Pfarrer-Sex wiegt mehr als Gewalt an Kindern

news.jpg

NEWS (Ausriss) / Inhaltsverzeichnis

WIEN. (hpd) Ein polnischer Pfarrer mimt den Moralapostel und hat (angeblich) eine Geliebte. Eine lästige Affäre für die katholische Kirche in Österreich. Die Medien kauen sie genüsslich wieder. Betroffene kirchlicher Gewalt kämpfen gleichzeitig um Aufmerksamkeit.

Religions- und Kirchenkritiker könnten sich zurücklehnen und erste Reihe fußfrei beobachten, wie ein konservativer polnischer Pfarrer den obersten Repräsentanten der katholischen Kirche in Österreich seit zwei Wochen ins Schwitzen bringt. Ein junger Weinviertler wird in den Pfarrgemeinderat von Stützenhofen gewählt. Er lebt mit seinem Freund in einer eingetragenen Partnerschaft. Pfarrer Gerhard Swierzek interveniert bei seinem Vorgesetzten, Kardinal Christoph Schönborn. Der Homosexuelle lebe offen in Sünde, der gehöre nicht in den Pfarrgemeinderat. Schönborn zögert, nach öffentlichem Druck genehmigt er die Wahl. Das besänftigt die Öffentlichkeit, die treuen Katholiken schäumen.

Swierzek verkündet seinen Rücktritt und sagt bei seiner letzten Messe in Stützenhofen, er habe ein Gespräch mit Schönborn mitgeschnitten. Schönborn soll ihn gebeten haben, den homosexuellen Kandidaten von der Kandidatenliste für die Pfarrgemeinderatswahl „verschwinden“ zu lassen. Ob es das Gespräch gab, ist unklar. Der Vorsitzende des Pfarrgemeinderats sagt einer Zeitung, er habe den Mitschnitt gehört. Einer anderen sagt er, das sei nicht der Fall gewesen.

Auftritt: die Geliebte

Als ob das nicht Posse genug wäre, folgt der Auftritt der Geliebten Swierzeks. Oder zumindest einer Frau, die behauptet, das gewesen zu sein. Swierzek taucht ab. Angeblich ist er in Polen. Seinem Dienstgeber, der Erzdiözese Wien, gegenüber hat er sich krank gemeldet. Er ist der einzige, der die Aussagen der 55-Jährigen bestätigen könnte. Die Erzdiözese scheint wenig Zweifel zu haben, dass der moralinsaure Pfarrer das Keuschheitsgelübde verletzt hat.

Schwulen-Bashing und katholische Doppelmoral in einem. Unterhaltsam ist das allemal. Die Boulevard-Medien lassen nicht locker. Die Info-Illustrierte News hebt die Story diese Woche auf ihr Cover. Die Info-Screens in den Wiener U-Bahn-Linien bombardieren die Fahrgäste mit Schlagzeilen zum Thema. Auch Qualitätsmedien wie der Kurier berichten eifrig, in diesem Fall wenig überraschend: Die (mutmaßliche) Geliebte des Pfarrers hatte sich gegenüber dieser Tageszeitung geoutet. Dazu kommen mittlerweile zahlreiche Meldungen in englisch- und polnischsprachigen Medien. Auch auf Deutschland ist die Posse übergeschwappt.

Zu beneiden sind die Medienverantwortlichen der katholischen Kirche in Österreich nicht. Gegen eine Geschichte, die nahezu alle Klischees erfüllt, kann man nicht ankämpfen. Nicht besser wird es mit einer zweiten katholischen Provinzposse. Der südsteirische Pfarrer Karl Tropper bezeichnet Homosexualität in seiner Pfarrzeitung als heilbare Krankheit und schiebt Homosexuellen gleich mal sechs Millionen AIDS-Tote unter. Das führt das höchstwahrscheinlich publikumstechnisch motivierte Versöhnungsmanöver Schönborns mittelschwer ad absurdum.

