Islam tolerierte früher Homosexuelle

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Prof. Dr. Thomas Bauer (Foto: exc)

MÜNSTER. (hpd/exc) Der Arabist Prof. Thomas Bauer referierte im Rahmen der Ringvorlesung „Geschlecht und Politik“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ über „Männerliebe in der islamischen Geschichte und Gegenwart“: Die heutige Homophobie stehe nicht in einer islamischen Tradition.

Der Islam ist Experten zufolge mehr als tausend Jahre lang tolerant mit Homosexuellen umgegangen. „Dass es heute in muslimischen Ländern handfeste Schwulen-Verfolgungen bis hin zu Hinrichtungen gibt, lässt sich nicht auf eine lange religiöse oder kulturelle Tradition zurückführen“, sagte Arabist Prof. Dr. Thomas Bauer am Dienstagabend in Münster. „Vielmehr blickt der Islam auf eine tausendjährige Geschichte reicher homoerotischer Kultur zurück.“ Im Rechtswesen dieser Zeit seien sexuelle Männer-Beziehungen nicht bestraft worden. Erst im 19. Jahrhundert habe der Westen den „Kampf gegen den unordentlichen Sex“ im Nahen Osten eingeführt.

Die damals importierte Homosexuellen-Feindlichkeit sei heute in islamischen Ländern „eine unheilige Allianz mit den strengsten religiösen Interpretationen“ eingegangen, so Prof. Bauer. Der Lebensstil schwuler Männer werde von politischen Kräften, etwa im Iran oder von Taliban, als „verwestlicht“ und „dekadent“ abgelehnt. Verfolgungen seien an der Tagesordnung. „Wenn es sogar in Deutschland nur in Großstädten eine Schwulen-Szene gibt und ein Coming-out auf dem Land Außenseiterdasein bedeutet, ist dies in islamischen Ländern noch extremer. Die Emanzipation Homosexueller ist in Beirut, Kairo oder Casablanca nur ein Thema für hippe Kids der Oberschicht.“

In der arabisch-islamischen Kulturgeschichte dagegen lasse sich zwischen 800 und 1800 „keine Spur von Homophobie“ feststellen, sagte der Wissenschaftler des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Uni Münster in der Ringvorlesung „Religion und Geschlecht“. Vor dem Jahr 1979 sei in tausend Jahren kein Fall bekannt, in dem ein Mann aufgrund von einvernehmlichem Sex mit einem anderen Mann angeklagt worden sei. „Man sollte sich also hüten, die religiösen Normen des Islams in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft zu überschätzen.“ Auch Rechtsgelehrte hätten es kaum als Problem angesehen, dass die soziale Praxis der religiösen Norm meist widersprach.

Die im Recht vorgesehenen harten Körperstrafen für Sexualpraktiken außerhalb des „gottgewollten Geschlechtsaktes zwischen Mann und Frau“ scheiterten laut Prof. Bauer an einer hohen Hürde: Für den Sexualakt ließen sich keine Zeugen finden.

Die damaligen Rechtsaussagen zum Thema Männerliebe wurden nicht dem Koran entnommen, der wenig Aussagen dazu mache, wie der Experte sagte. Die wenigen Stellen, die hier oft zitiert würden, seien „höchst interpretationsbedürftig“. Prof. Bauer: „Die Textstellen mögen alles Mögliche meinen, nur sicher nicht das westliche Konzept von Homosexualität, das es zu koranischer Zeit gar nicht gab.“ Das Konzept aus dem 19. Jahrhundert unterscheide zwischen „Sex“, den ein Mensch körperlich erfahre, und „Sexualität“ als Veranlagung – ob hetero- oder homosexuell – die seine Identität bestimme. Ohne das Konzept, das in der Moderne viel Schaden angerichtet habe, sei Liebe zwischen Männern „unproblematisch“.

Die islamische Dichtung aus klassischer Zeit war dem Vortrag zufolge voll von Männerliebe: „Dichter aller sozialer Schichten verfassten unzählige Liebesgedichte auf junge Männer.“ Als Beispiele führte der Arabist das Epigramm eines Baumeisters auf einen hübschen Steinmetz und das Gedicht eines Religionsgelehrten an einen Moscheelampen-Anzünder an. „So ging das über tausend Jahre lang, eine reiche homoerotische Literatur.“ Um die Mitte des 19. Jahrhunderts sei aber die wirtschaftliche und militärische Überlegenheit des Westens erdrückend geworden. „Mit einem moralischen Überlegenheitsgefühl trat der Westen gegenüber dem vermeintlich dekadenten Orient auf, arabische Intellektuelle und Politiker verordneten ihren Landsleuten rasch diese Moral.“

Prof. Bauer leitet am Exzellenzcluster das Projekt A2 „Die Kultur der Ambiguität: Eine andere Geschichte des Islams“. Unter demselben Titel hat er zuletzt im Berliner Verlag der Weltreligionen eine arabisch-islamische Kulturgeschichte vorgelegt. Danach war der Islam über Jahrhunderte viel toleranter gegenüber unterschiedlichen Werten und Wahrheitsansprüchen, als der Westen meint. In einer „Kultur der Ambiguität“, der Mehrdeutigkeit, ließen arabisch-islamische Gesellschaften Normen, die einander widerstreiten, nebeneinander stehen.

Viola van Melis

Zentrum für Wissenschaftskommunikation des Exzellenzclusters „Religion und Politik“