Legalize it?

drogen_gemischt.jpg

Collage: F. Lorenz

(hpd) Die Linke sprach sich am vergangenen Wochenende für die Legalisierung aller Drogen aus. Für den „Krieg gegen Drogen“ werden jährlich weltweit Milliarden ausgegeben, mit dem Effekt, dass Drogen immer besser und billiger werden und das Geld andernorts fehlt. Wer mit Drogen handelt, wird kriminalisiert und lebt deshalb in einer schwer kontrollierbaren Schattenwelt. Volljährigen Menschen wird vorgeschrieben, was sie nicht zu konsumieren haben. Macht das Sinn?

Am Samstag sprach sich der Linken-Parteitag in Erfurt mit großer Mehrheit für die Legalisierung aller Drogen aus. Der Vorstand hatte in seinem Entwurf lediglich den Konsum „weicher“ Drogen wie Haschisch legalisieren wollen. Als „harte“ Drogen gelten Heroin und Kokain, die wegen ihres hohen Suchtpotenzials und ihren Auswirkungen auf Gesundheit und Psyche als besonders gefährlich gelten. Die Begründung von der Vizevorsitzenden der Partei Sahra Wagenknecht auf Reuters: „Nein, wir wollen nicht, dass immer mehr Menschen Drogen nehmen. Sondern wir sind der Meinung, dass die Illegalisierung von Drogen nicht den Drogenkonsum reduziert. Und wir finden, es muss mit anderen Methoden verhindert werden, dass Menschen in Situationen kommen, in denen sie Drogen als letzten und einzigen Ausweg sehen.

Ist es notwendig, dass volljährige Menschen kriminalisiert werden, um sie vor sich selbst zu schützen? Welche Auswirkungen hat dieses Vorgehen, zeigen sich Erfolge? Werden also weniger Menschen drogenabhängig? Gibt es also weniger Drogenkriminalität? Oder reduziert die Illegalisierung von Drogen den Drogenkonsum nicht? Der hpd nutzt die aktuelle politische Debatte, um Antworten auf diese Fragen zu finden, und hat sich diesbezügliche Statistiken einmal näher angeschaut.

Folgen von Drogen und Alkohol

Nach den Statistiken des European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (dt: des Europäischen Beobachtungszentrums für Drogen und Drogenabhängigkeit; EMCDDA) liegt die Drogensterblichkeit in den 29 erfassten europäischen Ländern zwischen 6200 und 8300 Überdosen (1995-2008). 2009 (bzw. im letzten verfügbaren Jahr) lag die Todesrate wegen Drogennutzung in den erfassten Ländern bei durchschnittlich 21 pro Million Einwohnern, die Zahlen variieren jedoch sehr stark: von 2 bis 146 pro Million. Am niedrigsten liegt die Zahl der Drogentoten in Rumänien (2,1) und in der Türkei (3,3), am höchsten in Estland (146,1), danach folgen mit recht großem Abstand Norwegen (81,1) und Irland (68,4). In den Niederlanden, in denen als einzigem Land „weiche“ Drogen erlaubt sind, liegt die Zahl der Drogentoten bei 12,1 pro Million Einwohner, in einem Land wie Deutschland, in dem der Besitz von Cannabis illegal ist, liegt die Zahl der Drogentoten pro Million im Vergleich zu den Niederlanden etwa doppelt so hoch bei 24,1. Insgesamt war zwischen 2000 und 2003 ein Rückgang an der Zahl der Drogentoten zu verzeichnen, und zwar um 23 Prozent. Inzwischen (2008/2009) sind die Zahlen aber wieder auf den vorherigen Stand angestiegen. Weshalb die Anzahl der Drogentoten in den Ländern allerdings so stark variiert, dürfte an sehr vielen Einflussfaktoren liegen, die hier nicht eruiert werden können.

