(bfg/hpd) Die Occupy-Bewegung berührt die freigeistige Szene in mehr als nur einer Hinsicht. Die Prinzipien von Geistesfreiheit und Menschenrechten sind ja nicht nur für die Unabhängigkeit von religiöser Bevormundung relevant. Die Unabhängigkeit von staatlicher Bevormundung ist genauso wichtig, und angesichts der finanziellen Turbulenzen kommt ihr besondere Aktualität zu. Bei den Betrachtungen zu Politik und Ökonomie zeigen sich direkte Parallelen zur Religion, die vieles erklären, was da passiert.
Nicht ohne Grund sagt man, die Ökonomie habe von der Theologie den Rang einer Glaubenslehre übernommen (Vogl). Pikanterweise werden die Elemente des christlichen Sünden-Katalogs wie Habgier und Ausschweifung zu ökonomischen Tugenden umdefiniert. Und die Triebfedern des allgemeinen Wohls heißen nun Selbstsucht und Eigeninteresse.
So ganz kann das wohl nicht stimmen, wenn man das Rettungssyndrom der EU-Politiker anschaut. Da kommt noch ein anderes Element der Religion ins Spiel. Mit missionarischem Eifer macht sich die EU daran, alles zu retten - als ginge es ums Seelenretten. Man rettet so blindlings drauflos, dass immer mehr Angst aufkommt, am Ende könnten alle rettungslos verloren sein.
Ist es das, wogegen die Occupy-Bewegung protestiert? Ursprünglich ging es um die Frage, welchen Einfluss das Lobby-Geld auf die amerikanischen Abgeordneten hat. Die Aktivisten wollten der Korruption nachspüren, die sie hinter den Finanzeskapaden vermuten. Denn was könnte die Politik sonst veranlassen, die Finanzkonzerne auf Kosten der notleidenden Staatskassen mit Wohltaten zu überschütten?
Letztlich geht es um die ganz einfachen und vernünftigen Dinge, wie sich am „people's mic” zeigt. Mikrofone sind verboten? Dann sagt eben einer an, die nächsten wiederholen es laut, und so setzen sich die Parolen immer weiter fort - das ist ebenso einfach und vernünftig wie die Forderung, das abgepresste Geld müsse dort geholt werden, wo es die Abkassierkünstler gebunkert haben.
Es geht also ums Verursacherprinzip. Wer profitiert und dabei Schaden angerichtet hat, der soll zur Wiedergutmachung herangezogen werden. Wer Schuld hat, soll zahlen, und nicht die Unschuldigen. So wichtig das ist, ist es doch nur ein Aspekt des Dilemmas.
Unseriöse, unredliche Finanzabenteuer
Die allgemeine Unzufriedenheit entzündet sich ja auch an der Art, wie die Finanzabenteuer vor sich gehen. Der Protest richtet sich dagegen, dass zutiefst unseriös und unredlich reagiert wird. Das geht nicht nach Methode Marktwirtschaft, also rational, und logische Folgen treten ein. Es geht auch nicht nach Methode Demokratie, wo wohlweislich Parlamente debattieren müssen, ehe sie Entscheidungen hervorbringen. Sondern es geht nach Methode Selbstermächtigung: irrational, konfus und töricht - als ob man volkswirtschaftliche Gesetze durch politische Entscheidungen außer Kraft setzen könnte.
Damit nicht genug, geht es auch nach Methode Wegducken und Heucheln. Das erinnert wieder ganz stark an religiöse Methoden, wo die Oberen besser wissen wollen, was der Allgemeinheit frommt, und sich den Deubel um Aufklärung und wahrheitsgemäße Information scheren. Eigentlich kann sich keine Regierung so etwas leisten, denn es ist doch ihre ureigenste Pflicht, genau zu rechnen und darüber zu informieren. Doch niemand legt ordentlich Rechenschaft ab, niemand zieht richtig Bilanz. Die Milliarden werden herumgeschoben wie Dreck; es reicht der berühmte Spruch „Dingsda benötigt soundsoviel Milliarden“, und schon wird das Geld flüssig gemacht. Alle anderen dringend benötigten Ausgaben werden davon übertrumpft. Das religiöse Prinzip eben: Das Sakrale kommt zuerst, und alles andere muss sich dahinter einordnen. So etwas bringt viele Leute zur Weißglut und das trägt zu der Protestbereitschaft bei.
Natürlich versteht jeder, dass kursrelevante Entscheidungen im Geheimen getroffen werden müssen, um die Zockerei nicht noch mehr anzuheizen. Aber die Spekulation muss durch Regulierungen und Umsatzsteuern gebremst werden; und jegliche staatliche Geldherumschieberei gehört abgerechnet und genauestens bilanziert, und zwar ohne etwas auszulassen.
Das betrifft jetzt die übelsten Lügen, die mit den Finanzaktivitäten einhergehen. Das törichte Gerücht wird verbreitet, die Banken hätten ja alles zurückgezahlt, was man ihnen bei der Bankenkrise zukommen ließ, und insofern seien die Aspekte bei der aktuellen Krise gar nicht so schlecht. Das stimmt schon in Amerika nicht, und auch in Deutschland entbehrt es der Grundlage, denn
- die Verzinsung der Kredite war nicht angemessen - die Banken müssen nach deren Binnenlogik behandelt werden, d.h. man muss maximale Renditen herausholen
- die Folgekosten fehlen - zum Beispiel wurden teure Konjunkturprogramme nötig, und die Kosten dafür sind den Verursachern anzulasten
- von den „ausgelagerten“ Risiken ist gleich gar nicht die Rede – und die Risiken der „bad banks“ erreichen ganz ungeahnte Höhen
- die „Refinanzierungs“-Geschenke fehlen auch - die Zentralbanken haben den Geschäftsbanken fast zum Nulltarif Geld gegeben, damit sie es in hochverzinste griechische Ramschanleihen stecken konnten, für die wiederum die Europäische Zentralbank haftete. Viele hundert Mrd. wurden dafür in Anspruch genommen, also klammheimliche Geschenke im Wert von geschätzten 100 Mrd. allein im Fall Deutschland.
Das Gemeine ist, man kennt die Zahlen nicht, weil darüber geschwiegen wird. Man weiß, dass sich die deutschen Ausgaben zu den 200 Mrd. summiert haben, um die die Bundesschuld gewachsen ist. Diese 200 Mrd. sind definitiv weg, aber das ist noch längst nicht alles. Die Refinanzierungs-Mrd. tauchen in keiner Bilanz auf, denn es handelt sich um Geldschöpfung, die direkt in die Inflation eingeht. Was auch nirgends richtig verbucht ist, sind die versteckten Zeitbomben in den bad banks, mit denen die Allgemeinheit belastet worden ist.