Trug die Evolutionstheorie zur NS-Ideologie bei?

(hpd) Auf der Evolutionstheorie liegt ein Schatten: Die biologische Unterteilung der Menschen in Rassen und die Darwinschen Ideen über Selektion und den Kampf ums Dasein hätten Hitler und seinen Gefolgsleuten entscheidende Stichworte geliefert. Diese und ähnliche Vorbehalte sind bis heute nicht ausgeräumt und gerade bei der politischen Linken lässt sich ein generelles Misstrauen der Biologie gegenüber beobachten. Wie berechtigt sind diese Vorbehalte? (Teil 2)

Hier lesen Sie Teil 1

3) Rassenmischungen

„Das Ergebnis jeder Rassenkreuzung ist also, ganz kurz gesagt, immer folgendes:
a) Niedersenkung des Niveaus der höheren Rasse,
b) körperlicher und geistiger Rückgang und damit der Beginn eines, wenn auch langsamen, so doch sicher fortschreitenden Siechtums.
Eine solche Entwicklung herbeiführen, heißt aber denn doch nichts anderes als Sünde treiben wider den Willen des ewigen Schöpfers. […]
Indem der Mensch versucht, sich gegen die eiserne Logik der Natur aufzubäumen, […] muß sein Handeln gegen die Natur zu seinem eigenen Untergang führen.“ (Hitler 1925-27: 314)

Umgesetzt wurden diese Ideen Hitlers zunächst mit dem „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15. September 1935, das Ehe und Geschlechtsverkehr zwischen Juden und „Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“ verbot (‚Nürnberger Gesetze‘). In dem Gesetz wird unterstellt, dass eine Vermischung der so definierten ‚Rassen‘ schädlich sei und die „Reinheit des deutschen Blutes“ die „Voraussetzung für den Fortbestand des Deutschen Volkes“ bilde.

Was ist aus biologischer Sicht davon zu halten? Nichts! Die Ausführungen Hitlers und der Nürnberger Gesetze haben mit den biologischen Vorstellungen kaum mehr als oberflächliche sprachliche Anklänge gemein und widersprechen diesen sogar an zentralen Punkten.

Einen Hinweis gibt schon die Sprache der Nürnberger Gesetze. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es schwierig zu verstehen, was mit dem Ausdruck „deutsches oder artverwandtes Blut“ gemeint sein soll, eben weil es sich nicht um Begriffe aus der Medizin oder der Biologie handelt. Das Gesetz ist vielmehr Ausdruck einer Bluts-Mythologie, die sich aus religiösen Vorstellungen speist – man denke nur an die kultische Verehrung des Blutes im Christentum – sowie aus verschiedenen vorwissenschaftlichen Konzepten von Verwandtschaft und Elite, wie sie sich in den Vorstellungen von Blutrache, Blutsverwandtschaft oder dem ‚blauen’ Blut der Adligen niedergeschlagen haben.


Abb. Das Schema diente zur Verdeutlichung der Nürnberger Gesetze und sollte an Erbgänge in der Genetik erinnern. Durch die Farbgebung (schwarz/weiß) werden fundamentale Unterschiede suggeriert, für die es keine sachliche Basis gibt.

Die dem Gesetz zugrundeliegenden Ideen, dass Rassenmischungen schädlich seien und die Reinheit einer Rasse einen hohen Wert hat, stehen sogar in vollem Widerspruch zu den Erkenntnissen der Biologie. Abgesehen von der Tatsache, dass man in Bezug auf die Bevölkerung Deutschland nicht sinnvoll von einer Rasse sprechen kann, waren die Nachteile der Inzucht und die Vorteile von Rassenmischungen aus der Züchtung von Haustieren seit langem wohl bekannt.

Um diese offensichtlichen Widersprüche zu kaschieren und einen nicht-existenten ‚Trieb zu Rassenreinheit‘ zu beweisen, greift Hitler zu einem Bauerntrick. Er schreibt: „Die Folge dieses in der Natur allgemein gültigen Triebes zur Rassenreinheit ist nicht nur die scharfe Abgrenzung der einzelnen Rassen nach außen, sondern auch ihre gleichmäßige Wesensart in sich selber. Der Fuchs ist immer ein Fuchs, die Gans eine Gans“ (Hitler 1925-27: 312). Fuchs und Gans sind aber keine unterschiedlichen Rassen, sondern Arten. Was für Arten gilt, muss für Rassen noch lange nicht zutreffen und umgekehrt.

