Notizen aus Wien

Katholische Implosionen, Teil 2

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Christoph Baumgarten
Christoph Baumgarten

WIEN. (hpd) Auf die Kolumne “Notizen aus Wien” hat unser Österreich-Korrespondent Montagabend eine Reaktion der Erzdiözese Wien mit weiteren Details erhalten. Die relativieren einige Berechnungen. Und zeigen, dass das katholische Leben in Wien – je nach Standpunkt - noch mehr darniederliegt, als unser Korrespondent gedacht hat.

 

In Wien gehen deutlich weniger Leute in die Kirche, als ich angenommen habe. Das zeigt mir die Reaktion aus der Erzdiözese Wien auf meine Kolumne “Notizen aus Wien” vom Montagabend.

Statt der österreichweiten zwölf Prozent der Katholiken gehen in der gesamten Erzdiözese Wien nur etwas mehr als zehn Prozent am Sonntag in die Messe, insgesamt etwa 130.000. Mindestens die Hälfte der Kirchgänger lebt im niederösterreichischen Gebiet der Erzdiözese.

Macht für Wien statt der von mir errechneten 80.000 Wiener Kirchgänger bestenfalls 65.000.

Zahlen nur beschränkt aussagekräftig

Es war mein Fehler, die Zahl der Wiener Messbesucher anhand des bundesweiten Schnitts zu errechnen und nicht anhand der ebenfalls öffentlich zugänglichen Zahlen der Erzdiözese. Andererseits sind auch die nur beschränkt aussagekräftig: Sie beziehen sich immer auf das gesamte Gebiet der Erzdiözese. Eigene Zahlen für Wien gibt es nicht.

Es macht die Einschätzung etwas schwierig, wenn man die Durchschnittswerte dreier sehr heterogener Regionen wie dem bäuerlichen Wein- und dem semiurbanen Industrieviertel und der Stadt Wien als Ausgangsbasis verwenden muss. Andere Daten fehlen ja.

Was nichts daran ändert, dass es amüsant ist, wenn der Korrespondent eines humanistischen Mediums von der katholischen Kirche darauf hingewiesen wird, dass er das religiöse Leben in einer Stadt größer darstellt, als es ist.

Nur 72 Besucher pro Sonntagsmesse

Der Einfachheit halber habe ich in der Kolumne auch berechnet, wie viele Messbesucher an jedem Sonntag im Schnitt auf eine katholische Kirche kommen müssen. Diese Berechnungsbasis ändert sich natürlich auch. Statt meiner 320 kommt die katholische Kirche auf etwa 220. Die sind laut Erzdiözese aufgeteilt auf durchschnittlich drei Messen pro Sonntag.

Macht – hier sei wieder die Erzdiözese zitiert – pro Sonntagsmesse im gesamten Gebiet der Erzdiözese Wien 72 Teilnehmer. Das ist nicht gerade berauschend. Der Wert bezieht sich wie gesagt auf das gesamte Gebiet der Erzdiözese. Für Wien wird man einen Wert von unter 70 vermuten müssen.

Doppelbesucher mitgezählt?

Das inkludiert die besonders Überzeugten, die am Sonntag mehrere Messen besuchen. Das sind wahrscheinlich nicht sehr viele. Bei einem derartig geringen Schnitt sind auch diese wenigen ein verzerrender Faktor, der nicht vernachlässigt werden sollte.

Damit sich dieser Schnitt halten lässt, müssten es in der Hauptmesse am Sonntagvormittag vermutlich mehr als hundert Besucher sein. Früh- und Spätmesse, so es sie gibt, sind weitaus weniger gut besucht.

Zählsonntage als statistische Tricks?

Auch diese Angaben der Erzdiözese dürften etwas optimistisch sein. Die Zahl der Messbesucher wird an zwei so genannten Zählsonntagen ermittelt. Einer dieser Sonntage ist in der Fastenzeit. Der zweite ist der “Christkönig-Sonntag”. Das ist der letzte Sonntag des Kirchenjahres – der letzte Sonntag vor dem Advent.

In der Fastenzeit tendieren manche katholisch geprägte Menschen dazu, einen religiösen Rappel zu kriegen. Befeuert wird das ein wenig von der Wellness-Industrie mit ihrem esoterisch geprägten “Heilfasten” und ähnlichem. Der Christkönig-Sonntag gilt als katholisches Hochfest.

Dass an solchen Sonntagen mehr Menschen als sonst in die Kirche kommen, liegt nahe. Einige Pfarren verstärken diesen Effekt und teilen den Gemeindemitgliedern im Vorfeld mit, dass am soundsovielten wieder Zählsonntag sei. Ein Schelm wer denkt, dass manche Gemeindemitglieder das als Aufruf verstehen, diesmal verlässlich zu kommen.

Was die Frage aufwirft, wie verlässlich diese Zählung ist – und ob es der systematische Versuch der katholischen Kirche nicht nur in Österreich ist, eine höhere Religiosität zu suggerieren als da ist. Wiewohl sich der Erfolg in Mitteleuropa in eher überschaubaren Grenzen bewegt.

Christoph Baumgarten