Der Schaden hält sich in Grenzen

Dem Ruf der katholischen Kirche schaden die zwei Possen. Und sie sorgen für passable Publikumsunterhaltung. Der Einzelfall wird zum Gradmesser einer Moral, von der ohnehin jeder weiß, dass sie eine doppelte ist. Nur braucht man kaum mehr tun als sich ein wenig moralisch zu empören oder sich über das dargebotene Stück zu amüsieren. Die Doppelmoral wird auf leicht verdauliche Weise greifbar. Strukturelle Fragen muss man nicht stellen. Und tut es vermutlich auch nicht. Kurzfristig tut die Geschichte weh. Langfristig dürfte sich der Schaden in Grenzen halten, auch wenn die taz anderer Meinung ist. Ein paar Austritte mehr, das wird’s gewesen sein. Weh tun schaut anders aus.

Zumal die Boulevard-Skandale ein wesentlich unangenehmeres Thema überdecken. Dass die Plattform Betroffener Kirchlicher Gewalt eine unabhängige Untersuchung der jahrzehntelangen systematischen Gewalt an Kindern in kirchlichen Einrichtungen forderte, bekam nicht einmal annähernd so viel Aufmerksamkeit wie die Bettgeschichten des moralinsauren polnischen Pfarrers. Sicher, auch hier berichteten einige Leitmedien wie die ZiB 2 des ORF oder das ORF-Radioprogramm Ö1 – allein, auf die Titelseite einer Boulevardzeitung schaffte es die Pressekonferenz nicht. Den Platz hatte Swierzek gebucht.

Einvernehmlicher Pfarrer-Sex wiegt mehr als Gewalt an Kindern. Wüsste man es nicht besser, man müsste es für einen katholischen PR-Trick halten. Beinahe wie eine Bestätigung, dass in der gleichen Ausgabe von News, die die (mutmaßliche) Geliebte Swierzeks am Cover hat, Caritas-Direktor Michael Landau über die verdeckte Armut in Österreich klagt. Wenn’s mit der Moral nicht klappt, im Sozialbereich sind wir da. Oder so ähnlich.

Eine vertane Chance

Das liegt nicht nur am Voyeurismus des Boulevardpublikums. Auch Journalisten tun sich aus naheliegenden Gründen emotional wesentlich leichter, über das Liebesspiel eines Pfarrers nachzudenken als das, was jahrzehntelang an Kindern in Kirchen und kirchlichen Schulen verbrochen wurde. Auf der einen Seite das lustvolle Spiel mit dem Verbot für einen Moralapostel, auf der anderen eine der hässlichsten Seiten des Menschen schlechthin.

Und wer sagt denn, dass nicht auch Journalisten selbst die Moralapostel spielen wollen? Das geht immer einfacher, wenn man einen Schuldigen hat. Noch dazu einen, der sich voller Begeisterung in die Rolle gestürzt hat und dann feige kneift. Ein polnischer Pfarrer als Sündenbock – ein wandelndes Klischee. Gibt’s deutlichere und einfacher zu erzählende Geschichten? Die Frage nach Verantwortung stellt sich nicht groß. Um die zu stellen, braucht man viel Zeit für Recherchen. Die haben Journalisten immer weniger. Das gesellschaftliche Problem von unhinterfragbarer Autorität und Macht, nicht nur aber besonders ein katholisches, wird zurückgedrängt zugunsten oberflächlicher Abhandlungen zur katholischen Sexualmoral, an die nur mehr die überzeugtesten der Überzeugten glauben.

Aus atheistischer Sicht mag es befriedigend sein, wenn die katholische Kirche dieser Tage ihr Fett wegkriegt. Unverdient ist es nicht. Aus humanistischer Sicht ist es eine vertane Chance. Probleme werden nicht angesprochen. Der Ethik ist mit einem voyeuristischen Blick auf die Oberfläche Genüge getan. Wie’s drunter aussieht, interessiert außer den Betroffenen niemanden. So wird sich nichts verändern.

Christoph Baumgarten