Definitionsgemäß handelt es sich bei Arten um reproduktiv getrennte Gruppen, bei Rassen (Populationen) ist dies eben gerade nicht der Fall. Aus der Tatsache, dass Füchse oder Gänse keine fruchtbaren Nachkommen mit anderen Arten haben, lässt sich keine Aussage darüber ableiten, ob und wie sich beispielsweise die zahlreichen Unterarten des Rotfuchses unter natürlichen Bedingungen vermischen.

Wendet man das Hitler‘sche Argumente auf die Menschen an, wird deutlich wie unsinnig es ist: Da die Menschen als Art scharf von der nächstverwandten Art (den Schimpansen) abgegrenzt sind, soll es auch beispielsweise zwischen Europäern und Asiaten scharfe Grenzen geben. Letzteres ist aber eindeutig nicht der Fall. Warum gibt es eindeutige Artgrenzen zwischen Menschen und Schimpansen, aber keine Abgrenzung zwischen den verschiedenen Populationen beim Menschen?

Abb. Stammbaum der afrikanischen Menschenaffen in Millionen Jahren (Abb. Junker 2008)

Hierbei handelt es sich nicht um eine moralische oder politische, sondern um eine empirische Frage, deren Beantwortung davon abhängt, wie lange die einzelnen Gruppen getrennt waren. Bei Menschen und Schimpansen geht man von 5 bis 7 Millionen Jahren aus. In dieser Zeit haben sich genetische Unterschiede angehäuft, die dazu führen, dass die sexuellen Signale, die körperlichen Voraussetzungenund das Erbmaterial nicht mehr zu einander passen und weder sexuelle Reaktionen auslösen noch lebensfähige Nachkommen ermöglichen.

Wie unterschiedlich sind nun die Populationen beim Menschen, wie groß ist das Ausmaß der genetischen Divergenz? Neuere genetische Untersuchungen haben gezeigt, dass alle heute lebenden Menschen von einer gemeinsamen Vorfahren-Population abstammen, die vor rund 200.000 bis 100.000 Jahren lebte. Evolutionär gesehen ist dies ein relativ kurzer Zeitraum und so erklärt sich die Tatsache, dass die heute lebenden Menschen trotz ihrer äußeren Unterschiede genetisch gesehen erstaunlich homogen sind. Zusammenfassend kann man sagen, dass zwischen Menschen und Schimpansen ein rund 40mal größerer genetischer Abstand besteht als zwischen den heute lebenden Menschen (Junker 2008).

Abb. Stammbaum der Gattung Homo (Mensch) in Millionen Jahren (Abb. Junker 2008)

All dies war in den 1920er und 1930er Jahren noch nicht bekannt, aber die Hitler‘schen Thesen waren auch mit dem damaligen biologischen Wissen unvereinbar. Ein Beispiel mag hier genügen: Im Jahr 1935 schrieb der Evolutionsbiologe Bernhard Rensch in bewusster Ablehnung der offiziellen Rassenideen, dass beim Menschen „Rassenbastarde luxurieren“ können, d.h. sich durch besondere Größe und Vitalität auszeichnen (Rensch 1935: 330). Dass Rensch mit seiner Richtigstellung gegen die geballte Macht der Staatspropaganda wenig ausrichten konnte, ist bedauerlich, kann ihm aber nicht zum Vorwurf gereichen.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass es für die von der NS-Ideologie behauptete Schädlichkeit von Mischungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen (Populationen, Rassen) nicht nur keine wissenschaftlichen Belege gab und gibt, sondern dass sie den schon damals bekannten biologischen Tatsachen widersprach. Weder bei Menschen noch bei anderen Tieren gibt es einen ‘Trieb zur Rassenreinheit’ oder eine ‘scharfe Abgrenzung der einzelnen Rassen’.