Eine Zusammenfassung des EMCDDA zeigt, dass die meisten Opfer zwischen 20 und 40 Jahre alt waren. Opiate verursachten in den meisten Ländern 75-85% der Todesfälle, HIV und AIDS können sekundäre Todesursachen darstellen, ebenso sterben häufig Drogenabhängige, die frisch aus einer Therapie oder aus dem Gefängnis entlassen werden. Kokaintote sind meist an einer Kombination verschiedener Substanzen gestorben. Etliche Todesfälle könnten indirekt auf Drogennutzung zurückzuführen sein, wie beispielsweise Hepatitis, Gewalt, Suizid oder Unfälle.

Im Vergleich dazu sterben allein in Deutschland jährlich 74.000 Menschen am Alkoholkonsum, das sind rund neun Prozent aller Todesfälle. An harten Drogen starben zwischen 2006 und 2009 jeweils durchschnittlich 1367 Menschen, das entspricht 1,8 Prozent der Alkoholtoten. Alkohol ist, obgleich wesentlich gefährlicher als harte Drogen, nicht verboten, sondern kann in jedem Supermarkt erworben werden. Zudem gibt es auch hier sekundäre Todesursachen, wie beispielsweise alkoholbedingte Unfälle, an denen nicht nur der Alkoholisierte sterben kann, sondern auch andere. Andererseits gibt es sehr viele Menschen, die Alkohol genießen, ohne gleich der Sucht zu verfallen und daran zu sterben oder sich und andere in alkoholbedingte Unfälle zu verwickeln. Dasselbe dürfte auf Nutzer „weicher“ wie „harter“ Drogen zutreffen. Der Konsum von Marihuana führt auch nicht automatisch zum Konsum härterer Drogen, stellt mithin keine „automatische Einstiegsdroge“ dar, ebenso wenig wie ein gelegentliches Bier automatisch zum Komasaufen mit Wodka führen muss.

Ein wesentliches Ergebnis der Analyse der Statistiken ist, dass eine restriktive Haltung - die in beinahe allen Ländern vorherrscht, bis hin zur Todesstrafe in einigen arabischen Ländern, dem Iran oder China - keinen Rückgang des Drogenkonsums oder der Drogentoten bewirkt. Der Konsum von Alkohol zeitigt im Vergleich mit dem Konsum illegaler Drogen weitreichende gesundheitliche Folgen, die die gesellschaftliche „Funktionstüchtigkeit“ langfristig sicherlich stärker beeinträchtigen als der Konsum harter Drogen. Die unterschiedlichen gesetzlichen Handhabungen von Alkohol- und Rauschdrogen wirken angesichts dieses Vergleichs absurd.

Der Krieg gegen Drogen

Während der Prohibition im vergangenen Jahrhundert war in den USA Alkohol verboten. Heute ist es der Krieg gegen Drogen, der im eigenen Land gegen die eigenen Bewohner gefochten wird, wie Penn Jillette und Teller in ihrer Sendung Bullshit! "War on Drugs“ sehr anschaulich verdeutlichen. Ihre Grundargumentation lautet: „Es geht um Freiheit. Wenn wir in einem freien Land leben, haben wir das Recht, alles, was wir wollen, in unseren Körper einzulassen!

Penn & Teller datieren den von Präsident Nixon heraufbeschworenen Krieg gegen Drogen zeitgleich mit dem moralisch fragwürdigen Krieg gegen Vietnam – als Ablenkungsmanöver für das Volk. Inzwischen kostet der Krieg gegen Drogen allein in den USA 20 Milliarden Dollar jährlich. Hilft es den Leuten, denen es ohnehin aufgrund ihrer „schlechten Entscheidung“, Drogen zu nehmen, wenn wir sie einsperren, fragt das Duo? Dieser Krieg verursacht mehr Probleme als er löst. Dieses Phänomen ist eine Wiederholung von etwas bereits Dagewesenem: Im Jahre 1919 dachten einige protestantische Spinner, die Regierung solle ihr gottgegebenes Recht durchsetzen, Trinken zu hassen. So wurde die Prohibition eingeführt, um auch andere von der Versuchung fernzuhalten. Aber die Menschen wollten Alkohol trinken. Also entstand eine ganze Unterwelt von Alkoholschmugglern und gewalttätige, zwielichtige Gangs traten an, um die Nachfrage zu erfüllen. Die Qualität der Ware war fragwürdig und verursachte Schäden bei den Konsumenten. Wenn man also Dinge kriminalisiert, die keine wirklichen Verbrechen sind, schafft man tatsächliche Kriminelle, so das Fazit.

