Der betörende Glanz der Dummheit

(hpd) Esther Vilars köstliche Studie über die Dummheit erschien jüngst als überarbeitete Neuauflage bei Alibri. 1987 erstmals erschienen, ist sie leider aktuell wie eh und je. Nicht erst seit Fukushima oder seit der Sichtbarkeit der Finanzkrise kann man sich kopfschüttelnd fragen: Sind wir wirklich so dumm?

Ein dummer Mensch sei die Umkehrung des intelligenten Menschen. Ein dummer Mensch wäre also „unoriginell, unkreativ und humorlos und gegenüber anderen ... mitleidlos, rücksichtslos und intolerant.“ (S. 14) Dummheit sei nicht zu verwechseln mit Unwissenheit, auch gebildete Menschen könnten dumm sein.

Auf dieser Grundlage und begleitet von klugen Zitaten aus Childrens Letters to God spürt Esther Vilar die Dummheit auf: Die Dummheit der Reichen, der Karrieristen, die Dummheit in der Liebe, in der Kunst und im „Jüngsten Gericht“. Auf ihre ureigene Art durchleuchtet die Autorin die Vorgänge konsequent, die beispielsweise einen Reichen überhaupt reich werden und dann erscheinen lassen. Radikal. Man staunt bisweilen.

Der Reiche – es werden Beispiele aufgeführt – zeichne sich durch einen „totalen Mangel an Phantasie (aus), Dokument einer völligen Abwesenheit von Einfühlungsvermögen“ (S. 20). Mit suggestiven Fragen erschließt Esther Vilar das Thema Dummheit in seinen zahlreichen Facetten, wie etwa: „Ist dieses eigentümliche Beharren der Adeligen auf ihrem Prädikat als öffentliches Schuldbekenntnis zu verstehen? Eine Art Bewältigen der kriminellen Vergangenheit ihrer jeweiligen Familien?“ (S. 26).

Zur Karriere gehören zum Beispiel der Wille zur Macht, gehören Fleiß, Gehorsam und Zielstrebigkeit. Oder ist es, wie die Autorin fragt, „bei genauer Betrachtung nicht eine besonders gut getarnte Begrenztheit, die einen Menschen nach oben bringt?“ (S. 39). Dergestalt wimmelt es auf manchen Seiten nur so von Fragen dieser Art, endet auf halben Seiten jeder Satz mit einem Fragezeichen.

Amüsante Erkenntnisse

Mit diesem fragenden Stil kommt sie zu wahrlich amüsanten Erkenntnissen: Der Beruf des Bankiers „besteht also wohl logischerweise darin, angesichts der menschlichen Tragödien, die ihm im Lauf eines langen Arbeitstages vorgetragen werden, kühl abzuwägen und gelassen nein zu sagen. Bis dann einer kommt, der sein Geld nicht so dringend braucht: Dem kann er es geben.“ (S. 51) Ebenfalls wirkt das Stilmittel der nachgestellten Dialoge erhellend: „Doch unterdessen hat man hier nun auch die Zugabe überstanden. Verehrtester, wir sind ergriffen. Kein Wort zu viel hat die Presse da geschrieben, wenn sie Ihnen eine große Zukunft prophezeit! Doch nun kommen Sie, ich bahne Ihnen den Weg zu unserem Büfett. Einen Lachs wie diesen haben Sie gewiss noch nicht gekostet. Erst vor sechs Stunden aus Norwegen eingeflogen, für Ihre Soiree!“ (S. 118).

Nicht nur Reiche und Bankiers, sondern auch Kleriker, Soldaten, Politiker, Ärzte, Wissenschaftler, Unternehmer, Gewerkschafter und Juristen führt sie vor. Die Rolle der Kunst und des Künstlers, die sich unterscheidet, je nachdem, ob er Musiker ist, der aus Sicht des Reichen besser seit Jahrhunderten tot ist, wenn er berühmt wird, oder bildender Künstler, der jung und lebendig sein muss, um berühmt und gekauft zu werden – all dies hat möglicherweise seinen Sinn und den kann man erkennen, wenn man Esther Vilar auf ihrer Reise folgt. Allein die Sache mit der Dummheit in der Liebe will nicht so ganz einleuchten. Liebe als Religion vielleicht noch. Aber dann spinnt sich die Geschichte ein wenig lang dahin und wirkt irgendwann abstrus. Auch stellt sich die Frage, ob es wirklich so ist, dass Intelligente eher religiös werden, weil sie über genügend Phantasie verfügen, sich den Schrecken des Todes vorzustellen, oder ob Intelligente nicht vielmehr häufiger in der Lage sind, ihrer Sterblichkeit und damit dem Diesseits andere, positive Perspektiven zu verleihen.

Abgesehen vom Auswalzen der Liebesbeziehungen sowie ein paar merklich veralteten Aktualitätsbezügen, schenkt die Lektüre neue und erfrischende Perspektiven. Da es sich um ein Essay handelt und nicht um ein Sachbuch, kann die Autorin äußerst verwegen anmutende Thesen aufstellen, die sich am Ende gar noch als plausibel erweisen. Und nicht zuletzt: Wenn der Klügere immer nachgibt, während der Dumme so lange weitermacht, „bis es sein Niveau ist, das das Gesicht der Erde prägt“ (S. 174), könnte diese Strategie zur Auslöschung der Menschheit führen. Möglicherweise bewahrt uns aber, schließt Vilar, noch eine glückliche Verkettung einiger Dummheiten vor diesem Schicksal.
 

Fiona Lorenz

 

Esther Vilar: Der betörende Glanz der Dummheit. Durchgesehene Neuauflage. Aschaffenburg 2011, Alibri Verlag. 196 Seiten, kartoniert, Euro 16.-, ISBN 978-3-86569-066-1
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.