zusammengetragen. Und mit Sicherheit hat niemand so viele einschlägige Anzeigen erstattet.

Aus seiner Sicht und der seines Häuflein Anhänger war es ein Kampf gegen eine immer schlechter werdende Welt. Aus Sicht der Welt im besten Fall die Obsession eines skurrilen Fundamentalisten. Das gaben ihm zunehmend auch Österreichs Behörden zu verstehen. Seine Anzeigen wurden kaum mehr weiterverfolgt. Was Humer zu diversen offenen Beschwerdebriefen veranlasste. Hinter allem und jedem witterte er Pornographie. Gegen eine nackte Jesus-Statue in Innsbruck veranstaltete er eine Demonstration, eine Mozart-Statue in Salzburg beschädigte er. Es war nicht der erste Vandalismus-Akt gegen ein Kunstwerk. Der selbst ernannte Kulturbewahrer brachte es auf 22 Vorstrafen- Im Zweifelsfall griff der gelernte Fotograf zu Selbstjustiz um die Welt vor sich selbst zu schützen. Und vor allem gegen die Lockungen der Moderne.

Obsession mit nacktem Fleisch

Bei allen Unannehmlichkeiten, die das vor allem Künstlern bereitete, war die Obsession Humers mit nacktem Fleisch vermutlich die harmlosere Seite des christlichen Fundis. Seine „Christlich Soziale Arbeitsgemeinschaft“ war lange Kristallisations- und Identifikationspunkt militanter Gegner des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch und sonstiger katholischer Fundamentalisten. In einschlägigen Treffen wurde Humers Name mit Ehrfurcht genannt. Wenn auch zunehmend mit dem Einschub, ein bisschen Spinner sei er schon. Die Bewegung gruppierte sich um Human Life International und ihrem politischen Arm, der „Christen Partei Österreichs“ neu. Humer war mit von der Partie. Eine ideelle Führungsrolle dürfte ihm zuletzt nicht mehr zugekommen sein. Die Gesundheit des Oberösterreichs war angegriffen. Und dass er in den vergangenen Jahren unter Sachwalterschaft stand, dürfte sein Renommee selbst in diesen Kreisen wenig gehoben haben.

Mit den neuen, subtileren Methoden konnte er wenig anfangen. Wo HLI und Co in der Öffentlichkeit von „Lebensschutz“ sprechen, wettere er bis zuletzt gegen den „Babycaust“, die entsprechende Domain ist auf seine CSA registriert. Die verrohte Sprache kommt bei den sich moderner gebenden Fundis meist erst auf Nachfragen. Humer schleuderte sie einem entgegen. Zumindest auf der katholischen Brachialseite kreuz.net blieb er mit seinen Äußerungen salonfähig. Dort war er Co-Autor.

Für die Homosexuellen-Szene in Österreich blieb Humer bis kurz vor seinem Tod ein beinahe tägliches Ärgernis. So lange er konnte gab er seinem Hass Ausdruck. Tenor: Homosexualität sei eine Krankheit, die behandelt gehöre. Wie sehr seine Mobilisierungskraft geschwunden sein dürfte, zeigte sich im Vorjahr: Er wollte eine Demonstration gegen den Wiener Lifeball organisieren, die so doch nicht stattfand.

Wenig überraschend hatte er kaum Berührungsängste nach rechts: Im Vorjahr wurde er wegen Wiederbetätigung angeklagt. Er hatte die Existenz von Gaskammern geleugnet. Seine Thesen zur Zuwanderung, wie er sie auf seiner Homepage äußert, fallen unter die Kategorie wirr: „Vor Gott gibt es keine Ausländer! Wenn wir aber in Deutschland und Österreich zu dumm oder zu feig sind, das eigene Volk zu schützen, werden die „Fremden", die schon vor der Türe warten, die bereits beim „Fenster" hereinschauen, das Land besitzen. In der Natur herrscht ein Ausleseprinzip. Was für das Leben untauglich ist, scheidet aus. Übrigens, was sind das für verdorbene „Genossen", die ihre ungeborenen Genossen am Leben hindern, damit sie ja nicht das „Brot", den Lebensstandard, mit ihnen teilen müssen.“ (Hervorhebung im Original) – Was auch immer das heißen mag.

Für Medien blieb Humer DIE Galionsfigur der christlichen Fundis. Für provokante und verschrobene Sager war er immer gut. Ernst nehmen konnte angesichts dieses Sprechers das reaktionäre und aggressive Gedankengut niemand. Die starke mediale Personifizierung der Bewegung verstellte gleichzeitig den Blick auf die Neugruppierung der Szene und ihre Strategiewechsel. Weg von Originalen a la Humer, hin zu subtileren Methoden, die auf geänderte mediale Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Humers Methoden wirkten im Vergleich steinzeitlich. Oder, um eine Formulierung zu gebrauchen, die auch Fundis zugänglich ist: Vorsintflutlich. Jetzt, wo der Schatten des letzten Jägers und Sammlers der Rabiat-Katholiken gewichen ist, ist es vielleicht möglich, Licht in das Netzwerk der Fundis zu bringen, das sich in diesem Schatten entwickelte. Es wäre an der Zeit.

Christoph Baumgarten