In den USA nahmen 2007 fast 20 Millionen Menschen über 12 Jahren illegale Drogen. Nach einer Studie der EU-Kommission im Jahre 2009 stieg die Gesamtproduktion nach UNO-Schätzungen weltweit von 4346 Tonnen (1998) auf 8870 Tonnen (2007). Etwas geringer stieg die Produktion von Kokain, die sich seit 1998 von 825 Tonnen auf 994 Tonnen erhöhte. Nach den Ermittlungen der Drogenfahnder nimmt laut Studie die Zahl der Drogenbenutzer in ärmeren Ländern zu, während Europa, Australien oder die USA insgesamt abnehmende Zahlen bei Heroinkonsumenten verzeichnen.

In den frühen 1970ern kostete, so Penn & Teller, ein Päckchen Heroin 30 USD und enthielt lediglich fünf Prozent Heroin. Heute gibt es allerorten Heroin, ein Päckchen kostet 4 USD und besteht zu 80-90 Prozent aus reinem Heroin. Damit ist Heroin heute mehr als 600mal billiger als es vor dem Krieg gegen Drogen war!

Wie bei der Prohibition führt auch hier die Kriminalisierung zu einem umkämpften Schwarzmarkt mit hohen Gewinnmargen, in dem Gewalt vorherrscht, da es keinen anderen Weg gibt, Dispute zu klären. Menschen, die gewillt sind, das Gesetz zu brechen, werden enorme Profite einhandeln. Durch die Illegalität werden organisierte Kriminalität und Drogenbarone überhaupt erst geschaffen, meinen die befragten Experten (beispielsweise Jacob Salom, Chefredakteur vom Reason Magazine oder Dr. Lester Grinspoon, Professor für Psychiatrie an der Harvard-Universität). Die Gefängnisse sind mit nicht gewalttätigen Cannabiskonsumenten gefüllt: 700.000 Menschen werden jährlich in den USA zu Gefängnisstrafen verurteilt, weil sie Cannabis konsumieren. Pro Person kostet das 20.000 USD jährlich.

Polizisten gegen Prohibition

Das Problem sehen auch einige Polizisten in den USA. Die Gruppe LEAP (Law Enforcement Against Prohibition, dt. "Sprung", Gesetzesvollzug gegen Prohibition) ist laut ihrer Selbstdefinition eine internationale Organisation von in der Strafjustiz Beschäftigten, die „persönlich Zeugnis ablegen bezüglich der sinnlosen Vergeblichkeit und Schäden unserer gegenwärtigen Drogenpolitik. Unsere Erfahrung an der Frontlinie des ‚Kriegs gegen Drogen’ hat uns dazu geführt, eine Aufhebung der Prohibition zu fordern und an deren Stelle ein engmaschiges System der legalisierten Regulierung zu setzen, welches die gewalttätigen Kartelle und Straßendealer, die den gegenwärtig illegalen Markt kontrollieren, lahmlegen wird.“

Auf ihrer Homepage finden sich zahlreiche Links, etwa zu Artikeln und Blogs über Marihuana, zu einer Petition, mit der das Weiße Haus aufgefordert wird, sich nicht in die Legalisierungsanstrengungen einzelner Staaten einzumischen und Videos über Konferenzen. Viele, vielleicht alle der Engagierten für Prohibition waren selbst jahrzehntelang Teil des Kriegs gegen Drogen, haben andere Gesetzeshüter darin ausgebildet und irgendwann festgestellt, dass dieser Krieg nicht funktioniert. Die Argumente ähneln denen von Penn & Teller. Das Geld, 60-70 Milliarden jährlich, würde besser woanders ausgegeben, für Bildung, nicht um aus Menschen Kriminelle zu machen, die sich dafür entscheiden, eine Droge zu nutzen. Man sollte ihnen beibringen, bessere Entscheidungen zu treffen, erzählt etwa Neill Franklin beim NAACP Criminal Justice Summit. Die Drogenbarone zählen ihr Geld, indem sie es wiegen, derartige Mengen häufen sie an.

