BERLIN. (hpd/lsvd) Dr. theol. habil. David Berger, früher Herausgeber der Zeitschrift „Theologisches“, mit einer Professur an der Päpstlichen Akademie des Heiligen Thomas von Aquin, kommentiert die Rede des Papstes im Deutschen Bundestag. Auffallend ist das Unverständnis darüber, was der Papst verklausuliert tatsächlich gesagt hat.
„Die Rede Papst Benedikts XVI. im Bundestag hat quer durch fast alle Parteien und Medien sehr schnell großen Zuspruch gefunden. Man zeigte sich erleichtert, dass der Papst nicht durch antisemitische, homophobe oder frauenfeindliche Thesen aufgefallen und ganz im akademisch-ruhigen Ton theoretischer Erwägungen geblieben ist.
Auf der Basis dieser Erleichterung blieb eine kritische Sicht auf die vom Papst in den Mittelpunkt gestellte klassische Naturrechtslehre weithin aus oder sie wurde gar völlig falsch als Plädoyer für die ökologische Bewegung interpretiert. Die Rede war alles andere als das. Sie war eine große Apologie für das klassische, vormoderne Naturrecht, das die Basis aller politischen Entscheidungen sein muss - und zwar jenseits aller demokratischen Meinungsfindung. Dabei wurde bewusst mit dem sehr weiten Begriff des Naturrechts gespielt, der - wie der Begriff "Natur" auch - äußerst dehnbar ist. So ist allbekannt, dass etwa das antike Naturrecht, dass der Papst hoch leben lässt, die Sklaverei als im Naturrecht verankert sieht.
Mittelalterlich-frühneuzeitliche Naturrechtslehre
Dass diese mittelalterlich-frühneuzeitliche Naturrechtslehre, die heute kein ernst zu nehmender Wissenschaftler mehr vertritt, für Benedikt die wichtigste Argumentationsbasis in fast allen heiß umstrittenen Fragen ist, hat offensichtlich keiner bemerkt: die Minderbewertung der Frau in der Kirche, die Ächtung der Homosexuellen, die Verteufelung der künstlichen Verhütungsmittel usw. So wird besonders im Bereich der Homosexualität vom Papst und anderen kirchlichen Dokumenten immer wieder deren Widernatürlichkeit unterstrichen. Die Berufung auf das Naturrecht bildet sogar die Basis nicht mehr nur praktizierte Homosexualität, sondern sogar die Veranlagung strikt abzulehnen: Schon die homosexuelle Veranlagung ist für den Papst etwas, was gegen die von Gott ursprünglich gewollte Natur steht (Licht der Welt, 180). Dass diese in staatlichen Zusammenhängen nicht mit der Bibel, sondern mit dem Naturrecht begründet wird, macht die Sache umso gefährlicher. Denn dieses vom Papst postulierte Naturrecht ist nicht demokratischen Abstimmungen anheim gegeben und völlig unabhängig von religiösen Bekenntnissen. Es bindet alle Menschen und Völker aller Zeiten vor jeder demokratischen Abstimmung. Wo ein Staat sich nicht an diese von Benedikt favorisierte Rechtsbasis hält und z.B. gleiches Recht für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften einführt, wird er zur "Räuberbande" (Benedikt zitiert hier Augustinus). Das Naturrecht bildet die ideologische Basis für den Vatikan, auf der er auf völkerrechtlichen Konferenzen mit Staaten wie Saudi-Arabien und dem Iran eng zusammen arbeitet, um dort einen Abbau von Frauen, Religionskritiker und Homosexuelle diskriminierenden Gesetzen zu verhindern.
Wenn man diese Zusammenhänge bedenkt, die sich eindeutig aus dem gesamten Denken Benedikts und den Interventionen des Vatikans in den letzten Jahren in gesellschaftlichen Fragen ergeben, ist man sehr verwundert, wie positiv diese Rede auch von jenen aufgenommen wurde, die seit vielen Jahren eben jene menschenverachtenden Aktionen des "Heiligen Stuhls" hart kritisieren.“
David Berger