BERLIN. (hpd) Vor 45 Jahren, am 2. Juni 1967, erschoss der Polizist Karl-Heinz Kurras den Studenten Benno Ohnesorg. Rechercheure des Magazins Der Spiegel konnten jetzt klären, dass Kurras aus nächster Nähe unbedrängt geschossen hat. Es war der Beginn einer systematischen Vertuschung, die erst jetzt aufgeklärt werden konnte.
Wer sich manchmal fragt, was heute Journalismus bedeutet, ob sorgfältiges Recherchieren und Informieren eigentlich noch im Zentrum steht oder ob es die große Zeit eines ‚Kampagnenjournalismus‘ ist, im Stil des billigen Druckwerks mit den großen Buchstaben, der konnte gestern Abend im Café der Tageszeitung in Berlin eine ‚Sternstunde‘ des klassischen Journalismus erleben; sachbezogen, detailliert genau, Machenschaften und Vertuschungen von Polizisten, Staatsanwaltschaft, Freunden und Ärzten aufdeckend.
Das Thema des Todes und der Todesumstände von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 gehört zu den unauslöschlichen Erinnerungen der damaligen politischen Opposition. Die so genannten „68er“ wurden aus ihrer Unschuld gerissen, und es war der Beginn eines Radikalisierungsprozesses, „Ein Schuss in viele Köpfe“, der u.a. auch in die Forderung „Enteignet Springer“ und in die „Rote Armee Fraktion“ sowie die „Bewegung 2. Juni“ führte.
Schon damals war sofort die Annahme da, dass die offizielle Darstellung der Polizei nicht stimmte. Nun konnte es bewiesen werden. Michael Sontheimer, Uwe Soukup und Peter Wensierski erklärten mit Hilfe von Fotos und Filmen, wie es gelingen konnte, 45 Jahre nach der Tat, die Vertuschungen aufzudecken und wer daran beteiligt war.
Im überfüllten Raum des taz-Cafés in der Rudi-Dutschke-Straße, im Rudi-Dutschke-Haus, gegenüber den Hochhäusern des Springer-Verlages, saßen auch einige der damaligen Studenten, für die das Thema noch nicht abgeschlossen ist.
Peter Wensierski verdeutlichte, dass auch ihre Recherchen noch nicht abgeschlossen seien, dass es immer wieder neue Erkenntnisse geben würde und sie ‚dran‘ seien. Oder, wie es Uwe Soukup ausdrückte: „Benno Ohnesorg ist und bleibt ein Thema.“
Die drei Journalisten illustrierten die Details ihrer monatelangen Recherche. Manches Mal ist es ein Lauf gegen die Zeit, da Akten in Krankenhäusern regelmäßig, z.B. mit 30-Jahresfrist, aussortiert und vernichtet werden. Aber es gibt auch Archive von Anwälten und von Gerichten. Es war aufwändig, aber man habe alle rund 300 Fotos aufgespürt. Ein Fotograf hatte seine Foto-Kontaktstreifen in einem Tresor gesichert. Die Kontaktstreifen sind deshalb wichtig, da sich aus der Reihenfolge der Bildernummern auf den Streifen eindeutig die zeitliche Abfolge der Bilder und damit des dargestellten Geschehens festzustellen ist. Häufig sind die damals Beteiligten bereits verstorben oder dement, aber es gibt noch Familienmitglieder, mit denen man sprechen kann.
Aber, so Peter Wensierski: "An einem Punkt sind wir bisher alle gescheitert: Niemand weiß, warum Kurras geschossen hat." Auch wenn inzwischen aktenkundig ist, dass Kurras ein IM der Stasi war, dürfte klar sein, dass Kurras keinen Stasi-Auftrag zum Mord hatte. Am Tatort gab es unter anderem zehn Fotografen und drei Kamerateams, „keine gute Situation für einen Stasi-Auftragsmord.“
Der Tatablauf ist mittlerweile, aufgrund der Arbeit der Spiegel-Rechercheure, eindeutig geklärt und wurde auch in mehreren Artikeln des Magazins der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. (Berliner Polizei vertuschte Hintergründe des Ohnesorg-Todes), (Aus kurzer Distanz), (Manipulation auf dem OP-Tisch), (Das Fenster zum Hof), (Keiner wollte mir glauben), (Ein unverzeihliches Versagen).