In Deutschland wurde laut der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) 2006 ein Intervall zwischen 5,2 und 6,1 Mrd. € an Gesamtausgaben für den Bereich illegaler Drogen ausgegeben, konservativ geschätzt. Die Ausgaben betrafen unter anderem die Bereiche Öffentliche Sicherheit und Ordnung (Polizei, Justiz, Strafvollzug) wie auch die Ausgaben der Sozialversicherungsträger (Rentenversicherung, Krankenkassen). Die Kosten, die durch Präventions-, Interventions- und Repressionsmaßnahmen entstehen, betragen hiervon zwischen 3,7 und 4,2 Milliarden Euro. Der Bericht zeigt detailliert, dass die Kriminalisierung des Drogenkonsums und -handels den Staat 2006 auch im Bereich Strafvollzug mindestens 486,3 Millionen Euro kostete. Im Vergleich: Für die Suchthilfe im Bereich „illegale Drogen“ wurden 2006 etwa 51,8 Millionen Euro ausgegeben.

Fazit

Unbenommen, Drogen können gefährlich sein. Die Gefahr ist allerdings nicht allein durch die Drogen selbst bedingt, sondern auch durch die Umstände, innerhalb derer sie konsumiert werden (müssen). Es wäre möglicherweise besser, den Umgang mit Drogen zu lernen bzw. zu lehren, damit die Gefahr bei ihrer Nutzung verringert wird, ähnlich wie die Vermittlung von Safer Sex. Die derzeitige Handhabung verbannt Drogen in die Illegalität und damit auch in den Verlust von Kontrolle, sowohl seitens des Staates als auch seitens der Nutzer. Nutzer werden allein gelassen, da sie sich ja strafbar machen, wenn sie nutzen. Erst wenn sie sich davon distanzieren möchten, erhalten sie Beratung.

Man kann sich fragen: Gibt es überhaupt einen Grund, Menschen davon abzuhalten, bestimmte Drogen zu konsumieren? Oder sollte nicht vielmehr jeder Volljährige ein Recht auf selbstbestimmten Rausch nach seinem Gusto haben? Weshalb sind manche Drogen verboten und andere nicht? Ist z.B. die Unterscheidung von Genuss- und Rauschdrogen als Grund dafür, dass manche Drogen verboten sind, Alkohol jedoch nicht, stichhaltig?

Es können an dieser Stelle nicht alle Fragen in Bezug auf Drogen beantwortet werden. Jedoch scheint der Krieg gegen Drogen, gegen die eigene Bevölkerung, nicht zum gewünschten Resultat zu führen: Drogen sind mittlerweile leichter verfügbar, billiger und besser geworden. Das Drogenmilieu wurde kriminalisiert, was zu erheblichen unerwünschten Effekten führt wie Schwarzmarkthandel, billigeren Drogen und einem weltweit höheren Drogenkonsum. Auch die Zahl der Drogentoten nimmt eher zu als ab. Die Prohibition jeder Droge kostet unglaublich viel Geld, das besser in Bildung investiert würde, damit Menschen lernen, bessere Entscheidungen zu treffen. Und es braucht eine Gesellschaft, in der Menschen, besonders junge Menschen, eine Zukunft sehen, für die es sich zu engagieren lohnt, ohne das Bedürfnis zu verspüren, sich dauernd "zuzudröhnen".

Daher macht es Sinn, Drogen zu legalisieren. Mit entsprechenden Begleitmaßnahmen. Wie genau das erfolgen könnte, müssten wir dann sehen.
 

Fiona Lorenz