„Mir hat das auch nicht geschadet“

WIEN. (hpd) Das Bildungsvolksbegehren schnitt mit 383.000 Unterschriften durchschnittlich ab. Dass es kein rauschender Erfolg wurde, liegt an strategischen Fehlern der Organisatoren, Pech – und einer eher unterdurchschnittlich ausgeprägten Haltung in der Bevölkerung, dass Schule nicht nur Quälerei sein muss.

Die Forderungen des Bildungsvolksbegehrens als Kurztext: „Wir fordern mittels bundes(verfassungs)gesetzlicher Regelung ein faires, effizientes und weltoffenes Bildungssystem, das vom Kleinkind an alle Begabungen fördert und Schwächen ausgleicht, autonome Schulen unter Einbeziehung der SchulpartnerInnen und ohne Parteieneinfluss, eine leistungsdifferenzierte, hochwertige gemeinsame Schule bis zum Ende der Schulpflicht und ein Angebot von ganztägigen Bildungseinrichtungen, eine Aufwertung des LehrerInnenberufs und die stetige Erhöhung der staatlichen Finanzierung für Universitäten auf 2% des BIP bis 2020.“ Von 383.820 Stimmberechtigten wurde es unterschrieben. Warum nur so durchschnittlich?

Ein Kommentar von Christoph Baumgarten.

 

Eine Unterhaltung mit einer ehemaligen Kollegin bei einem ehemaligen Arbeitgeber vor wenigen Jahren: „Die Matura (Abitur in Österreich, Anm.) abschaffen? Wie sehr sollen denn die Kinder noch verhätschelt werden? Die müssen lernen, was Leistung ist.“ Mit einem "nicht genügend" im Zeugnis aufsteigen dürfen? „Da lernen die Kinder nur, dass sie nichts leisten müssen“ oder „Das Signal, dass sich Leistung nicht auszahlt.“ – so liest man es in den Leserbriefspalten der Zeitungen oder Online-Foren.

Kleinere Klassen? „Zu meiner Zeit waren 40 Kinder in der Klasse und wir haben auch was gelernt.“ – so die langjährige Meinung meiner Mutter. Und überhaupt: „Das Niveau an den Schulen sinkt.“ – was auch immer dieses rätselhafte „Niveau“ sein mag. Schuld ist nach Meinung eines großen Teils der Bevölkerung, allen voran das selbsternannte Bildungsbürgertum, dass "die Kinder nicht ordentlich "herangenommen werden", man auf ihre Bedürfnisse Rücksicht nimmt". Dies passiert im Vergleich zu fortschrittlicheren Staaten viel zu wenig, aber mehr als vor Jahrzehnten – und nach Meinung der Hofratswitwen immer noch zu viel. Dass ein Lehrer „keinen Respekt“ mehr genießt, "das Niveau mehr oder weniger ständig „nach unten nivelliert“ werde, kann als Common Sense gewertet werden.

Extrem sind vielleicht Aussagen, die ich bei einer Straßenbefragung vor zwei Jahren bekam: „Die Lehrer sollten den Kindern wieder eine Ohrfeige geben dürfen“ – ganz außerhalb des Denkbaren liegt das für viele Menschen in diesem Land auch wieder nicht. Nur zur Mehrheitsfähigkeit reicht es nicht mehr. Vermutlich auch nicht mehr bei pädagogischen Grundüberlegungen à la „wenn das Baby schreit, lass es liegen. So lernt es schnell, dass sich nicht die ganze Welt um einen selbst dreht.“ Ein Rat, den Frauen ihren Töchtern mit neu geborenen Kindern im Park oder im Kaffeehaus erteilen. Oder bei Kaffeekränzchen beileibe nicht pensionsfähiger „Damen“ als unwidersprochene Erkenntnis über den Lauf der Dinge in die Runde werfen. Keine Mehrheitsmeinung, aber so exotisch auch wieder nicht: zu oft und von zu vielen Menschen habe ich es gehört, um sie als skurrile Einzelfälle sehen zu können. Nur in der Zeitung liest man das glücklicherweise nicht mehr.

Österreichische Eltern wollen, wie Eltern auf der ganzen Welt, dass es ihren Kindern besser geht als ihnen. Nur in der Schule darf das partout nicht der Fall sein. Dort muss, so die Mehrheitsmeinung, den Kindern eingetrichtert werden, dass das Leben kein Spaß ist und nur Leistung zählt. Je größer die emotionalen Qualen der Kinder in der Schule, desto besser das Lernen. Und selber hat es einem ja auch nicht geschadet*.

Oberflächlich betrachtet mutet diese ausgesprochen mieselsüchtige und missgünstige Haltung an, wie eine Mischung aus preußisch/deutschem Fleiß und katholischem Masochismus. Eine Mischung, als die ein guter Teil des Österreichertums an sich bezeichnet werden könnte. Ein schönes Bild, wie so viele Klischees. Allein, es greift zu kurz, wie alle Analysen diverser nationaler „Seelen“. Sie alle begreifen die Mentalität der Bevölkerung eines Landes als letztlich unveränderlich und übersehen, dass Kulturen, im engeren wie im weiteren Sinne, sich ständig wandeln; und mit ihnen die Art und Weise, wie ihre Mitglieder sich selbst und die Welt sehen. (Nebenbei: Läuft die Debatte in Deutschland anders? Bestenfalls weniger emotional.)

Es hat auch in Österreich mehrheitsfähige Reformen im Bildungssystem gegeben, die den Kindern das Leben leichter gemacht haben. Und vielleicht, wenn auch eher vereinzelt, die Schule zu einem Ort, an dem man auch Spaß haben kann. Das passierte innerhalb der kleinen „windows of opportunity“, in denen es keine rechten Mehrheiten im Nationalrat gab oder in denen die Trägerin des „Leistungsgedankens“, die konservative Reichshälfte, zu schwach war, um Reformen etwas entgegenzusetzen. Man denke an die Reformen von Otto Glöckl im Roten Wien oder die unter Bundeskanzler Bruno Kreisky. Es waren seit jeher die Sozialdemokraten, und nach ihrem Entstehen auch die Grünen, die kinderfreundliche Reformen einforderten. (Eine liberale Bewegung gibt es hierzulande traditionellerweise nicht.) Mittlerweile kann sich auch die Industrie für die Vorstellung einer Bildungsreform erwärmen. Arbeiter sollten heutzutage idealerweise auch denken können. Aber eine Bevölkerungsmehrheit macht das nicht aus. Dem Rest sind die Anliegen eher egal – oder er betrachtet sie als die weltfremder Träumer, die Kinder nur verhätscheln und nicht möglichst früh mit den Härten des Lebens vertraut machen wollen.

Auch generell hat man es in Österreich eher damit, neue Härten zu erfinden als Ungerechtigkeiten abzubauen. Man fühlt sich wohler, ins pathologisch gehende Bestrafungsphantasien, zumindest per Leserbrief, auszuleben als nachzudenken, ob Strafen, Disziplinarmaßnahmen etc. in einem gegebenen Zusammenhang Sinn machen.